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Camilla NYLUND: Vielbeschäftigt während der „Corona-Zeit“

09.08.2020 | Sänger

Interview mit Camilla NYLUND in Lech/Arlberg am 7.8.2020Susanne Lukas


Camilla Nylund. Foto: Anna S.

Frau Camilla Nylund, weltweit gefeiert als großer dramatisch-lyrischer Sopran, seit über 15 Jahren als umjubelter Fixstern an den wichtigsten internationalen Opernbühnen zu Hause, hat sofort mit Freude für das kleine, aber herausragende Lech Classic Festival – Special Edition zugesagt und auch kurzfristig die Rolle der Diva Tosca einstudiert, um nach nur 2 Orchesterproben ihr Rollendebüt in dem bezaubernden Dorf am Arlberg zu geben.

 

Wie lange haben Sie für die Einstudierung dieser großen, neuen Rolle benötigt?

 

Während der Lockdown-Phase begann ich mich mit Tosca zu beschäftigen. Das 1. Duett im 1. Akt habe ich mir schon einmal vorher angeschaut, aber ich habe „Vissi d´arte“ niemals zuvor öffentlich gesungen. Man hat so viele große Interpretinnen gehört und das ist so eine enorme Hürde. Normalerweise höre ich mir ja nie andere Aufnahmen an und versuche meine eigene Interpretation zu finden. Jetzt war es natürlich eine große Hilfe für mich, ausgerechnet mit Piotr (Beczala) zu debütieren, weil er viel Erfahrung hat und so konnte er mir auch ein paar Tipps geben.

 

Für viele Gäste in Lech wurde hier beim Gala-Abend vor 2 Tagen eine neue Tosca geboren. Wie kam es genau dazu?

 

Ich habe Familie Wagner (die Veranstalter des Lech Classic Festivals) erst vor einem Jahr in Bayreuth kennen gelernt und ich war echt sehr glücklich, als sie mich angerufen haben – bei Beginn der ersten Lockerungen in Österreich. Da meine 13 Vorstellungen in Bayreuth heuer abgesagt werden mussten, habe ich sofort zugesagt und Piotr hat auch nicht überlegen müssen. Ich kannte Lech von früher nicht, aber wir bereuen es beide nicht, hierhergekommen zu sein. Was die Gemeinde hier so auf die Beine stellt – das ist wunderbar. Und man wünschte sich die Tosca, ich weiß auch nicht, wie man gerade auf diese Idee kam…

 

Und trotzdem haben Sie sich getraut, diesen Schritt zu wagen…

 

Ja, es war nicht leicht, sich in diese Mehrzweck-Halle zu stellen. Aber dieses wunderbare Orchester hat mich begeistert, obwohl ich vorab nicht wusste, was für Musiker hier spielen werden. Was der Konzertmeister aus Coburg (Martin Emmerich) und das ganze Team hier in ein paar Tagen erreicht haben, ist phänomenal. Im Grunde muss man berücksichtigen, die spielen ja nicht immer zusammen. Es sind wirklich Top-Leute, die eine Einheit wurden und eine spezielle Stimmung erzeugen können. In solchen Momenten vergisst man alles um sich und dann möchte ich einfach nur etwas geben und ein Teil dieses Ganzen sein.

 

Was macht für Sie das Lech Classic Festival zu etwas Besonderen?

 

Nun, es gibt ein vielfältiges Programm, sodass für jeden etwas dabei ist. Das ist auch mein persönliches Berufsmotto, dass ich möglichst flexibel bin und bleibe. Ich versuche, ein möglichst umfangreiches Repertoire zu präsentieren und mich niemals auf ein Fach festzulegen. So singe ich auch mit Freude in einer Kirche eine Messe, ich habe auch moderne Musik einstudiert und natürlich sind auch Lieder ein sehr wichtiger Teil für mich.

 

Wann und wo dürfen wir Sie nun erstmals als Tosca in einer Bühnenfassung erleben?

 

In einem Jahr ab September/Oktober an der Finnischen Nationaloper in der Inszenierung von Christof Loy werde ich mit ziemlich vielen Vorstellungen, an die 13 Aufführungen, mein Bühnendebüt geben. Mein Herz hängt natürlich an Finnland und ich hoffe, dass alles so wie geplant stattfindet. Wir befinden uns ja derzeit alle in Warteposition und niemand im Kulturbetrieb weiß, wie es wirklich weiter geht.

 

Wohin werden Sie direkt von Lech aus reisen?

