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BUDAPEST/ Wagner-Tage im „Müpa“: TRISTAN UND ISOLDE – Premiere

10.06.2018 | Oper

Budapester „Wagner-Tage“ im Müpa
7.6.2018: „TRISTAN UND ISOLDE“ – Premiere

Die Béla-Bártok-Concert Hall im Müpa ist ein Allzweck-Saal. Rechteckig mit leicht ansteigenden Sitzreihen im Parterre, ebenso im hinteren Teil mit 2 Galerien, an den Seitenwänden offene Logensitze. alles hell und freundlich, scheint er akustisch wie geschaffen für derlei differenzierte Musik. Es ist alles durchhörbar und die Stimmen scheinen gleichsam im Raum zu schweben.

Ein überaus diszipliniertes Publikum aller Altersstufen macht es möglich, dass Adam Fischer mit der Hungarian National Philharmonic den ersten pp Ton bereits aus lautloser Stille dezidiert in den Raum setzen und die folgenden Takte mit gebändigter Anspannung crescendieren und wieder abklingen lassen kann. Ein hochgehaltener Zeigefinger sorgt für anhaltende Spanung hin zum nächsten Versuch, innere Erregung erneut hörbar zu machen. Aber so sehrend sie auch ist, die musikalische Wiedergabe bleibt ganz klar, auch in den bereits sehr aufregenden Steigerungen und Abbrüchen.

Die breite Bühne zeigt relativ nahe an der Rampe eine mehrfach gegliederte Couch mit erhöhtem, verziertem Mittelteil. Hier auf diesem gepolsterten dunkelvioletten Sitzmöbel herrscht Geborgenheit. Dahinter sieht man ein über die ganze Rückwand projiziertes Meeres-Video mit bewegten Wellen, die gleichsam vom Schiff mit dem breiten Deck, auf dem wir uns befinden, hinter sich gelassen werden…

Der Einstieg in eine eigene Welt hat sich eröffnet, erstirbt aber so klar, wie er begonnen hat. Ins Vakuum hinein erklingt die Stimme des jungen Seemanns, bedeutsam von István Horvath intoniert. Wie aus dem Nichts sind plötzlich Isolde und Brangäne im Blickfeld. In sich gekehrt die irische Königstochter, weit lebhafter, ja fast scherzhaft agil lässt die Gefährtin die „blauen Streifen“ im Osten erscheinen. Lustvoll scheint Attala Schöck die Reise mit der Herrin angetreten zu haben, während Allison Oakes weit dezidierter ein Ziel verfolgt, von hartem Blech aus dem tiefen Graben trefflich unterstützt. Ja, alle wissen an diesem Abend, was sie wollen und sollen. Der Wille reißt nicht ab. Brangäne schwärmt ganz offensichtlich für ihn, den „Helden ohnegleiche“… Wenn Peter Seiffert ganz entschieden hereintritt auf den fatalen Schauplatz, empfinden wir Isoldes „Mir erkoren….“ als ganz natürlich. Diese strahlende, prägnant eingesetzte Tenorstimme lässt keine Zweifel zu. Und der treue Kurwenal, Boaz Daniel, intoniert mit gleicher Selbstsicherheit seine leicht spöttischen Kommentare „Herr Morold zog zu Meere her … “ Der Wechsel von forte und piano wirkt ganz natürlich – jedes „Sagen“ ist von einem „Sinnen“ einerseits entschieden, andererseits hinterfragenswert vernehmbar. Dräuend verkünden die Hörner die geballte Energie, die hinter dem Gesang steckt. Die Meeresprojektion passt sich dem Seelenzustand der Bühnenfiguren an. Innere Höhepunkte spielen sich vor ruhendem Wasser ab. Später, im 2. Akt steigen mehrmals weiße Luftblasen vor dunklem Hintergrund auf. Im 3. Akt herrscht die Farbe grau in mehreren Varianten vor. Das ist die ganze Dekoration! Die Kampfszenen laufen realistisch ab. Den hellen 1. Akt löst geheimnisvoll zunehmendes Dunkel im 2. Aufzug ab und düstere Beleuchtung im letzten Aufzug vor nun mehrfach wild bewegtem Meer. Alles übrige sagt die Musik.


Matti Salminen als König Marke, Allison Oakes als Isolde, Peter Seiffert als Tristan vor dem bewegten Meer (c: Zsófia  Pályi, Müpa Budapest)

