Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BUCH: Tonhalle Zürich 1895 – 2021 • Inga Mai Groote, Laurenz Lütteken, Ilona Schmiel (Herausgeber)

17.12.2021 | Feuilleton

BUCH: Tonhalle Zürich 1895 – 2021 • Inga Mai Groote, Laurenz Lütteken, Ilona Schmiel (Herausgeber)

 Inga Mai Groote, Laurenz Lütteken, Ilona Schmiel (Herausgeber); Tonhalle Zürich 1895 – 2021; Bärenreiter Verlag; ISBN 9783761826089; 190 Seiten, Hardcover, gebunden.

 Eine würdige Festschrift

Vor gut 100 Tagen wurde die frisch renovierte Tonhalle in Zürich wiedereröffnet. Zu diesem Anlass ist im Bärenreiter-Verlag ein Buch zum Fellner&Helmer-Bau erschienen.

ton

Foto ©https://www.tonhalle-orchester.ch/media/publikationen/

1895 und 2021 ergeben kein rundes Jubiläum. Es sind, zusammen mit dem Jahr 1939, die Jahre, die für den Bau, den Umbau und die Renovation der Tonhalle entscheidend sind. Mit der Gründung der Tonhalle-Gesellschaft im Jahre 1868 erhielt das Engagement der Bürger für die Musik konkrete Form und der erste Schritt zum Bau eines Konzerthauses war getan. Das Konzerthaus sprach auf Grund seiner vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten, die mit dem Umbau von 1939 erweitert wurden, breite Schichten an. Von 2017 bis 2021 wurden Tonhalle und Kongresshaus gründlich renoviert. Beim Saal orientierte man sich grob gesagt am Zustand von 1895, beim Kongresshaus am Zustand von 1939.

Ulrike Thiele befasst sich in ihrem Beitrag «Casino, Kornhaus und Komponistenhimmel» mit der musikalischen (Vor-)Geschichte der Zürcher Tonhalle. 1717 wurde im alten Kornhaus Zürichs erster eigentlicher Musiksaal im Kornhaus neben dem Fraumünster eröffnet. Hier spielte sich im 18. Jahrhundert Zürichs Musikleben ab und hier gastierten 1766 Nannerl und Wolfgang Amadeus Mozart. 1806 wurde auf einem Geländeteil des ehemaligen Barfüsser-Klosters das Casino nach Plänen von Hans Caspar Escher errichtet. Hier tauchen nun zum ersten Mal die verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten auf: neben einem Konzertsaal mit 400 Plätzen enthielt das Gebäude auch noch einen Ballsaal und zwei Salons. 1867 wechselte man aus Platzgründen in das Kornhaus am See (1838/39 von Alois Negrelli erstellt), das man zu einer Tonhalle umbaute. Mit der Eröffnung des Stadttheaters (seit 1964: Opernhaus) am 1. Oktober 1891 war die Nachbarschaft von Konzerthaus und Theater, von 1834 bis zum Brand 1890 befand sich das Aktientheater in der Kirche des ehemaligen Barfüsser-Klosters, wiederhergestellt und gleichzeitig der Bau einer neuen Tonhalle forciert. Schliesslich sollten Fellner&Helmer auch den Bau der 1895 eröffneten Tonhalle übernehmen. Der Komponist, Dirigent und Geiger Friedrich Hegar, seit 1864 Kapellmeister des Aktientheaters und seit 1868 Dirigent der Tonhalle-Gesellschaft, prägte das Zürcher Musikleben im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts und war ein weiterer Motor des Baus einer Tonhalle. Im Komponistenhimmel, dem zentralen Decken-Medaillon des grossen Saals ist neben Wagner, Beethoven, Gluck, Haydn, Mozart, Händel und Bach Hegars enger Freund Johannes Brahms als einziger lebender Komponist dargestellt. Brahms, der bei der Eröffnung dirigierte, soll darüber nicht begeistert gewesen sein. Die alte Tonhalle wurde 1896 abgerissen: nur 40 Jahre später folgten dann grosse Teile der neuen Tonhalle. Nur die Säle wurde ins neue Kongresshaus integriert. Thiele schildert spannend, wo wurde vor 1895 musiziert wurde und warum man einen Neubau der Tonhalle wollte. Die Frage, wer den Neubau mit Klang füllte, zu beantworten, gelingt ihr leider nicht zufriedenstellend. Hier wäre ein Beitrag, der über die Nennung der ihre eigenen Werke dirigierende Komponisten hinausgeht, gerade angesichts der vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten des Baus mehr als wünschenswert.

