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BUDAPEST/ Staatsoper: DIE FRAU OHNE SCHATTEN

27.03.2022 | Oper international

Staatsoper Budapest:  DIE FRAU OHNE SCHATTEN –25.3. 2022 (Premiere am 25.5.2014)

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  Fotocredit: ©Valter Berecz / Hungarian State Opera

Fünf Jahre war die Budapester Staatsoper, das ehrwürdige Ybl-Haus in der Andrássy út 22, wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Erneuert wurde die Bühnentechnik und die Sitzplätze im Parterre, die nunmehr gepolstert sind und durchgehend verlaufen mit Zugängen zu beiden Seiten. Das im ersten Rang befindliche Büffet, das zuletzt zentral in der Mitte positioniert und von allen Seiten zugänglich war, wurde nun in Richtung der begehbaren Terrasse gedrängt. Erneuert und großzügig ausgestattet wurden sowohl die Toiletten als auch die Künstlergarderoben, die nunmehr alle über ein eigenes Badezimmer mit Dusche und Waschtisch verfügen, während das Künstlerbüffet vollkommen entfernt wurde und derzeit nur mehr einen Getränkeautomaten aufweist.

Dem „Frosch“, wie diese Oper liebevoll vom Publikum oft genannt wird, haftete lange Zeit das Etikett an, „spröde zu sein“. Es ist aber Leonie Rysanek, die sich zeitlebens für diese Oper stark gemacht hatte, zu verdanken, dass „Die Frau ohne Schatten“ nunmehr zum festen Bestandteil des Repertoires jeden größeren Opernhauses zählt. Und auch die ungarische Staatsoper hat den „Frosch“ wieder nach der langen Schließung des Opernhauses in ihr Repertoire mit einer stark umjubelten Wiederaufnahme integriert. Der literarisch vielseitig belesene Librettist Hugo von Hofmannsthal bediente sich für dieses Opus Magnum bei Goethe (Das Märchen), Hauff (Das kalte Herz), seinem eigenen Drama „Der Kaiser und die Hexe“ sowie aus den Geschichten aus tausendundeiner Nacht. Darüber ist das Libretto auch von den Erkenntnissen über das Unterbewusstsein, das Unbewusste und die Traumtheorien von Siegmund Freud und Carl Gustav Jung beeinflusst. Diese Mischung ergab dann eine äußerst komplexe und komplizierte Märchenoper mit dem Hauptthema des Segens der Liebe durch Geburt von Kindern. Der Schatten als Symbol der Mutterschaft, fehlt aber der Kaiserin, denn als Geisterwesen durchdringt sie das Licht wie Glas. Wer aber keinen Schatten wirft, der steht auch im Verdacht, im Spiel mit bösen Mächten zu sein, in dieser Oper personifiziert durch die Amme, die schließlich von der Kaiserin auch verstoßen wird.

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  Fotocredit: ©Valter Berecz / Hungarian State Opera