Der einfache Rahmen suggeriert eine geheimnisvolle Grundstimmung. Isolde und Brangäne dürfen sich lebhaft bewegen. Während die „treue Magd“ sich immer mal wieder auf die bereit stehenden Koffer und Kisten setzt, zeigt Isolde größtenteils im Stehen ihre emotionalen Zustände: „Da schrie’s mir auf aus tiefstem Grund“ – da verrät auch das Orchester im ff tiefste Verzweiflung – Brangäne hält sich die Ohren zu. Isolde vergisst sich beim “molto crescendo“ und ins pp zurückgenommenen „Er sah mir in die Augen“ – Brangäne greift sich an die Stirn. Die beiden schön kontrastierenden Frauenstimmen blühen immer mehr auf, kulminierend in Isoldes hörbar freudvoll intoniertem Fluch. Alles ereignet sich auf schwankendem Boden bis zum „Herr Tristan trete nach!“ voll beklemmender Reglosigkeit. Tristan steht fest – noch. Aber vor jeder vokalen Entgegnung auf Isoldes, Brangänes oder – zuvor schon -Kurwenals Ansinnen verrät eine heftige Kopfbewegung, dass ihm die jeweilige Antwort gelegen kommt. Seiffert singt so schön und glanzvoll, dass seine noch noble Zurückhaltung Tristans wahre Gefühle verrät… Der bedeutungsschwangere Dialog der beiden mündet in den lebhaft konsumierten Trank, gefolgt von einem erlösenden Kuss und leidenschaftlicher Umarmung. Wie es Adam Fischer gelingt, das Finale des 1. Akts allmählich zu großer allseitig gelebter gewaltiger Intensität zu steigern, ist umso fesselnder, als die immense Liebe ganz ohne puren „Lärm“ zu Gehör gebracht wird.

Wagner-Belcanto beherrscht auch den 2. Akt, der nur leider ohne das Tag-Nacht-Gespräch stattfand. Das Orchester ist völlig auf die Sänger abgestimmt, inspiriert und führt sie. Von sanftem Wind leicht bewegte Algen-artige Gewächse erscheinen in der Luft hinter der allpräsenten Liebescouch. Eine klare Artikulation des gesamten Textes (natürlich auch mit ungarischen Übertiteln) macht alles vollkommen verständlich. Matti Salminen singt mit seinem mächtigen dunklen Bass den König Marke nicht nur in auf langjähriger Erfahrung beruhender Manier sehr eindringlich, sondern steigert sich dabei in leidenschaftliche, auch körperlich ausgespielte Verzweiflung hinein: „Warum mir diese Hölle, warum mir diese Schmach!“ Der abrupte Aktschluss reißt uns aus aller Entrückung.
Interessant Peter Seifferts Gestaltung des 3. Akts. Keine „Fieberphantasien“ (eine sowieso nicht zutreffende Bezeichnung!) führen ihn in seine Jugend zurück, sondern ganz klare Reflexionen: Wie ist er zu dem Mann geworden, der sein kurzes, höchstes menschliches Glück als sensibler Poet – nicht als ritterlicher Held – nun wieder verloren hat. Selten zeigt ein Tristan-Sänger solch große Freude, dass er sich wieder „im echten Land, im Heimatland“ befindet. Boaz Daniel als Kurwenal tut aber auch alles dazu, um sie ihm bewusst zu machen: Alle seine diesseitigen Regungen und Tröstungen, mit schönem, geschmeidigem, aber auch kraftvollem Bariton und lebhaftem physischem Nachdruck ausgesungen, erlösen seinen siechen Herrn ebenso wie die Zuhörer von der dominanten „traurigen Weise“ (vom Englischhorn wunderbar intoniert). Der Tenor ist in blendender stimmlicher Verfassung, schafft problemlos all die gewaltigen emotionalen Steigerungen, aber der ehemalige lyrische Tenor ist auch „Auf wonniger Blumen lichten Wogen“ nach wie vor zuhause und singt sich dann mit mächtigem Atem in die finale Ekstase vor nun wild bewegtem Meer hinein … Erst nach seinem letzten sanften „Isolde!“ wagt sie es, an ihn heranzutreten. Nochmals beklagt Marke sehr berührend: „Alles tot!“, ehe Isolde „Mild und leise“ ihn und uns überzeugt, das eine solche Liebe nicht stirbt. Wenn der „Weltatem“ meine Tränendrüsen aktiviert, dann weiß ich, falls ich es zuvor noch nicht gewusst hätte, dass auch Dirigent und Orchester das grandiose Wagnersche Liebedrama verstanden haben.

Neal Cooper als Melot, Zoltan Megvesi als Hirt, Zolt Haja als Steuermann und der Männerchor des Humgarina National Choir, geleitet von Csaba Somos, ergänzten das treffliche Ensemble.

Die Produktion war ein eindrucksvolles geschlossenes Ganzes. Im ausverkauften Haus konnte man in Pausengespsrächen fast nur die Landessprache hören. Am Präsentationstisch des Ungarischen Wagner-Verbands wurden von allen Wagner-Opern ungarische Textbücher angeboten, im 1. Rang-Foyer sah man eine Ausstellung von durch Wagner inspirierten Gemälden aus verschiedenen Ländern und Perioden. Obwohl ich bei meinen Stadtspaziergängen auf keiner Litfasssäule eine Ankündigung dieser Wagner-Tage sah, hat sich offensichtlich deren Qualität herumgesprochen…

Sieglinde Pfabigan

 

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