20.04.2024: „CLASSICAL BRAVURA“. – klassisches Ballett und zeitgenössischer Tanz par excellence!
Mit der Premiere von „Klasszikus bravúrok“ am 11. April in der ungarischen Staatsoper fand ein weiterer interessanter Ballettabend seinen Weg ins Repertoire des Ungarischen Nationalballetts, denn vier Piecen wurden in dieser Produktion neu miteinander kombiniert: „Paquita Szvit“, „Petite Mort“, „Hat tánc“ und „Etűdök“. – Gefragt waren hier exquisite klassische Technik und eloquenter Stil auf höchstem Niveau – eben „Classical Bravura“, wie es in dieser Vorstellung zum Matinee-Termin zu erleben war.
Brillante Ballerina in „Paquita Szvit“: Olha Skrypchenko (© Attila Nagy)
Das erste Stück „Paquita Szvit“ basiert auf der Choreografie von Marius Petipa mit Bearbeitungen durch Ballettdirektor Tamás Solymosi und Ballettmeister Albert Mirzoyan zur Komposition von Ludwig Minkus und musikalischen Ergänzungen durch Édouard Deldevez. Kaum noch als komplettes Handlungsballett „Paquita“ gezeigt, wird meist nur noch die Suite-Version getanzt und daher auch als „Paquita Grand Pas Classique“ bezeichnet. Dieses Werk besteht aus einer Abfolge von Solovariationen, Pas de deux und Pas de trois, die jeweils in unterschiedlicher Kombination und Anzahl zusammengestellt und aufgeführt wird. Gekennzeichnet durch anspruchsvolle Technik, werden perfekt gezirkelte Pirouetten und hohe Sprungkraft verlangt. Die ungarische Premiere fand im April 2022 in den Eiffel Art Studios statt und damals wie jetzt glänzten die Tänzerinnen und Tänzer des Ungarischen Nationalballetts in ihren herausfordernden und exquisiten Variationen. Stupende Technik und edle Linie demonstrierte das Hauptpaar Olha Skrypchenko und Louis Scrivener. Im Pas de trois überzeugten Elena Sharipova, Diana Kosyreva und Alberto Ortega de Pablos. In den verschiedenen Solo-Auftritten präsentierten sich Ganna Muromtseva (spanische Variation), Christian Mathot (Auber Variation), Yuliya Radziush (Armida Variation), András Rónai (Talisman-Variation), Natsuna Oya (Trilby-Variation) sowie das elegante Corps de ballet und die sehr ambitioniert tanzenden Studierenden des Hungarian National Ballet Institute.
Die Studierenden des Hungarian National Ballet Institute in „Paquita Szvit“ (© Valter Berecz)
Nach der Pause wurde mit „Petite Mort“ sowie „Sechs Tänze“ in der Choreografie von Jiří Kylián zu Kompositionen von Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791) fortgesetzt. Für ersteres wird das Adagio aus dem Konzert für Klavier und Orchester Nr. 23 in A-Dur sowie das Andante aus dem Konzert für Klavier und Orchester Nr.21 in C-Dur verwendet. Bei den „Sechs Tänzen“ dienen als Musikvorlage die „Sechs Deutschen Tänze“ (komponiert 1789 in Wien). „Petite Mort“ wurde im August 1991 im Rahmen der Salzburger Festspiele im kleinen Schauspielhaus durch das Nederlands Danse Theater (NDT) uraufgeführt – anlässlich des 200.Todestages von W. A. Mozart. Dieses Stück ist für sechs Tänzer, sechs Tänzerinnen und sechs Florette konzipiert; eine Rolle spielen weiters schwarze rollbare Krinolinenröcke. Der Titel bedeutet übersetzt „kleiner Tod“ und meint damit die elegante Umschreibung der Franzosen für höchste Sinnesfreuden. Obwohl handlungslos, werden in beiden Piecen dennoch in gewisser Form Inhalte erzählt. Auf virtuose Weise setzt sich der Choreograf bei „Petite Mort“ einerseits mit Aggression und Kraft sowie mit Gefühlen wie Liebe und Verwundbarkeit andererseits auseinander. Hier gefielen außerordentlich gut Yuki Wakabayashi, Lili Felméry, Artemisz Pisla, Jessica Carulla Leon, Soobin Lee und Kristina Starostina sowie Kristóf Morvai, Vlagyiszlav Melnyik, Mikalai Radziush, Gergő Ármin Balázsi, Valerio Palumbo und Iurii Kekalo. Perlendes, meisterhaft erklingendes Spiel am Klavier bot György Lázár.
In den „Sechs Tänzen“, die bereits 1986 als seine erste Choreographie zu Musik von Mozart entstanden, geht es nur vordergründig um harmlose Heiterkeit. Als bewussten Kontrast zur Musik werden in feinsinniger Art zwischenmenschliche Empfindungen aufgezeigt. Beide Stücke sind von der für Kylian so typischen großen Musikalität getragen, hinzu kommen hier noch subtiler Witz und Ästhetik – feinfühlig interpretiert von Remedios Agustín Castaño, Adrienn Horányi, Anita Tiffany Pesel, Aglaja Sawatzki, Riku Yamamoto, Yago Guerra, Maxim Kovtun und Ricardo Vila M.
Sind in „Petite Mort“ knappe Mieder bzw. enge shorts als minimalistische Kostüme (die Entwürfe stammen von Joke Visser und Jiří Kylián) zu sehen, so finden sich in den „Sechs Tänzen“ von Kylián barock anmutende Unterwäsche und gestaubte weiße Perücken. Das Lichtdesign stammt in beiden Fällen von Joop Caboort und ebenfalls von Jiří Kylián. Die Einstudierung besorgten Cora Bos-Kroese, Elke Schepers, Shirley Esseboom, Yvan Dubreuil. Meist werden diese beiden Piecen hintereinander kombiniert gezeigt, wobei allerdings die „Sechs Tänze“ zwar früher entstanden sind, aber trotzdem zuerst das später kreierte Werk voran gestellt wird. Auch hier gingen die beiden Stücke verbunden durch eine musikalische Überbrückung und ohne Lichtpause ineinander über (die ungarischen Erstaufführungen fanden 2013 für „Petite Mort“ statt sowie 2001 für „Sechs Tänze“).
„Études“ von Harold Lander (1905–1971) zur Musik von Carl Czerny (1791–1857) und Knudåge Riisager (1897–1974) wurde 1948 in Kopenhagen uraufgeführt, ist bereits seit 2014 im Repertoire des Ungarischen Nationalballetts und vervollständigte als brillanter Schlusspunkt diese Matinee-Aufführung. In diesem Werk stellt der Choreograf das in vollendeter Form auf die Bühne, was eigentlich ohne Publikum täglich im Ballettsaal passiert: klassisches Training, beginnend mit Übungen an der Stange und sich in immer komplexere und kompliziertere Bewegungsabfolgen steigernd, kulminierend in diffizilen Schrittkombinationen, wird den bedeutenden Perioden im Ballett wie Romantizismus, Klassizismus und Neo-Klassizismus gehuldigt.
Technisch noch anspruchsvoller zu tanzen als die „Paquita Suite“, reüssierten hier solistisch mit virtuosem Tanz Maria Beck, Boris Zhurilov und András Rónai sowie das hervorragende Corps de ballet.
Virtuos getanzt: Maria Beck in „Études“ (© Attila Nagy)
Das edel spielende Hungarian State Opera Orchestra wurde von Imre Kollár umsichtig wie temporeich geleitet. Das Publikum war begeistert und spendete sehr viel Beifall.
Ira Werbowsky