 

Zuerst nach Hause nach Dresden und am 21.8. bin ich in Grafenegg mit dem Radio Symphonie Orchester unter Marin Alsop. Auch dort werde ich in einem neuen Stück zu erleben sein und es war sehr stressig für mich, dies gleichzeitig mit der „Tosca“ einzustudieren – zusätzlich gibt es in all meinen Sommer-Konzerten viele neue Stücke. In meinem Programm in Grafenegg ist das neugelernte Werk „Knoxville, Summer of 1915“ (op. 24 von Samuel Barber) besonders interessant, weil der Text gerade in der heutigen Zeit sehr aktuell ist und zeigt, wie sich unsere Welt darstellt. Mit der wunderschönen Musik und dem Ambiente in Grafenegg wird es, glaube ich, sehr emotional. Ich bin Rudolf Buchbinder, den ich seit Jahren kenne, sehr dankbar, für dieses schöne Projekt, denn ich liebe das Kremstal und Grafenegg und die Top-Orchester, die dort spielen.

 

Eine ganz andere Frage: Ihr Heimatland Finnland gilt ja international als Land mit großer politischer Stabilität, mit zufriedenen Menschen ohne umfassender Probleme. Wie machen Ihre Landsleute das?

 

Nun, Finnland ist eines der Länder mit der wenigsten Korruption, aber es passieren auch bei uns Dinge, die nicht immer richtig sind. Momentan haben wir eine ganz junge Ministerpräsidentin (die 34-jährige Sanna Marin) und viele Frauen in Regierungsverantwortung und ich denke, das führt langfristig zum Erfolg. Und es liegt schon auch an unserem Bildungssystem, wo alle die gleichen Chancen bekommen, unabhängig von Geschlecht und Bildung der Eltern. Viele PolitikerInnen bei uns kommen aus einfachsten Verhältnissen und haben es trotzdem geschafft. In Deutschland musste man sich als Mutter schon sehr früh entscheiden, welchen Weg die Kinder machen sollen. Das war schon sehr schwierig für mich.

 

Wo leben Sie derzeit?

 

Ich bin mit meiner Familie in Dresden, aber ich habe auch eine Wohnung in Wien, weil ich dort sehr oft singe. Sehr froh war ich, dass ich während des Lockdown nicht in einem anderen Bundesland lebe. Da es bei uns nur wenige Fälle gab, war es in Sachsen sehr ruhig und unaufgeregt.

 

Welche Veranstaltungen haben trotz der Corona-Krise doch noch stattfinden können?

 

Nun, es gab zwar am 25. Juli in Bayreuth mit Thielemann und 16 Musikern die Wesendonck-Lieder, aber ich bin vor allem Österreich sehr dankbar. Ich durfte schon im Juni an der Wiener Staatsoper das 1. Konzert – meinen Liederabend – halten und gleich danach mit Piotr diese Lehar-Fernsehproduktion (Konzertfilm anlässlich des 150. Geburtstages des Komponisten) mit den Wiener Symphonikern unter Manfred Honeck. Es war für mich wie ein Geschenk vom Himmel wieder mit einem vollen Orchester singen zu dürfen – einfach fantastisch! Auch in Florenz – danach – durfte ich unter Zubin Metha die Wozzeck-Fragmente gestalten, ebenfalls mit großem Orchester – allerdings nur vor wenig Publikum. Und ein bisschen Normalität konnte man dann auch spüren, als ich danach in Zürich die 2 Konzerte (Operettengala unter Fabio Luisi) – wieder mit Piotr – nachholen durfte.

 

Wie haben Sie persönlich die Zeit des Lockdown erlebt?

 

Man wünscht sich als Mensch und Opernsängerin wieder Normalität. Zu singen, aufzutreten und vor allem dieses Live-Erlebnis zu spüren. Meine Freundin, die mich nach Florenz begleitete, weinte fast, als das Orchester begann, zu spielen. Wir wurden alle vollgestopft mit streaming und das war natürlich auch schön, dass so viel klassische Musik zu erleben war, aber das kann niemals dieses packende Erlebnis als Gemeinschaft bei einer Live-Vorstellung ersetzen.

 

Wie schaffen Sie es, so lange Ihre fantastische Stimme so wunderschön zu halten?

 

Es ist schon harte Arbeit. 1995, bei meinem ersten Engagement, habe ich nicht gewusst, was dieser Beruf eigentlich bedeutet. Aber mein Wunsch war natürlich immer, über die ganze Zeit, so lange wie möglich zu singen. In meinem Fach muss man die Stimme auch stets jung halten. Es kommen jetzt oft neue Rollen dazu und ich lerne von jeder neuen Oper, von jeder Vorstellung etwas dazu. Viele Rollen kann ich heute viel besser singen als früher, leider wird man z.B. für Mozart nicht mehr so oft engagiert. Wichtig ist natürlich auch eine gewisse Aura, eine Ausstrahlung zu haben, aber das kann man nicht lernen.

 

Was sind Ihre nächsten Pläne in den folgenden Monaten?

