Brünn: JANACEK-Festival (7.-18.10.) Eindrücke von den ersten Tagen…
8.10.: Die Matinee in der Janacek-Akademie der musischen Künste (JAMU)
wurde von Studenten dieser Hochschule gestaltet. Wir hörten den hoffnungsvollen Studenten des 3. Jahrganges Pavel Zemen sehr lyrisch, beinahe ätherisch Janaceks Klavierkompositionen spielen. Sehr reizvoll erklang desselben Autors Concertino für Klavier und div. Bläser – die vertonten Tiergeschichten lassen ans „Schlaue Füchslein“ denken…
8.10.: Theater Reduta (nachmittags) Chorkonzert – Prager Philharmonischer Chor
unter Chordirektor Lukas Vasilek mit Werken von Leos Janacek und Bohuslav Martinu. Der Chor besitzt hohe Tonkultur sowie Intonationssicherheit – ein Klangkörper von hoher Klasse (dies trifft übrigens auch für den 2 Tage später singenden Philharmonischen Chor Brno zu!). Unter den Solisten gefiel mir Pavla Vykopalova (siehe auch Besprechung „Katja Kabanova“): schöne, kultivierte Stimme, hohe Textverständlichkeit – um nur einige Vorzüge dieser Sängerin zu nennen…
8.10.: Besedni dum (abends)
Zweifellos der Höhepunkt des Tages und sicherlich einer des Festivals überhaupt. Auf dem Programm standen „Das Tagebuch eines Verschollenen“ (Janacek), Dvoraks „Zigeunermelodien“, Janaceks „Mährische Volkspoesie“ sowie eine Auswahl aus dem Klavierzyklus „Auf verwachsenem Pfade“. Der Tenor Ian Bostridge, für das „Tagebuch“ und Dvorak angekündigt, fiel leider krankheitshalber aus. An seiner statt konnte denkbar kurzfristig der ebf. englische Tenor Toby Spence gewonnen werden – kein „Ersatz“, sondern 1. Wahl! Dem Sänger liegt die Partie des jungen Landmanns hundertprozentig: in der Stimme, seinem Habitus und dem Durchleben dieser „Minioper“. Mit den Mitteln seiner lyrischen Stimme (zart im Piano, expressiv im Forte) weiß er jedem Wort seine Bedeutung zu geben in seinem sehr akzeptablen Tschechisch (oder besser: „Mährisch“ – es handelt sich tw. um Dialekt). Herr Spence IST dieser anfangs naive, durch die Liebesaffäre mit der Zigeunerin Seffka (Zefka) und deren Folgen gereifte junge Mann Jano. Seine Partnerin, die Mezzosopran istin Vaclava Krejci-Houskova ist ebenfalls eine Idealbesetzung der jungen Zigeunerin: ein Rasseweib in Gestalt und Stimme! Ihre Seffka ist quasi eine „kleine Schwester“ der Carmen (welche die Sängerin in der laufenden Produktion singt). Frau Krejci-Houskova sang noch zu Beginn des Konzerts (als „Einspringerin“) Dvoraks „Zigeunermelodien“ anfangs verständlicherweise etwas unsicher in die Noten blickend, sang sich aber bald frei und auch die „Mährische Volkspoesie“ erklang schließlich mit voller Glut ihrer jugendlichen und schlank geführten Simme.
Ein souveräner Partner der Sänger war der Pianist Julius Drake, welcher außerdem noch Janaceks Klavierwerke tiefgründig, erdig herb darbot.
9.10.: Matinee – JAMU (vormittags) – Studenten der Hochschule.
Es gab von Janacek Capriccio für Klavier linke Hand und Bläser, 2 Opernszenen sowie Orgelspiel. Ein überaus reizvolles Erlebnis war der Auftritt der 4 Kontrabässe: 4 fesche junge Herren gaben lustvoll und hoch musikalisch, meisterhaft gespielt 3 Werke (nicht von Janacek); ja, leider nur 3 – das Publikum erklatschte sich wenigstens eine Zugabe. Bravi!
9.10.: Janacek-Theater (nachmittags):
„Katja Kabanova“ in der mit Spannung erwarteten Inszenierung von Robert Carsen – es spielt doch alles im und am Wasser! Der Fluss Wolga wird realistisch und äußerst ausdruckvoll ausgeleuchtet mit diversen Blautönen (Peter van Praet), im Wasser werden Stege für die Akteure in verschiedener Weise arrangiert – und sonst gar nichts. Aber wie wirkungsvoll ist das! Man wähnt sich fast wie im Film…(Das Theater hat dafür einen Pool für 15000 l Wasser auf die Bühne gestellt!) Diese Szene füllt ein hochklassiges Team: Überragend Pavla Vykopalova als Katja: eine Idealbesetzung in Stimme und Typus. In der Ausweglosigkeit ihrer Lage und der Verzweiflung, jedoch Larmoyanz vermeidend, trotzdem eine starke Frau, ihrem Gefühl folgend – sehr berührend! Den Kontrast zu dieser Figur bildet ihre Schwiegermutter Kabanicha, vielleicht die unsympathischste Gestalt der Opernliteratur: wunderbar keifend Eva Urbanova. Gelungen kontrastvoll die beiden Männer um Katja: ihr Muttersöhnchen-Gatte Tichon (Gianluca Zampieri)und der unentschlossene Boris von Magnus Vigilius, beide nicht nur stimmlich und spielerisch präsent, sondern auch ziemlich gut tschechisch singend. Petr Levicek gefiel als quirliger Kudrjas und Lenka Cermakova (Varvara) mit saftig samtigem Mezzo und lebhaftem Spiel. Allen Solisten, Chor (Pavel Konarek) und Orchester (Dirigent: Ondrej Olos) gebührt ein großes Lob!