In der gelungenen Wiederaufnahme der „Frau ohne Schatten“ wurden die vier Hauptpartien, Kaiser und Kaiserin, Färberin und Amme wieder den bewährtesten Kräften des Hauses überantwortet, die diese Partien bereits bei der Premiere 2014 gesungen hatten. Eszter Sümegi konnte das Publikum als Kaiserin sowohl gesanglich als auch darstellerisch erneut in ihren Bann ziehen. Ihre Stimme ist in der Mittellage etwas voluminöser geworden, wodurch sie auch dank ihrer stupenden Technik sowohl das hohe D im ersten Akt als auch das hohe Des im zweiten Akt, ohne zu forcieren, noch immer problemlos erreichte. Mit dem samtenen Timbre ihrer Stimme konnte sie jegliche Schärfe im Forte vermeiden.  Für mich war jener Augenblick im dritten Akt, als sie nach starkem innerem Kampf vor dem versteinerten Kaiser mit markerschütterndem Schrei: „Ich – will – nicht“ das Wasser des Lebens zurückweist. Atemlose Stille herrschte da im Auditorium, bis die Musik nach einer gewaltigen Generalpause wieder langsam anhob. Der gutgeführte Heldentenor von István Kovácsházi als Kaiser hat seit der Premiere vor acht Jahren nichts an seiner Strahlkraft eingebüßt. Als Wesen der Traumwelt, wie die Kaiserin, darf er gleichfalls menschliche Gefühle zeigen, wenn er seine Gattin der Untreue ob ihres Besuches bei den Menschen zeiht. Szilvia Rálik, bewährt als Salome und Elektra, aber auch erprobt als Norma, Abigaille und Turandot, bewältigte die längste Partie dieser Oper wieder mit Aplomb. Für die Rolle der Färberin wurde sie auch 2017 vom Musiktheater Linz engagiert. Sonnenbebrillt mit rosa Hut und behängt mit Ketten und rauchend, darf sie Hüfte- und Handtasche schwingend, über die Bühne tänzeln, was das Geschehen humorvoll auflockerte. Mit der Rolle der Färberin hatte Hofmannsthal Pauline, der Gattin des Komponisten ein poetisches Denkmal gesetzt, denn auch sie wollte zu Beginn der Ehe nicht auf ihre Karriere verzichten und versagte sich daher beharrlich dem Kinderwunsch ihres Gatten Richard. Ildikó Komlósi gestaltete wiederum die Amme mit ihrem ausdrucksstarken, höhensicheren Mezzosopran. Ihr umfangreiches Repertoire hat sie klug überlegt sowohl aus Mezzo- wie auch aus Sopranpartien zusammengestellt. Mit ihrer Gestaltung dieser menschenverachtenden Amme, Verführerin mit mephistophelischen Zügen, gelang ihr eine beeindruckende Rollengestaltung, wofür sie am Ende der Vorstellung vom Publikum auch mit ausgiebigen Bravorufen bedankt wurde. Beeindruckend auch ihr hohes B im zweiten Akt. Für die Rolle des Färbers Barak gewann man als Gastsänger den dramatischen schwedischen Bariton John Otto Lundgren. Trotz seiner imposanten Statur wirkte er neben seiner dominanten Frau eher bemitleidenswert. Oberhand gewinnt er erst in dem Moment, als die Färberin seine wahre Liebe erkennt und ihm anbietet, sie zu töten. Aber wie in Mozarts Zauberflöte finden auch hier die doppelten Paare am Ende zueinander. In Carlo Gozzis (1720-1806) Drama „Turandot“ erscheint ebenfalls ein „Barak“ als Mentor von Prinz Kalaf und ein König Kaikobad, in dessen Diensten sich Kalaf als Gärtner verdient gemacht hatte. Der Kaiser ähnelte in den Kostümen von Kati Zoób einem russischen Zaren, während die Kaiserin in ihren orientalischen Pumphosen und einer helmförmigen Kappe wie eine fernöstliche Norma gekleidet auftrat. Die Amme trug die meiste Zeit über ein elegantes schwarzes Abendkleid. In der Menschenwelt aber trugen Amme wie Kaiserin fantasievolle, um die Hüfte weit ausladende Mäntel. Schlicht und einfach ist der Färber Barak und seine drei behinderten Brüder gekleidet. Sie sind Handwerker und zugleich von den Menschen abgeschieden, da es ihr Beruf als Färber mit sich bringt, mit streng riechenden Essenzen hantieren zu müssen. In dieser unglücklichen Beziehung hat die Färberin nicht nur „symbolisch“ die Hosen an. Sie trägt Stiefel und weist das Liebeswerben Baraks und seinen Wunsch nach Kindern zurück, weigert sich ihn zu bekochen, raucht selbst bewusst Zigaretten und demonstriert auf diese Weise Emanzipation und Selbstverwirklichung.  Der Geisterbote, der Wächter der Pforte und der Falke sind in ihren Kostümen als abstrakte Schemen gekleidet. Ebenso treten noch zwei Statisten als Engel mit riesigen roten Flügeln und einem feurigen Schwert auf.  Der symbolträchtige „Schatten“ ist ein schwarzes Cape, das die Amme vom Rücken der Färberin löst und welches am Ende, für meinen Begriff szenisch verfehlt, als lange Schleppe von den noch ungeborenen Kindern um die beiden Paare und schließlich um mehrere im Hintergrund einander umarmende Paare geschlungen wird. Diese Paare kehren einander am Ende der Oper den Rücken zu und die Männer tragen ihre Frauen, wie mit einer schweren Last beladen, nach dem Bühnenhintergrund.  Der eindringliche Falke, in dessen Gesang Arnold Schönbergs „Lied der Waldtaube“ aus den „Gurre-Liedern“ ihren Niederschlag gefunden hatte, wurde dieses Mal von Anikó Bakonyi gesungen. Der resolute Geisterbote von Attila Dobák und die „Hüterin“ der Schwelle des Tempels wurden von Eszter Zemlényi ausdrucksstark dargebracht. Stimmlich bestens disponiert und darstellerisch intensiv spielend waren auch die drei körperbehinderten Brüder von Barak:  Lajos Geiger als der Einäugige, Ferenc Cserhalmi als der Einarmige und István Horváth als der Bucklige, die ihre Stimmen auch gemeinsam mit Attila Dobák den vier Wächtern der Stadt verliehen.  Die sechs Kinderstimmen wurden von Ágnes Molnár, Zsófia Kálnay, Bori Keszei, Anikó Bakonyi, Eszter Zemlényi und Bernadett Fodor, wobei die ersten drei auch die Rollen der drei Dienerinnen interpretierten. Péter Balczó trat noch in schwarzem Lederharness und Stiefeln als Erscheinung eines jungen Mannes auf.

