BRNO/Janacek-Theater, 28.09.2024: „CYRANO DE BERGERAC“. – poetisch-ästhetisch feines Balletterlebnis
Anna Yeh als Roxana und Shoma Ogasawara als Cyrano de Bergerac. Foto: Pavel Hejny
Am Vorabend fand die Welturaufführung dieser neuesten Kreation von Jiří Bubeníček im Janáček Theater statt – sicherlich ebenso umjubelt wie die 2. Vorstellung am darauffolgenden samstäglichen Feiertag, dem St. Wenzeltag, ebenfalls von der Premierenbesetzung getanzt.
Der berühmte Tänzer, der viele Jahre in Hamburg und Dresden engagiert war, beschäftigt sich schon lange mit Choreografie, zählen doch mittlerweile rund 70 Piecen zu seinem Oeuvre, darunter Miniaturen, abstrakte Stücke, aber auch Handlungsballette. Am liebsten verarbeitet Jiří Bubeníček in seinen Abendfüllern Themen, die noch nie oder nur selten als Handlung in einem Ballett vorgekommen sind.
Für diese Premiere in Brno hat er sich für eine literarische Vorlage entschieden, die weltbekannt ist, denn die Handlung des Balletts orientiert sich an Cyrano de Bergerac von Edmond Rostand, einem 1897 veröffentlichten Vers-Drama, basierend auf der Person von Hector Savinien Cyrano de Bergerac, der in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts tatsächlich gelebt hat.
Die Titelfigur ist nicht nur exzellenter Degenfechter, sondern auch ein exzellenter Dichter, der jedoch unter seiner großen Nase leidet. Verliebt in seine Cousine Roxana, befürchtet Cyrano de Bergerac jedoch deren Ablehnung und verheimlicht ihr deshalb seine wahren Gefühle. Als er aber erfährt, dass Roxana für Kristian de Neuvillette Zuneigung empfindet, unterstützt er diesen in selbstloser Empfindsamkeit, indem er Liebesbriefe in Kristians Namen verfasst, die Roxana in ihrer Seele berühren. Cyrano verhilft den beiden auch zur Hochzeit, um sie dadurch vor Graf Guiche zu bewahren, der die hübsche Roxana gern als seine Geliebte gesehen hätte. Aus Rache schickt der Graf sowohl Cyrano als auch Kristian mit den Gascogner Kadetten in den Krieg. Auch dort verfasst Cyrano weiterhin täglich zwei Liebesbriefe an Roxana, die ihr über die feindlichen Linien hinweg zugestellt werden. Wegen dieser Post eilt Roxana sogar an die Front um ihren Christian zu sehen und um ihm zu gestehen, dass sie ihn vor allem wegen der Schönheit seiner Seele liebt, ausgedrückt in den wunderschönen Liebeszeilen. Kristian stirbt im Kampf bevor er aufklären kann, wer der tatsächliche Verfasser ist und Cyrano schweigt, um der trauernden Roxana das Andenken an ihren Kristian zu bewahren. Roxana zieht sich ins Kloster zurück und wird dort über 15 Jahre jeden Samstag von Cyrano besucht. Einmal verspätet er sich, denn er ist schwer verwundet, was er vor Roxana verbirgt und ihr mit Aufbietung aller Kraft den letzten Liebesbrief von Kristian vorliest. Als ihm das Papier aus Schwäche entgleitet, er aber den Text weiter memoriert, erkennt Roxana die wahren Zusammenhänge: der in ihren Armen sterbende Cyrano war der Verfasser der Schreiben, die ihre Seele so berührten.
In seiner Choreografie setzt Jiří Bubeníček auf seine spezifische zeitgenössische Bewegungssprache, in der er hier auch Elemente an historischem Tanz und klassischem Ballett integriert und so den Tanz vom Barock ausgehend dennoch im 21. Jahrhundert verortet. Auch einige komische Momente kommen zum Zug, um die Dramatik ein wenig abzufedern. Originell die einleitende Szene, in der die vier Hauptpersonen um einen Tisch geschart sind und sich ihre Requisiten aussuchen – für den Tänzer des Cyrano bleibt nur die Nase, die er mit wenig Begeisterung rollenentsprechend annimmt – am Ende schließt sich der Kreis, wenn die Vier ihre Requisiten (Stock, Fächer, Hut) wieder zurücklegen und Cyrano zunächst seine Nase abgibt, sie allerdings nach einem Augenblick des Besinnens wieder ergreift und mit Stolz erhobenem Haupt und großer Nase von der Bühne abgeht. Die innigen Pas de deux, in denen es um die verheimlichte Liebe geht, sind ergreifend schön, sehr gelungen ist aber der gesamte dramaturgische Ablauf.
