BUKAREST: FESTIVALUL NATIONAL DE TEATRU vom 23.10. bis 1.11.2015
Warum gibt es so etwas eigentlich nicht in Österreich ? Ein nationales Theaterfestival, bei dem nicht nur die besten Produktionen aus der Hauptstadt, sondern auch die aus der „Provinz“ präsentiert werden? In Bukarest findet ein solches Ereignis alljährlich statt, die aktuelle Ausgabe ist soeben zu Ende gegangen.
Am überwältigendsten dabei war wieder einmal die ungeheure Begeisterung, die dieser Veranstaltung entgegenschlug. Die Wiener halten sich ja für theaternarrisch, aber die Bukarester übertreffen sie dabei anscheinend noch bei weitem. Schlangen vor den ca. ein Dutzend Spielstätten (Nationaltheater, Odeon, Comedie, Bulandra, Metropolis, Act, Arcub, Nottara, Excelsior, Unteatru, Foarte Mic etc.etc.). In den Sälen dann noch in letzter Minute eingelassene hunderte ticketlose Zuschauer in den Gängen, auf dem Boden, auf den Stufen – überall dort, wo es Gott und die Baupolizei eigentlich verboten hat.
Drei bis fünf Aufführungen pro Tag, dazu noch Buchpräsentationen, Ausstellungen, Diskussionen, Filmvorführungen etc. Es erforderte schon eine gewisse Kondition, das gesteckt volle Programm auch nur zur Hälfte zu absolvieren. Die eindrucksvollsten Produktionen kamen tatsächlich aus den Provinzstädten Cluj-Napoca, Iasi, Temisoara, Targu-Mures, Craiova, Sibiu, Arad etc. Was nach Meinung rumänischer Theaterschaffender kein Zufall ist, sondern unter anderem daran liegt, dass dort die Schauspieler nicht so sehr von zusätzlichen Funk- Film und Fernsehverpflichtungen abgelenkt sind und somit gelegentlich auch wirklich auf den Proben erscheinen.
Natürlich gab es viele Stücke zu sehen, die auch bei uns auf den Spielplänen stehen. Klassiker wie Shakespeares Sommernachtstraum, Euripides‘ und Aischylos‘ Elektra, Tschechows Platonov, Dostojewskis Brüder Karamazov und Strindbergs Der Stärkere bzw. Klassiker der Moderne wie Mrozeks Emigranten, Dürrenmatts Besuch der Alten Dame, Ionescos Die Unterrichtsstunde oder Taboris Mein Kampf.
Das ausweglose Elend des ungarischen Kommunismus. Foto: Festivalul National de Teatru
Für den ausländischen Gast waren klarerweise jene Aufführungen interessanter, die auf ihm unbekannteren Stoffen basierten. Einer, der darauf spezialisiert ist, ist der Jungregiestar Radu Afrim. Er scheint aber auch ein besonderes Faible für dysfunktionale Familien zu haben, denn beide seiner eingeladenen Produktionen hatten solche zum Thema: sowohl „Büffel“ des katalanischen Autors Pau Miró als auch „Ruhe“ des Ungarn Attila Bartis. Im direkten Vergleich erwies sich der Text von Bartis als der zweifellos genialere und stärkere, wenn auch möglicherweise in seiner Hoffnungslosigkeit als der unerträglichere. Wer sich nach vierstündiger Spielzeit ohne Pause, sich nach dieser ausgewalzten und detailreichen Schilderung des ausweglosen familiären Elends, der vollständigen Verseuchung aller menschlichen Beziehungen durch den ungarischen Kommunismus nicht umgebracht hat, bringt sich nie wieder um.
Eisbären, Robbe und Rhinozeros trauern um den entflohenen Tiger. Foto: Festivalul National de Teatru
Etwas leichtfüßiger, wenn auch unbedeutender das Stück „Tigrul“ der einheimischen Schriftstellerin Gianina Carbunariu, das von den Folgen des Ausbruchs eines Tigers aus dem örtlichen Zoo auf eine verschlafene Kleinstadt handelt.
„Apolodor“ – ein Pinguin geht um die Welt. Foto: Festivalul National de Teatru
Wenn wir schon bei reiselustigen Tieren sind: ein Schwerpunkt des Festivals war dem großen und bedeutenden rumänischen Surrealisten Gellu Naum gewidmet, der heuer 100 Jahre alt geworden wäre (und bei uns gänzlich unbekannt ist). Unter dem Regime durfte er gerade noch Kinderbücher veröffentlichen, sein zur Legende gewordener Weltreisender, aber ewig unglücklicher Pinguin Apolodor geht aber letztlich weit darüber hinaus. In der hier gezeigten Version aus Cluj-Napoca erweist sich die Geschichte nicht nur als entzückend, sondern dank der mitreißenden Musik von Ada Milea auch auf vergnüglichste Weise zu Herzen gehend.
Endlich versklavt, endlich gefangen, endlich unfrei. Foto: Festivalul National de Teatru
Dasselbe Theater präsentierte mit derselben Komponisten den – aus der Sichtweise ihres Berichterstatters – absoluten Höhepunkt des Festivals: Ubuzdup in der Regie von Gábor Trompa.
Der „Pataphysiker“ Alfred Jarry hat ja seine geniale Figur, den „Père Ubu“ in nicht weniger als sechs Stücken auftreten lassen. Das allererste, „Ubu Roi“, ist weltbekannt. Das dem Abend zugrundeliegende dritte der Serie, „Ubu Enchaînée“ (Ubu in Ketten)hingegen wird aus unerfindlichen Gründen nahezu nie gespielt. Dabei erscheint es heutzutage als das vielleicht aktuellste aus der Reihe. Père und Mère Ubu, von den Toten auferstanden, verar***** hier auf intelligenteste und geistreichste Art und Weise das hehre französische Revolutionsideal der Freiheit und wünschen sich vielmehr mit Gewalt in einen Zustand der Sklaverei, der Unterwerfung, des Gefangenseins zurück, weil nur darin die wahre „Liberté“ zu finden sei. Großartig. Großartig auch das sehr körperbetont agierende Ensemble, das Bühnenbild, die Kostüme, die Musik, einfach alles.
Eine echte Entdeckung und eine Sternstunde des heurigen nationalen rumänischen Theaterfestivals.
Robert Quitta, Bukarest