Budapest / Ungarische Staatsoper am 22.03.2025: „MANON“. – überwältigende Emotionalität
Am 28. Februar 2015 fand die „Manon“-Premiere an der Budapester Staatsoper statt; nun kehrte dieses dreiaktige Handlungsballett in der Choreografie von Sir Kenneth MacMillan für eine Vorstellungsserie im Opernhaus ins Repertoire des Ungarischen Nationalballetts zurück. 1974 in London uraufgeführt, ist dieses Sujet, dessen Handlung auf eine Geschichte von Abbé Prévost aus dem 18. Jahrhundert zurückgeht, auch als Oper von Jules Massenet bzw. von Puccini bekannt. Sir Kenneth MacMillan verwendete für sein Werk zwar Kompositionen von Jules Massenet, aber nichts aus der gleichnamigen Oper. Martin Yates arrangierte und re-orchestrierte die Musik 2011; das eindrucksvolle Bühnenbild und die opulenten Kostüme hat Nicholas Georgiadis für die damalige Londoner Uraufführung geschaffen; das Lightdesign stammt von Jacopo Pantani mit Ryan Stafford als Assistent für Lightdesign.
MacMillan ist bekannt dafür, dass in seinen abendfüllenden Piecen wie auch u.a. bei „Mayerling“ vor allem die Pas de deux im Fokus stehen. Im von ihm verwendeten neoklassischen Stil dienen diese der Verdeutlichung der Leidenschaftlichkeit der jeweiligen Gefühle im dramatischen Bühnengeschehen. Sie enthalten komplexe Schrittkombinationen mit schwierigen Hebefiguren und ungewöhnlichen Verschlingungen, um so den Körper als intensives emotionales Ausdrucksmittel spektakulär einzusetzen. Die Soli sind dagegen gespickt mit Finessen und erfordern brillantes technisches Können. Auffallend ist auch, dass vor allem im 2. Akt die Ballerina von den Herren gehoben, getragen oder weiter gereicht wird, jedoch nie den Boden berührt. Die Szenen für das Corps de ballet hingegen dienen weniger als handlungstragende Elemente, sondern skizzieren hier meist das Milieu wie z.B. die Bettler im 1. Akt oder die Dirnen bei ihrer Ankunft in Amerika im 3. Akt, während die Auftritte der Kurtisanen im 2. Akt fast wie ein Divertissement wirken.
Der Beginn einer fatal endenden Liebe: Aliya Tanykpayeva (Manon) und Dmitry Timofeev (Des Grieux) © Valter Berecz / Hungarian State Opera
Die Premiere in Budapest tanzten damals Aliya Tanykpayeva und Dmitry Timofeev und die beiden sind auch jetzt noch nach 10 Jahren überwältigend, wie sie Manon und Des Grieux auf der Bühne verkörpern. Überzeugend stellt Aliya Tanykpayeva die Wandlung der Manon dar: vom sich Hals über Kopf in Des Grieux verliebenden Mädchen wird sie zu einem die Männer verführenden Luxusgeschöpf. Sie will mehr vom Leben, als das, was sie eigentlich erwarten würde – um dem Eintritt in den Konvent als Nonne zu entgehen, ist ihr jedes Mittel recht, stielt sie doch gleich zu Beginn dem alten Mann, der ihr Reisebegleiter in der Kutsche war, die Geldtasche und kann sie später auch dem Angebot von Monsieur G.M. nicht widerstehen, seine Geliebte zu werden und sich von ihm finanziell großzügig aushalten zu lassen. Erschöpft und ausgemergelt nach der Deportation in Amerika angekommen, bleibt ihr nichts als die unerschütterliche Liebe von Des Grieux, der bis zuletzt zu ihr steht, als sie stirbt – gleichsam wie eine Kerzenflamme verlöscht ihr Leben auf der Flucht in den Sümpfen von Louisiana.
Das Ende in den Sümpfen von Louisiana: Aliya Tanykpayeva (Manon) und Dmitry Timofeev (Des Grieux) © Valter Berecz / Hungarian State Opera
Dmitry Timofeev gefällt als eleganter junger Mann, der als Student in seine Bücher vertieft ist und dessen Leben durch das Zusammentreffen mit Manon eine unerwartete Wendung nimmt: schwärmerisch und hingebungsvoll in seinen Gefühlen, opfert er sich für diese Liebe auf, wird zum Falschspieler und zum Mörder, bleibt in abgrundtiefer auswegloser Verzweiflung zurück, als Manon in seinen Armen hinscheidet. Aliya Tanykpayeva und Dmitry Timofeev leisten hier Außerordentliches an Gefühlsintensität, Ausdruckskraft und zeichnen so ein tänzerisch herausragendes, sehr berührendes Profil ihrer darzustellenden Charaktere.
Ballettdirektor Tamás Solymosi war zu seiner Zeit als Tänzer in Wien grandios als charmanter, gewiefter und verwegener Lescaut – an diesem Abend ist nun András Rónai als Sergeant Lescaut zu erleben. Sehr präsent ist er ein schlitzohriger Draufgänger, der von Anbeginn nichts Anderes im Sinn hat, als stets über ausreichend Geld zu verfügen – dazu nützt er jede Gelegenheit, die sich bietet – als Zuhälter seiner Geliebten ebenso, wie er es locker schafft, seine eigene Schwester Manon gewinnträchtig zu verschachern. Mit wehenden Rockschößen wirft er sich inbrünstig im 2. Akt im Etablissement von Madame in sein Solo als gespielter Betrunkener; dramatisch auch sein blutiges Ende.
Das Verhängnis nimmt seinen Lauf: Maxim Kovtun (Monsieur G.M.), András Rónai (Sergeant Lescaut), Aliya Tanykpayeva (Manon) und Dmitry Timofeev (Des Grieux) © Valter Berecz / Hungarian State Opera
Jessica Carulla Leon als Lescauts Geliebte weiß sehr wohl, was es gesellschaftlich bedeutet, Kurtisane zu sein – mit anmutiger Natürlichkeit aber auch frivoler Sinnlichkeit ist sie den Männern zu Diensten. Maxim Kovtun erfüllt als Monsieur G.M. den Part des reichen Mannes, der immer erhält wonach ihm der Sinn steht und der sich daher Manon kaufen kann wie ein neues Spielzeug, um so sein lüsternes Verlangen befriedigt zu bekommen. Aglaja Sawatzki gibt sich geschäftstüchtig als Madame, Nathaniel Lillington ist der machtvolle Gefängnis-Aufseher und Yago Guerra ist der gewitzte Bettlerkönig.
Wie bereits damals bei der Premiere dirigiert wieder Gergely Kesselyák schwungvoll das ausgezeichnet spielende Orchester. Das Publikum war begeistert – es gab Blumensträuße für Aliya Tanikpayeva, anhaltenden Beifall und Standing Ovations.
Ira Werbowsky