BUDAPEST /Staatsoper am 22.10.2022: „MAYERLING“. – packend getanztes Drama
Sir Kenneth MacMillan schuf mit „Mayerling“ – 1978 für das Royal Ballet in London entstanden – ein Stück Weltgeschichte als Ballett: nach einem Libretto von Gillian Freeman und zu Kompositionen von Franz Liszt (arrangiert von John Lanchbery) steht das Drama um Kronprinz Rudolf und Baroness Mary Vetsera im Mittelpunkt des Geschehens (Ausstattung und Kostüme: Nicholas Georgiadis). Der schottische Choreograf konzentriert sich in seiner Version auf die Figur des österreichischen Thronfolgers und seine emotionale wie psychische Entwicklung. Neben der Ausdrucksform ist für jeden Tänzer hier vor allem auch präzise Technik und besonders exzellentes Partnerhandling gefragt, stellen doch die zahlreichen Pas de deux mit diffizilen Hebefiguren, getanzt mit unterschiedlichen Partnerinnen, eine zusätzliche Herausforderung dar – somit gilt diese Rolle als eine der schwierigsten Männer-Partien im klassischen Ballett.
Im März 2022 zur Wiedereröffnung der Budapester Staatsoper nach der jahrelangen Renovierung aufgeführt, gelangt dieses Werk nun erneut auf die Bühne anlässlich seines Todestages: vor 30 Jahren starb Sir Kenneth MacMillan am 29. Oktober 1992 während einer Aufführung von „Mayerling“ im Royal Opera House in London, was der dramatischen Handlung des Balletts eine zusätzliche tragische Note hinzufügt.
In der aktuellen Aufführungsserie des Ungarischen Nationalballetts (Leitung: Tamás Solymosi) ist im Oktober nach den Besetzungsvarianten Gergely Leblanc/Tatiana Melnik bzw. Gergő Ármin Balázsi/Lili Felméry in den abschließenden Aufführungen Maria Yakovleva als Baroness Mary Vetsera die Partnerin von Gergő Ármin Balázsi als Kronprinz Rudolf. Die gebürtige Russin, die mit Saisonstart vom Wiener Staatsballett ans Ungarische Nationalballett wechselte, besticht in der Dernière als samstägliche Matinee durch ihre differenzierte Rollengestaltung und feine Technik. Ausgehend von ihrer jugendlichen Unschuld und Schwärmerei für den Kronprinzen lässt sie sich willig von Grafin Larisch ihrem Idol zuführen und stürzt sich kopfüber in diese Affäre, lernt rasch ihm mit allen weiblichen Verführungskünsten zu gefallen und ist in letzter bedingungsloser Konsequenz bereit mit ihm in den Tod zu gehen. In diesem emotionalen Spannungsfeld brilliert sie, Maria Yakovleva lebt mit allen Fasern ihres Körpers diese Rolle und berührt zutiefst in dieser Glaubwürdigkeit.
Kronprinz Rudolf (Gergő Ármin Balázsi) wird auf seiner Hochzeit von seinem Vater, dem Kaiser (Gábor Szigeti) streng zurecht gewiesen ©Valter Berecz / Hungarian State Opera
Gergő Ármin Balázsi verkörperte den Kronprinzen Rudolf und zeichnet damit ein eindringliches Bild dieser historischen Figur: in seinen seelischen Qualen gefangen, sucht er Anerkennung bei seinem Vater, dem Kaiser und Zuneigung bei seiner Mutter, der Kaiserin. Ablenkung suchend, findet er nur entspannende Unterhaltung in der Spelunke bei den leichten Mädchen. Einzig Mary Vetsera, die ihm hingebungsvoll zugetan ist, zeigt sich bereit, mit ihm den fatalen Weg aus seinen psychischen Nöten zu gehen. Grandios, wie Gergő Ármin Balázsi erstarrend in den Konventionen der höfischen Etikette immer wieder versucht auszubrechen, wie er mit wirrem Blick seine rasenden Kopfschmerzen mit Morphium zu bekämpfen sucht und letztlich nur einen Ausweg sieht: Man ist mit ihm und Maria Yakovleva gefangen in der emotionalen Höllenfahrt in den gemeinsamen Tod, so mitreißend lassen die beiden das Publikum das fatale Schicksal miterleben.
Die Bereitschaft zum gemeinsamen Tod reift: Maria Yakovleva (Mary Vetsera) und Gergő Ármin Balázsi (Rudolf) ©Valter Berecz / Hungarian State Opera
Ellina Pokhodnykh schmiedet als Gräfin Maire Larisch erfolgreich ihre kleine Intrige, um dem Kronprinzen eine von ihr ausgewählte Geliebte zu zu führen, wenn sie selbst schon nicht mehr zum Zug kommen soll und um damit wenigstens die Kontrolle zu behalten. Yourim Lee überzeugt als verschreckte und schockierte Prinzessin Stephanie, Motomi Kiyota ist ein treu ergebener Fiaker Bratfisch und Diana Kosyreva die resolute Mizzi Kaspar, in deren Lokal sich der Kronprinz frei von allen Zwängen fühlt. Léo Lecarpentier, Louis Scrivener, Takaaki Okajima und Dumitru Taran umgarnen als die vier ungarischen Offiziere den Kronprinzen, um ihn für ihre verschwörerischen Ideen zu gewinnen. Mit warmem Timbre gefällt Laura Topolánszky als Katharina Schratt, wenn sie dem Kaiser auf seinem Geburtstagsfest ein Ständchen bringt und das Lied „Leb wohl, ich muss scheiden“ singt, um – gleichsam wie in einer Vorahnung – die folgenschweren Geschehnisse vorweg zu nehmen. Zsófia Gyarmati (Kaiserin Elisabeth) kann als des Kronprinzen Mutter ihm nur in wenigen Augenblicken liebevolle Nähe schenken, zu sehr ist sie mit dem gut aussehenden und charmanten Bay Middelton (Mikalai Radziush) beschäftigt. Gábor Szigeti als strenger unnahbarer Kaiser Franz Josef hatte hier seine Abschiedsvorstellung von der Compagnie. Auch alle übrigen Charaktere und das hervorragende Corps de ballet tragen zum dramatischen Bühnengeschehen bei und intensivieren so den spannenden Gesamteindruck.
Ebenfalls großartig spielt das Orchester unter der Stabführung des jungen Dirigenten Paul Marsovszky, der die Musiker und Musikerinnen gefühlvoll und mit viel Umsicht leitet.
Ein Augenblick des Verharrens in andächtiger Stille am Ende der Vorstellung, bevor der Jubel und Beifall des Publikums einsetzt.
Ira Werbowsky