Dietrich Erben ordnet in seinem Beitrag «Die Zürcher Tonhalle: Eine architekturgeschichtliche Szene» den Bau in seinen kunst- und kulturgeschichtlichen Kontext ein. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung zum Ende des Jahrhunderts ging man von der Sekundärnutzung bestehender Gebäude zum Neubau von Konzerthäusern über. Die späteren Charakteristika, die beiden Konzertsäle und der Gartenpavillon und die Öffnung zur Stadt, des Fellner&Helmer-Baus tauchten schon in den zum ersten Wettbewerb von 1887 eingereichten Entwürfen. Im Rahmen der Stadtentwicklung am Seebereich und der Fertigstellung des Alpenquais wurde im Dezember 1891 ein zweiter Wettbewerb ausgeschrieben. Aus Gründen, die hier nicht klar werden, beauftragte die Tonhalle-Gesellschaft am 28. März 1892 direkt das Büro Fellner&Helmer vergeben. Das entscheidende Charakteristikum der schliesslich gebauten Tonhalle war, der damalige Bau ist nur noch ferne Erinnerung, die in die Bedürfnisse bürgerlicher Repräsentation, den ästhetischen Genuss, eingebettete Primärfunktion des Konzertsaals. Vorbild für die Tonhalle war, gerade auch was das «Malerische» angeht, der für die Pariser Weltausstellung gebaute und im Rahmen der Weltausstellung von 1889 wieder ins internationale Bewusstsein gekommene Palais du Trocadéro. Damit setzte das selbstbewusste, sich für kosmopolitisch haltende Zürcher Bürgertum einen Massstab. Die architektonische Mode änderte sich aber und so kam es nach etwas mehr als 40 Jahren zum Teilabbruch. Der Kernbau wurde ummantelt und in das anlässlich der schweizerischen Landesausstellung von 1939 errichtete Kongresshaus integriert. Die architektonischen Qualitäten des Ursprungsbaus waren radikal getilgt.

Elisabeth Boesch, eines der vier Mitglieder des Kernteams, das für den Entwurf und die Ausführung der Renovation verantwortlich zeichnete, geht in ihrem Beitrag «Anspruchsvolle Kunst und gesellschaftliches Leben unter einem Dach – Die Tonhalle am See: Stationen einer Verwandlung» aus praktischer Sicht auf die Tonhalle und die Renovation ein. Das neue Kongresshaus, das an die Stelle des Baus von Fellner&Helmer trat, wurde vom Architektenbüro Häfeli Moser Steiger geplant und 1937 bis 1939 errichtet. Da vom alten Bau nur die Konzertsäle übernommen wurden, musste unter anderem auch die Besucherführung neu entstehen. Seither fasst ein langes Vordach den Eingang zu Kongresshaus und Tonhalle zusammen. In den 1980er-Jahren erfolgte ein weiterer Umbau zur Optimierung der Betriebsabläufe. Diesem wurde unter Anderem die freie Sicht auf die Berge geopfert. Für die Renovation von 2017 bis 2021 wurde der Bauzustand von 1939, der trotz aller Verluste ein Weiterbau des Bestehenden war, als Ausgangspunkt festgelegt. Für die Säle ist das Erscheinungsbild von 1895 die Richtschnur. Der zwischen 1906 und 1923 entfernte Raumschmuck blieb entfernt. Es wurde nur restauriert, was 2017 noch vorhanden war.

Karlheinz Müller und Michael Wahl befassen sich in ihrem Beitrag «Gelungenes Finale mit Schlussakkord – Die renovierte Akustik der Tonhalle Zürich» mit dem Klang des grossen Saals, der als einer der besten Konzertsäle der Welt gilt. Sie versuchen dieses weitgehend akzeptierte Urteil mit Fakten zu erklären. Leser mit naturwissenschaftlichem Verständnis werden hier sicher profitieren. Mit einem frei schwingenden Holzfussboden konnten Müller und Wahl, die beiden Akustiker der Renovation, den Klang erhalten und verbessern.

Der Textteil ist spannend geschrieben und hochinformativ. Die auftretende Künstler und die gespielten Programme hätten aber eine eingehendere Würdigung verdient.

Ein Bildteil mit den drei Kapiteln «Geschichte in Bildern», «Sanierung und Instandsetzung» und «Tonhalle Zürich 2021» visualisiert das Gelesene mit hochwertigen Abbildungen.

Eine würdige Festschrift!

16.12.2021, Jan Krobot/Zürich

 

Diese Seite drucken