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BRÜNN/ BRNO/ Janacek-Theater: „BDĚNÍ“ – großer Publikumserfolg für die Ballettpremiere

04.11.2023 | Ballett/Performance

Brno  

03.11.2923: „BDĚNÍ“. – großer Publikumserfolg für die Ballettpremiere im Janáček -Theater

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Rin Isimuro in „Sleepless“. Foto: Pavel Hejný

Dieser Tage ist Brno das europäische Zentrum für den Tanz: als Gastgeber für Opera Europa´s Dance Forum & Positioning Ballet fungierend, folgten 50 artistic directors von europäischen Ballettcompagnien der Einladung zum dreitägigen Joint Meeting (3. – 5.November im Reduta Theatre) um sich auszutauschen.

Beginnend mit 5. November startete außerdem das einwöchige Festival Dance Brno 2023, in dem sich tschechische Ballettensembles präsentieren. Da heuer auch der 30. Jahrestag der Teilung der Tschechoslowakei in Tschechien und die Slowakei begangen wird, sind als Gäste slowakische Compagnien eingeladen. (Siehe detaillierte Programminformation unter: https://dance-brno.cz/en/program/ ).

Höhepunkt dieses Tanzschwerpunktes im November ist die aktuelle Ballettpremiere: „Bdĕní“ – so der Über-Titel – lässt sich mit Schlaflos übersetzen. Im Nationaltheater Brno, dem nach dem berühmten Komponisten benannten Janáček  Theater, wurden drei sehr unterschiedliche zeitgenössische Werke aufgeführt: „Waves“ von Radu Poklitaru, „Sleepless“ von Jiří Kylián und „White Darkness“ von Nacho Duato.

In seiner Ansprache vor Beginn der Vorstellung würdigte Mário Radačovský, der künstlerische Direktor des Balletts des Nationaltheaters Brno, nicht nur das Außergewöhnliche an diesem Ballettabend durch die zahlreichen anwesenden Ballettdirektoren und -direktorinnen, sondern begrüßte mit den Worten „every ballet premiere is unique, but this evening is special“ die im Publikum sitzenden Choreografen Radu Poklitaru, Jiří Kylián und für Nacho Duato, der leider nicht kommen konnte, Gentian Doda, der die Einstudierung vorgenommen hatte.

Den Beginn des dreiteiligen Programms machte die Uraufführung von „Waves“ von Radu Poklitaru. Der gebürtige Moldawier, der seit vielen Jahren als artistischer Direktor das Kyiv Modern Ballet leitet, erarbeitete mit dem Ballett des Národni divadlo Brno seine neueste Choreografie zu einer Musikcollage mit Kompositionen von Johann Sebastian Bach und ukrainischen Volksliedern, gesungen von Nina Matvienko. Die bekannte ukrainische Künstlerin verstarb kurz vor ihrem 76. Geburtstag vor wenigen Wochen im Oktober. Im Gedenken an die bis ins hohe Alter noch aktive Sängerin widmet Radu Poklitaru sein Stück „to the fate of women and to the memory of this phenomenal artist“. Erstmals seit langem schuf er mit „Waves“ eine Kreation für ein anderes als sein eigenes Ensemble. Ausgehend von der Reflexion der Natur vom menschlichen Glücksempfinden setzt er das als Kontrapunkt zu einem Leben in kompletter Abgeschlossenheit: Gleichsam in Wellen strömen uneingeladene Gruppen von Menschen in das Leben einer Frau, die sich stets in ihren eigenen vier Wänden aufhält und es kommt zu teils skurrilen Begegnungen – doch letztlich bleibt die Frau in ihrer grauen Welt alleine zurück und die bunte Lebendigkeit bleibt draußen (Set und Licht Design: Andrey Zlobin; Kostüme: Dmytro Kuriata). Großartig Anna Yeh als „Sie“ – mit großer Beweglichkeit wie körperlicher Biegsamkeit meistert sie ausdrucksstark die unerwarteten Begegnungen mit den anderen Menschen, die in ihren Hort des Alleinseins eindringen. Das  Ensemble agiert im kompakten Pulk oder in verschiedenen Konstellationen, in denen sich Charaktere des normalen Lebens herauskristallisieren wie die Liebenden (Klaudia Radačovska und Arthur Abram, die Mutter (Eriko Wakizono), die unerwünschte Freundin (Klaudia Lakomá), der Ehemann (Ilya Mironov), die  Tochter (Gloria Benaglia) oder die beiden Machos (Glen Lambrecht und João Gomes).