 

Eigentlich hätte ich jetzt mein Debüt mit „Erwartung“ von Schönberg an der Scala gehabt, aber das wurde leider abgesagt, da Dominique Meyer (Direktor an der Mailänder Scala) meinte, so kann man in Mailand nicht nach dem Lockdown beginnen. Ich war eigentlich zuerst enttäuscht, aber ich werde das – zum Glück – später an anderen Häusern singen. Diese neue Rolle wird mich nun also sicherlich einige Zeit lang begleiten. Stattdessen mache ich mit Zubin Mehta „4 letzte Lieder“ von Richard Strauss, was natürlich ein ausgezeichnetes „Ersatzprogramm“ ist.

 

Wie sehen Ihre weiteren Pläne in diesen unsicheren Zeiten aus?

 

Es wird meine erste Jenufa kommen – ich habe ja noch nie eine Janáček-Oper gesungen. Es ist natürlich eine todtraurige Geschichte, aber das soll in Berlin im Februar mit Simon Rattle über die Bühne gehen. Ich hoffe sehr, dass dies auch stattfinden kann.

 

Da drücke ich ganz fest die Daumen! Versuchen Sie auch bei einer Rollengestaltung Teile der zu singenden Frauencharaktere bei sich selbst zu finden oder spielen Sie einfach?

 

Ich spiele natürlich viel, denn ich habe nicht alles erlebt, was auf der Bühne passiert, das wäre auch verrückt. Eine Begegnung mit einem Scarpia und den Mord der Tosca z.B.: da freue ich mich nur, das bald darzustellen. Aber man muss schon sehr viel Gefühl entwickeln können und sich gut in die Charaktere hineindenken können. Es kommt natürlich auf die einzelne Rolle an, auch ob es Lieblingspartien sind oder nicht.

 

An welche Opern denken Sie da?

 

 Mir gefällt es, wenn ich auf der Bühne sehr viel zu tun habe. Die „Salome“ und die Kaiserin liebe ich sehr, ja, überhaupt besonders die Strauss-Partien. Bei Wagner hängt es für mich auch sehr von der Inszenierung ab und wer im Graben steht, da muss das Gesamt-Kunstwerk wirklich passen. Ich habe auch gerne die Sieglinde gesungen. Bei Elsa stört mich etwas, dass die Rolle dann so abfällt – man hat zum Schluss kaum mehr Einsätze. Ein wichtiges, zukünftiges Ziel ist sicherlich die Isolde zu singen. Ich sage jetzt noch nicht, wo, dass ist noch ein kleines Geheimnis. Aber diese Rolle kommt auf jeden Fall. Auch mein russisches und italienisches Repertoire würde ich noch gerne weiter ausbauen.

 

Sie haben ja in Ihren Anfängen Mimì, Elisabeth und die Desdemona gesungen. Wollen Sie da anknüpfen?

 

Ja, das würde mich sehr freuen. Oft wird bei mir aber vor allem „Rusalka“ und das deutsche Repertoire nachgefragt – und das singe ich dann an sehr vielen Häusern. Vielleicht gibt es aber gerade jetzt, wo viele Sängerinnen aus Amerika oder Asien nicht nach Europa kommen können, einen Wechsel für mich und europäische Kolleginnen. Niemand weiß, wie sich das nun entwickeln wird. Die Unsicherheit ist schon eine große Belastung für uns alle.

 

Auf welche Aufführungen mit Ihnen kann sich das Wiener Publikum an der Staatsoper freuen?

 

Es ist alles momentan natürlich noch etwas unklar, wie sich der Herbst entwickeln wird. Ich bete und bange, weil ich gleich am Beginn der Spielzeit in Wien mein Hausdebüt als Chrysothemis in „Elektra“ unter Franz Welser-Möst geben möchte und darauf freue ich mich schon sehr. Dann folgt im November die „Ariadne“ mit Christian Thielemann und Stephen Gould und zu Sylvester werde ich in der Fledermaus singen. Die Rosalinde habe ich an der Staatsoper 2010/11 gesungen, aber da habe ich mich wegen eines Infektes nicht so ganz wohl gefühlt. So freue ich mich schon auf dieses Engagement, weil dies auch eine Lieblingsrolle ist und ich zuletzt sehr viel Operette gesungen habe.

 

Also wird auch Operette zukünftig für Sie ein wichtiger Teil sein?

 

Ja, aber es ist nicht sehr leicht, dieses Genre gut zu singen und überzeugend zu spielen. Die großen Operetten-Arien wie bei „Gräfin Mariza“ fordern gesanglich sehr viel und es ist sicherlich nicht das „leichte Fach“. Es ist vielmehr „hohe Kunst“.

 

Ich bedanke mich herzlichst für das Interview und Toi! Toi! Toi! für die nächsten Projekte. Ich freue mich sehr auf ein Wiedersehen – vielleicht schon bald in Wien.

 

 

 

 

 

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