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  Fotocredit: ©Valter Berecz / Hungarian State Opera

Regisseur János Szikora hat 1989 für die ungarische Staatsoper Budapest seine erste Strauss-Oper „Salome“ in einem Jugendstil-Ambiente in Szene gesetzt. Für die Frau ohne Schatten kreierte er gemeinsam mit Bühnenbildner Balázs Horesnyi eine aus zwei konzentrischen Kreisscheiben bestehende Bühne, eine am Boden und eine in der Mitte geöffnete oben. Dieses kreisförmige „Weltdach“ öffnete sich in Richtung des Zuschauerraumes und wird von zwei Säulen getragen. Oberhalb der Bühne befand sich eine breite Leinwand, die dreigeteilt ist und Nahaufnahmen der Sänger mittels live übertragener Videoprojektionen zeigte. Und es wurde auch eine dahineilende Gazelle gezeigt, die der jagende Kaiser verfolgte und die sich schließlich in die Kaiserin transformierte, die sich seit dieser Zeit nicht mehr zurück verwandeln kann. Und immer wieder werden die narrativen Elemente der Oper filmisch unterstrichen, so etwa, wenn der Falke auftritt, oder wenn Barak im ersten Akt den Geruch von Fischen preist, dann sehen wir diese, wie sie noch zappelnd auf einem ausgebreiteten Tuch ihr Leben lassen. Die Erscheinung des Jünglings erscheint gedoppelt. Auf der Bühne verharrt der Darsteller mit nacktem Oberkörper, während in der filmischen Auflösung ein nackter Mann die Färberin bedrängt und mit ihr ringt und die Sängerin auf der Bühne lediglich ein Phantombild dieses Jünglings umarmt. Fallweise wird auch das Reich der fernöstlichen Inseln mit den sieben Mondbergen in einer Videoeinspielung gezeigt. Vermutlich handelt es sich dabei um die Inselwelt im Golf von Thailand?  Kurze Ausschnitte aus Walther Ruttmanns (1887-1941) Stummfilm „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ (1927), und aus Balázs Kovaliks Inszenierung von Boitos Mefistofele, wurden ebenfalls eingeblendet.

Unter dem umsichtigen Dirigenten Stefan Soltész am Pult des Orchesters der ungarischen Staatsoper gelang es die hochdramatische Musik Strauss‘, der zur Psychologisierung und individuellen Charakterisierung einzelner Figuren und Schlüsselszenen sogar eine Glasharmonika und fünf chinesische Gongs zum Einsatz brachte, mit großer Wirkung auszubreiten. Die atonal wirkende Harmonik wechselte geschickt mit Passagen voller inniger Lyrik. Alle mitwirkenden Künstler und der Dirigent erhielten ausgiebigen Applaus und das Damentrio frenetische Bravorufe. Im Zuschauerraum, den man ohne Maske betreten durfte, und auch in den zwei Pausen, konnte ich zahlreiche deutschsprachige Besucher vernehmen.

Am Ende der Vorstellung würdigte Direktor Szilveszter Ókovács noch alle Mitwirkenden auf der Bühne im privaten Rahmen bei Sekt. Weitere Vorstellungen am 2., 7. und 9. April können nur empfohlen werden. Bravo!

Harald Lacina, 29.3. 2022                   

 

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