9.10.: Besedni dum (abends):
PKF – Prager Kammerphilharmonie und Ivo Kahanek (Klavier). Es erklang eine Orchester-Ballade „Des Spielmanns Kind“ von Janacek, das 2. Klavierkonzert von Bela Bartok in der virtuosen Darstellung des Solopianisten sowie „Musik für Streicher, Schlagzeug und Celesta „, ebf. Von Bartok unter dem charismatischen Dirigat von Tomas Brauner.
10.10.: Besedni dum (abends):
Chorkonzert Tschechischer Philharmonischer Chor Brno mit 4 Werken von Vitezslav Novak (Mährische Volkspoesie), Bohuslav Martinus 4 Madrigale (ebf. Mährische Volkspoesie) und schließlich sein „Hymnus an St. Jakob“ – eine Hommage an seine Geburts- und Kindertageskirche in Policka (siehe den Bericht im Juli-Heft!). In dieser einnehmenden Komposition konnte man auch hochqualifizierte Solistinnen/Solisten aus dem Chor hören: schlanke, dem Werke adäquate Stimmen. Zum Einsatz kam hier auch der Orgelvirtuose Martin Jakubicek, der auch noch in einer Kantate von Petr Reznicek zu hören war.
Die Kantate „Regina coeli“, vom Chordirektor Petr Fiala verfasst, effektvoll alle stimmlichen Möglichkeiten des Chors ausnutzend, kam mir etwas zu lang vor. Ein Fehlgriff war der Solosopran (kein Mitglied des Chors!): eine harte, rasierklingenscharfe Stimme mit Intonationsproblemen.
Und als Höhepunkt 3 Herrenchöre von Janacek, kraftvoll und erdig, dramatisch (selbstredend ohne zu forcieren) gesungen!
13.10.: Divadlo na Orli:
Dieses intime Theater ist eine Studiobühne der Fakultät für Musik und Theater – JAMU. Auf dem Programm stand Edvard Griegs „Mädchen aus den Bergen (Haugtussa)“ und (die Neugierde war groß!) „Das Tagebuch eines Verschollenen“. Verantwortlich für die Bühnenfassung beider Stücke war „Opera povera“ in Zusammenarbeit mit der Oper Bergen. Regie und szenisches Kozept: Rocc. Die Bühne dominierte im 1. Stück eine Mondscheibe, welche sich durch Videoprojektionen eindrucksvoll verwandeln ließ und auf welcher dankenswerterweise die tschechische Übersetzung der norwegischen Originaltexte zu lesen war. „Haugtussa“ – ein ca ½- stündiger Liederzyklus erklang in der Interpretation der armenischen Mezzosopranistin Juliette Galstian: eine majestätische, imposante Erscheinung mit ebensolcher Stimme. Etwas zu breit ausladend, sang und spielte sie die Lieder sehr intensiv. Für diesen intimen Rahmen fand ich es allerdings überdimensioniert (ich hätte für beide Stücke eine frischere, schlankere Stimme vorgezogen).
Die Sängerin wurde im nahtlos anschließenden „Tagebuch“ zur Seffka, ebf. in der Originalsprache, und sang ein sehr akzeptables Tschechisch. Ihre Seffka wirkte allerdings ziemlich streng; begreiflich, dass sie dem schüchternen Jano zunächst Angst einflößt…
Jano – der Verschollene: der Firstclass-Tenor Ales Briscein hatte gegenüber Toby Spence den Vorteil des Muttersprachlers. Jedoch die Darbietungen beider Sänger, so verschieden sie sein mögen, stehen absolut gültig nebeneinander. Herr Briscein konnte zu seinem sich mittlerweile zum Spinto entwickelnden Tenor noch ein geschmackvoll expressives Spiel zeigen. Erfreulich jugendlich und schlank singend und spielend war das Damenterzett.
Am Flügel gleichwertiger und souveräner Partner der Sänger war Jiri Hruby.
Anmerkung zum Schluss: Für die Vokalproduktionen, insbesondere Chorkonzerte, wäre ein Text zum Programm, möglichst (da viele ausländischer Besucher zugegen waren) auch in deutscher und englischer Übersetzung hilfreich. Die Festivaldirektion versprach bereits für die nächsten Festivals Nachbesserung – vielen Dank im voraus!
Dana Herzowa