Fortgesetzt wurde nach der Pause mit „Sleepless“ – namengebend für diesen besonderen Ballettabend. Jiří Kylián hat die abschließenden Proben seines Stücks hier in Brno persönlich abgehalten und somit erstmals mit der Compagnie gearbeitet. Es war daher eine besondere Ehre und Freude, ihn für diese Premiere in Brno zu haben, war doch Mário Radačovský früher als Tänzer im Nederlands Dans Theater (NDT) engagiert. Heute weltweit als einer der berühmtesten zeitgenössischen Choreografen bekannt, begann Jiří Kylián seine Ballettausbildung in Prag und setzte sie an der Royal Ballet School in London fort, für die er ein Stipendium erhalten hatte. Bereits in seinem Engagement als Tänzer beim Stuttgarter Ballett unter John Cranko begann er ebendort zu choreografieren. Er war jahrelang artistic director vom Nederlands Dans Theater und hat dort nicht nur viele Kreationen geschaffen sondern auch viel für den Tanz bewirkt, u.a. gründete er Nederlands Dans Theater II für junge Tänzer und initiierte Nederlands Dans Theater III für ältere Tänzer.   

Dieses Stück hat Jiří Kylián ursprünglich für NDT II geschaffen. Er hat das Werk den unzähligen schlaflosen Nächten gewidmet, die man als kreativ Schaffender oftmals hat. Inspiriert von den Bildern des argentinischen Malers Lucio Fontana, der seine Bilder zerschnitt um sie aus der Zweidimensionalität herauszuheben, wollte Kylián hier auch im Tanz eine zusätzliche Dimension realisieren. Dies setzte er durch eine quer über die Bühne aufgehängte große weiße Plastikplane um, die durch vertikale Schnitte in 8 Felder unterteilt ist und wo die Tänzer oder deren Körperteile durch diese Schlitze hinaus- und hinein gleiten. Damit symbolisieren sie tänzerisch gleichsam nicht nur den Gedanken des Kreierens und den umgesetzten Prozess desselben sondern auch das sich Hinwenden zu etwas oder doch gleichzeitig davon abwenden. Wie das Design, das Jiří Kylián entwarf, gestaltete er auch das Musik-Konzept (Collage: Dirk Haubrich und Wolfgang Amadeus Mozart). Die Kostüme stammen von Joke Visser und das Licht Design von Kees Tjebbes. Das Spiel mit Licht und Schattenbild bringt spannende Momente und interessante Effekte, indem die Tänzer mit dem eigenen Schatten und damit mit sich selbst im Duett tanzen oder wenn der Schatten der Tänzerin die Plastikplane zuerst erreicht und zurückschiebt, bevor die Tänzerin diese erreicht hat. Meisterhaft setzen die sechs Tänzerinnen und Tänzer die Choreografie um: Anna Yeh und Rin Isomura, Ivona Jeličová und Quinn Roy sowie Barbora Rašková und Shoma Ogasawara: dafür gab es  Standing Ovations vom begeisterten Publikum.

Den Abschluss des Abends brachte nach der zweiten Pause „White Darknesss“ von Nacho Duato. Der gebürtige Spanier tanzte im Cullberg Ballet in Stockholm und bereits ein Jahr später brachte ihn Jiří Kylián ins Nederlands Dans Theater nach Holland. Bald begann er dort zusätzlich zu seinen Auftritten als Tänzer zu choreografieren. Zahlreiche Ballettensembles haben Werke von Nacho Duato im Repertoire, er selbst leitete mehrere Compagnien wie die Compania Nacional de Danza, das Mikhailovsky Ballet und das Staatsballett Berlin. In „White Darkness“ verarbeitete Nacho Duato den Drogentod seiner Schwester. So hat seine Hauptfigur allen Glauben an die Liebe und das Leben verloren, sucht Trost in den Drogen, findet aber keine Erlösung sondern erfährt noch tiefere Enttäuschung, Verzweiflung und Isolation. Immer wieder rieselt weißes Pulver von der Bühne herab, zeichnet Spuren auf dem Boden. Dieses Verlorensein und die qualvolle Verstrickung in der Abhängigkeit vom Suchtmittel werden zutiefst berührend von Emilia Vuorio verkörpert, sensibel gepartnert von Arthur Abram. Die vier Paare Sarah Dadonova, Hugo Martinez, Se Hyun An, Robert Hyland, Klaudia Lakomá, Shoma Ogasawara, Taela Paltridge und Rin Isomura unterstreichen dabei die Eindringlichkeit des Bühnengeschehens. Auch hier wieder Standing Ovations.

Mit dieser Ballettpremiere präsentiert sich das Ballett des Nationaltheaters Brno sehr eindrucksvoll in den verschiedenen Stilen der Choreografien und überzeugt erneut durch Technik, Ausdruck und Präsenz.

Ira Werbowsky

 

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