9. bis 11. Juni: ´descOPERA´ als ein Open Air-Musikfest in Moldawien
CARMEN UND DER ATEM DER NATUR
Fern von Sevilla, auf Europas anderer Seite, ganz östlich, in Moldawien, ist Georges Bizets „Carmen“ in purer Natur zu erleben gewesen. Betreut von musikalischer Assistenz aus Österreich. Butuceni nennt sich dieses Musikfest-Örtchen auf historischem Siedlungsgebiet. Gelegen zwischen dem eng gewundenen Mäander eines schmalen Flusses, einem kahlen Bergrücken mit verlassenem Höhlenkloster und Mönchsklausen und, ganz obenauf, einer orthodoxen Kirche. Rundum recht steil aufragende felsige Wänden und das kräftige Grün der Wiesen. Darüber der weite Himmel. Die Tataren hatten hier im 14. Jahrhundert einen Herrschaftssitz; Reste einer Karawanserei, einer Moschee, eines Tatarenbades haben sich erhalten. Bevölkerung und Religionen lösten sich in blutigen Wechsel immer wieder ab. Und trotzdem, diese beeindruckende Szenerie wird als heiliger Ort angesehen.
Das weitläufige Gelände. Copyright: descOPERA
Butuceni mit seinen traditionellen Gehöften wird touristisch als das einzige Museumsdorf in Moldawien beworben, und der Kunstmäzen Anatolie Botnaru fördert und lenkt es mit Hingabe und voller Liebe – ausschließlich auf ökologische Werte ausgerichtet. Und auch dieses als descOPERA angebotene dreitägige Open Air-Festival mit klassischer Musik auf wahrlich grüner Wiese ist dessen Idee und wurde aus seiner Leidenschaft geboren. So ganz ohne Kinderkrankheiten kann es zwar hier in der nun zweiten Saison natürlich nicht funktionieren. Doch Botnaru kämpft mit charismatischem Auftreten und seinem der Klassik vertrauenden Optimismus für dieses Fest. Ein wahrer Kraftakt, der für den Besucher zu einem eindrucksvollen Erlebnis werden kann.
Friedrich Pfeiffer. Copyright: descOPERA
Künstlerische Hilfe für Botnaru kommt aus Österreich. Dirigent Friedrich Pfeiffer, früher Hornist der Wiener Philharmoniker, ist hier der Musikchef. Und er gewann mit „Carmen“ sowie in einem Konzert mit dem Donauwalzer und anderen zündenden Gustostückerln von Johann Strauss das überwiegend aus der Hauptstadt Chisinau angereiste Publikum für sich. Pfeiffer zu den Mühen während seiner schon ungemein intensiven Probenarbeit: „Organisatorisch Schwierigkeiten gibt es einige, doch schlussendlich gelingt es. Man spürt die Energie, welche hier ausgestrahlt wird – und sehr viel Herzlichkeit!“ Und den Kinderchor aus Chisinau, den beurteilt er als großartig.
Das sehr gemischte Publikum findet sich, auf Strohballen sitzend, in einer reinen Naturlandschaft. Nicht nur Carmen und Don José in Liebesglück und mit tödlichem Verhängnis, sonder viel, viel mehr ist hier zu erleben gewesen: Noch lang nach Beginn herbeiströmende Besucher; Moldawiens Kulturministerin und einige Botschafter sowie politische Granden; spielende und lachend herumlaufende Kinder; Selfiesglück genauso wie in der Wiener Staatsoper; Babygeplärr aus Kinderwägen; schlafende Schoßhündchen, quakende Frösche, Hahnenschreie, artige Esel und Pferdegewieher; schweigsame Angler am langsam dahin strömenden Fluss Raut. Vor allem aber gespannt lauschende Musikliebhaber sowie auch einige eifrig Plaudernde – und somit nicht nur aufmerksame Zuhörer.
Escamillo hoch zu Ross des nachts auf der grünen Wiese. Copyright: descOPERA
Und wo bleibt Carmen? Nadia Stoianova hat sie geheißen, und auf dem erdigen Boden folgte sie spielfreudig den Anweisungen des italienischen Regisseurs Andrea Battistini, der sein Team mit einfühlsamen Gespür auf dieser sicherlich nicht locker zu bespielenden Naturbühne, eine mit Steinen umgrenzte und mit nur sparsamen Dekorationen veredelte, führte. Der Tenor Ruslan Yudin kam aus Russland angereist. Anna Morari (Micaela) und Iurie Maimescu (Escamillo) sowie die Musiker und das Ballett hat das Opernhauses von Chisinau – ein stattliches Theater aus den Sowjet-Jahren, doch offensichtlich nicht gerade mit vielen Vorstellungen bespielt – beigesteuert. Man darf schon sagen: Allzu variable Spielmöglichkeiten sind in dieser Wohlfühlumgebung nicht gegeben. Ein bisschen Technik muss jedoch schon dabei sein, Beleuchtung und eine Tonanlage, um Bizets wunderschöne Melodien weit hinauf in die Luft steigen zu lassen. Friedrich Pfeiffer ist hier der sicher disponierende und sie alle mitreißende Maestro gewesen. Ja, Oper als Erlebniswelt im Atem der Natur vermag schon sehr, sehr viel an positiver Kraft vermitteln.
Meinhard Rüdenauer