Elisabet Strid steigert sich in die Ballade hinein (c: Gábor Kotschy, Müpa Budapest)
BUDAPEST/ Wagner-Tage: 8.6.2018 „DER FLIEGENDE HOLLÄNDER“
Der Beginn flößte mir zunächst Schrecken ein: nicht wegen der vielen Leitern, die den Großteil der Bühne füllen, zu einem Spitz nach oben zusammenlaufend und von beiden Seiten bekletterbar, sondern wegen des Aufmarsches einer schnell die Bühne füllenden bunten, sensationslüsternen Gesellschaft, die sich auf der drehbaren Bühne offenar gut unterhalten will. Seeleute sind ebenso dabei wie offenbar Nobelbürger und solche der einfacheren Art. Dass Norwegen als Schauplatz nicht erkennbar war, störte mich keineswegs. Die Geschichte lebt nicht nur vom Originalschauplatz.
Auffallend in den Mittelpunkt spielten sich junge Mädchen und Frauen mit kurzen farbigen Kittelchen, darunter eine „junge Wilde“, die ganz zur Spitze kletterte – offenbar Senta. Doch während der Ouvertüre, vom Ungarischen Radio Symphony Orchestra unter Michael Boder (der den ursprünglich angesetzten Peter Schneider ersetzte) etwas grob und mit dem üblichen Spannungsdefizit zwischen Holländermotiv und Senta-Weise dargeboten, spielte sich das die Ouvertüre begleitende wortlose Bühnengeschehen mehr und mehr in Übereinstimmung mit der Musik ein. Die Regie von Balázs Kovalik im Bühnenbild von Péter Horgas mit Kostümen von Mari Benedek erwies sich als theaterwirksam. Über Einzelheiten lässt sich natürlich streiten.
Sehr lebhaft ging es ab dem ersten Choreinsatz zu. Was man als Schiff, bestehend aus Leitern, interpretieren konnte, füllte auf der Drehbühne fast den gesamten Spielraum und diente je nach Bedarf, bei unterschiedlicher Beleuchtung, als Innen- oder Außenraum oder beides gleichzeitig. Im 2. Akt bespielten die von Dániel Òdor cheoreographierten „Spinnerinnen“ mit rustikalen Kopfbedeckungen und leuchtend roten oder blauen Röcken und Hosen die Vorderbühne. Dazu wurden noch 8 Waschmaschinen hereingerollt, deren „muntere“ Innenräder sich sehr musikalisch zu den Drehbewegungen des Chores gesellten. Besonders ins Auge stach von Anbeginn Dalands Tochter in Gestalt der blonden Schwedin Elisabet Strid. Anfangs wie ein Backfisch agierend, merkte man nun, dass dieses aparte Mädchen von einem ausgesprochenen Abenteuerdrang getrieben wird und alles Mysteriöse liebt. Vor allem aber singt diese junge Dame prachtvoll. Ihr gehaltvoller Sopran erfreut mit warmer Mittellage, attackiert problemlos die Höhen, lässt sie aufleuchten und bei Bedarf im Raum schweben – so etwa in der Tradition von Birgit Nilsson oder Nina Stemme. Unweigerlich ergeben sich Starqualitäten, auch hinsichtlich des detailreichen, frischen Agierens zwischen Hingabe an ihre Visionen und ebenso keckem wie charmantem Spiel mit den Freundinnen, mit Vater Daland und dem „Fremden“. Ihre dreistrophige Ballade mit den mühelosen Höhen in akzentfreiem Deutsch fesselt ebenso wie später ihr Dialog mit dem Holländer. Auch da noch blitzt es abenteuerlustig aus ihren Augen und ihrer Stimme und die Bereitschaft, sich mit ihm zu liieren, glaubt man ihr schnell.
„Er“ ist als Doppelrolle angelegt. Im Hintergrund auf einem Bildschirm als Filmheld mit übergroßem, dämonischem Kopf, schwarzem Hut und Gewand und davor bequem in einem Lehnstuhl sitzend der Sänger in rotem Pullover. Zwischendurch hängt er sich zum Mantel einen roten Schal um, damit er als Autorität des 21. Jhs. beeindrucken kann. John Lundgrens dunkler, kräftiger Heldenbariton, dem auch die Legati und gefühlvollen Zwischentöne noch nicht abhanden gekommen sind, macht gute Figur, hat nicht nur das nötige Durchhaltevermögen, sondern kann sich auch in die tragische Figur recht beeindruckend hineinsteigern. Ihm gegenüber bewährt sich der junge Vater Daland von Liang Li mit seinem Ansinnen auf den Reichtum des Gastes, ausgedrückt durch eine schöne Bassstimme und mit Schalk im Nacken. Zwei große schlanke Burschen in den Tenorrollen zeichnen sich durch scharfe Rollencharakterisierung aus: mit etwas gepresster Stimme der durch Sentas Besessenheit vom Holländer gepeinigte Ric Furman als ansehnlicher blonder Erik und der mit geradezu luxuriösem lyrischem Tenor strahlende junge Wiener Franz Gürtelschmied als regsamer dunkelhaariger Steuermann. Die Mary der Bernadett Wiedemann machte sich als umtriebige Tonangeberin inmitten des Damenchors schon von Anbeginn an durch ihre Bühnenpräsenz bemerkbar.
Ein bewundernswert schönes Deutsch singender Damen- wie auch Herrenchor doppelter nordischer Identität, präpariert von Zoltan Pad, füllte mit vollem Klang den Bühnen- und Zuschauerraum.
Zum Hauptfaszinosum wurde, wie sich’s gehört, die Beziehung Holländer-Senta. Das Mädchen gab sich dem bürgerlich ausstaffierten Fremden sichtlich „ohne Reu“ hin, während der anfänglich gezeigte dämonische Filmheld nochmals unter Blitzgewitter im Hintergrund auftauchte und die gesamte Belegschaft in Angst und Schrecken versetzte. John Lundgren durfte überleben.
Man kann insgesamt sagen: Es ging wild zu an diesem uns kurz dünkenden Wagner-Abend, den Michael Boder musikalisch zügig ablaufen ließ, ohne besondere Feinheiten herauszuarbeiten. Als „Artistic director“ ist Adam Fischer im Programm angeführt, der offenbar die interessante Besetzung zusammengestellt hat.
Ein begeistertes Publikum feierte am Ende alle Mitwirkenden.
Sieglinde Pfabigan