Das praktikable Setting, das rasche Wechsel auf offener Bühne erlaubt, stammt von Zwillingsbruder Otto Bubeníček, der ebenfalls jahrelang erfolgreicher Tänzer im Hamburg Ballett war und sich nun diversen kreativen Projekten zugewandt hat wie u.a. Musical, Kurzfilm sowie szenisches Design.
Beide Brüder wurden bereits als verdiente Künstler mit vielen Auszeichnungen und Ehrungen gewürdigt und zählen als Tänzer zu den bedeutendsten in der tschechischen Ballettgeschichte.
Die Kostüme, die dem Inhalt entsprechend historische Anleihe am Barock nehmen, wurden von Nadina Cojocaru entworfen. Die Designerin hat bereits in einigen Produktionen mit ihrem Mann Jiří Bubeníček zusammengearbeitet.
João Gomes (Kristian de Neuvillette) und Shoma Ogasawara (Cyrano de Bergerac). Foto: Pavel Hejny
Auch in der Auswahl an Musik orientiert sich Jiří Bubeníček vorwiegend, aber nicht ausschließlich am Barock – so werden Kompositionen von Johann Sebastian Bach, Jean-Baptiste Lully, Georg Friedrich Händel, Alessandro Scarlatti, Antonio Caldara, Antonio Vivaldi, Tomaso Albinoni und Wolfgang Amadeus Mozart verwendet. Als Besonderheit in seiner Inszenierung setzt Jiří Bubeníček nicht nur eine Sängerin und einen Gitarristen ein, die auf der Bühne ins Spiel integriert sind, sondern auch einen Schauspieler, der im Handlungsverlauf wesentliche Textzitate (auf Tschechisch, mit englischen Übertiteln) spricht.
Die Ballettcompagnie vom Nationaltheater Brno, geleitet von Mário Radačovský, besticht durch viel Animo und jugendliche Frische. Allen voran reüssiert Shoma Ogasawara in der Titelrolle mit viel Herz, Feingefühl, starkem Ausdruck und exquisiter tänzerischer Technik. Mit viel Bühnenpräsenz verkörpert er wunderbar den mutigen Fechtkämpfer und ist zugleich der sensible Gefühlsmensch. Mit seiner großen Nase hadernd, ist er ein sich uneigennützig für die anderen einsetzender Freund, der seine echten und tiefen Gefühle nach außen verbirgt und innerlich sehnsuchtsvoll auf erfüllte Liebe hofft, was er jedoch nie zugeben würde.
Im aufgespannten Liebesdreieck überzeugt Anna Yeh als Roxana. Sie ist eine elegante Tänzerin mit viel emotionaler Tiefe. Sie sieht ihren Cousin Cyrano nur als lieben Freund, aber nicht als liebenden Mann – romantische Gefühle hegt sie für Kristian und vor allem die seelenvollen Texte sprechen ihr Herz an, ihre Erkenntnis über den echten Briefschreiber kommt zu spät.
João Gomes gefällt als Dritter im Dreieck der Gefühle. Als verliebter Baron Kristian de Neuvillette hat er Angst, dann Roxana zu verlieren, würde er zugeben, dass er sich eigentlich textlich mit fremden Federn schmückt.
Als Count de Guiche findet Ilya Mironov Gefallen an der hübschen Roxana und ist dann im Kriegsgeschehen um ihre Sicherheit besorgt, nachdem er zuvor wegen der vereitelten Hochzeit seine beiden Widersacher in den Krieg geschickt hat.
Schauspieler Jakub Svojanovský macht gute Figur, indem er mit seinen Rezitationen souverän die Handlung begleitet.
Der schöne, klare und warme Sopran von Romana Kružiková unterstreicht die romantische Note im Handlungssetting, Adam Trunečka ist als Gitarrist immer wieder im Lauf der Geschichte mitten im Geschehen auf der Bühne.
Das grandiose Orchester der Janaček Oper des Nationaltheaters Brno spielt live unter der sorgsamen und umsichtigen Leitung von Jakub Klecker. Hervorzuheben sind hier vor allem Daria Savvateeva, die einfühlsam sowohl am Klavier als auch am Cembalo zu erleben ist sowie Tatsiana Drobysh als gefühlvolle Mandoline-Spielerin.
Dieses spartenübergreifende Gesamtkunstwerk vereint Tanz, Gesang, Sprache und Musik in einer feinen, poetischen wie ästhetischen Symbiose, die zutiefst berührt und das Publikum begeistert hat, wie der heftige und lang anhaltende Beifall und die Standing Ovation bewiesen.
Brno hat immer viel an Kultur zu bieten: wenn man nicht zu den sehenswerten Ballettvorstellungen kommt, so sind auch Oper und Musik immer sehr präsent: aktuell findet von 1. – 24.November mit Janáček Brno 2024 das 9. Internationale Opern- und Musikfestival statt, gleich im Anschluss daran steht Brno als europäische Weihnachtshauptstadt von 22. November bis 24.Dezember ganz im Zeichen von weihnachtlicher Tradition.
Ira Werbowsky