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BRNO/ Brünn: NdB Ballett: „COCO CHANEL“. –  eine bemerkenswert eindrucksvolle Tanzproduktion über eine bemerkenswert eindrucksvolle Frau

04.05.2024 | Ballett/Performance

03.05.2024 „COCO CHANEL“. –  eine bemerkenswert eindrucksvolle Tanzproduktion über eine bemerkenswert eindrucksvolle Frau

 In seiner 10. Saison als artistic director des NdB Ballet bringt Mário Radačovský ein neues abendfüllendes Ballett auf die Bühne, für das – wie schon zuvor mit Warhol, Beethoven oder Michelangelo – er sich von einer historischen Persönlichkeit inspirieren ließ. Dieses Mal beschäftigte er sich mit Coco Chanel (1883 – 1971), die als Modeschöpferin  zu ihrer Zeit die Damenmode revolutioniert hat und als außergewöhnliche Frau durch ihre Selbstbestimmtheit, Unabhängigkeit und Zielstrebigkeit imponierte. Aus ärmlichen und schwierigen Verhältnissen stammend – die Mutter starb früh, der Vater verließ die Kinder – landete Coco (eigentlich Gabrielle) im Waisenhaus. Sie verdiente Geld durch Näharbeiten und sang in Varietés – es heißt, dass sie wegen eines von ihr oft interpretierten Chansons den Namen Coco angenommen hat. Ihre Hutkreationen erregten Aufsehen in der Modewelt und mit der Eröffnung ihres Modeateliers in Paris wurde aus der kleinen Modistin die erfolgreiche Chefin eines riesigen Modeimperiums. Trotz ihres beruflichen Erfolges blieb ihr privates dauerhaftes Glück verwehrt. Sie war mit zahlreichen Künstlern und Intellektuellen befreundet – darunter  u. a. Igor Strawinsky, Jean Cocteau, Pablo Picasso und Salvador Dalí. Für Sergei Diaghilews Compagnie Ballets Russes entwarf sie die Kostüme für „Le Train Bleu“ (Choreografie: Bronislava Nijinska; Musik: Darius Milhaud). Auch Winston Churchill und der Herzog von Westminster zählten zu ihren Freunden. Sie hatte zahlreiche Liebesaffären, darunter in der NS-Zeit eine mit dem Diplomaten und Spion Hans Günther von Dincklage, was ihr Anschuldigungen der Kollaboration einbrachte, sodass sie gezwungen war, Frankreich zu verlassen und eine Zeitlang in der Schweiz zu leben. Ihre große Liebe war Arthur Capel, der allerdings bei einem Autounfall tödlich verunglückt. Unangepasst, unkonventionell und emanzipiert war sie eine der schillerndsten Frauen des 20. Jahrhunderts. Als Modeschöpferin befreite sie die Damen vom Korsett und entwarf Mode in schlichter Geradlinigkeit, bequem und dennoch sehr elegant. Ihr Name ist untrennbar nicht nur mit Kreationen wie dem „kleinen Schwarzen“ und dem Chanel-Kostüm verbunden, sondern auch mit dem Parfum „Chanel No.5“.

Als Aufführungsort für diese Uraufführung dient das reich verzierte und prunkvoll ausgestattete Mahen Theater (Mahenovo divadlo), das zunächst als deutsches Stadttheater nach den Plänen von Ferdinand Fellner und Hermann Helmer im historisierenden Stil in kürzester Zeit (Juli 1881 bis Oktober 1882) erbaut wurde und erst seit 1965 den Namen des tschechischen Dramatikers und Dichters Jiři Mahen trägt. Nach den verheerenden Auswirkungen des Ringtheaterbrandes 1881 in Wien entstand hier das erste Theaterhaus, das mit strengeren Auflagen an Sicherheitsvorkehrungen errichtet wurde – so war es ein freistehendes Gebäude und das erste voll elektrifizierte Theater in Europa, das seinen Strom von einem eigenen nahe gelegenen Dampfkraftwerk bezog. Das Architekturbüro Fellner und Helmer war auf Theaterbauten spezialisiert und war daher für die Planung zahlreicher derartiger Gebäude europaweit zuständig, die heutzutage in Ungarn, Tschechien, Rumänien, Deutschland, Kroatien, Polen, Ukraine, Slowakei und der Schweiz liegen. In Österreich entstanden u.a. nicht nur das Ronacher und das Volkstheater sowie das Konzerthaus und das Akademietheater in Wien nach Plänen dieser beiden Architekten, sondern auch das Landestheater in Salzburg, das Opernhaus in Graz sowie die Stadttheater in Baden und Klagenfurt.

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Das Corps de ballet in den edlen Chanel-nachempfundenen Kostümen © Martin Divíšek

Mit der Geschichte von Coco Chanel ist es Mário Radačovský überzeugend gelungen eine faszinierende Frauenfigur ins Zentrum seiner neuesten Tanzproduktion zu stellen. Getanzt wird in zeitgenössischer fließend-dynamischer Bewegungssprache, die u.a. auch Hip Hop-Elemente enthält. Seine Intention ist es dabei weniger ihre aufregende Lebensgeschichte zu erzählen, sondern sie als starke und doch sensible Frau zu zeigen, die unbeirrbar ihren Weg geht, trotz ihres Erfolges oft einsam ist und mit ihren umwerfenden Kreationen die Welt der Mode auf den Kopf stellt. Im Fokus stehen dabei neben den von ihr entworfenen Hüten und dem kreierten Parfum vor allem die designte Mode und deren Präsentation als Fashion Show.  Episoden aus ihrem Leben wie die Bekanntschaft mit Etienne und Émilienne – aus der ursprünglichen Rivalität der beiden Frauen wird schließlich Freundschaft – sind ebenso skizzieret wie die Liebesbeziehung zu Arthur und die fatale Begegnung mit Hans. In seinem bewährten Leading-Team schuf Ľudmila Várossová die wunderschönen exquisiten Kostüme ganz im Stil von Coco Chanel und Marek Hollý die praktikable Ausstattung, die die Drehbühne wie auch den Orchestergraben und den Zuschauerraum miteinbezieht. Die Fotoprojektionen stammen von Arthur Abram. Die verwendete Musik (eingespielt vom Tonträger) entstand in Zusammenarbeit mit Petr Duchalik und ist eine Collage u.a. mit Kompositionen von Arvo Pärt (Fratres For Violin, String Orchestra and Percussion) und Dmitri Shostakovich (Piano ConcertoNo. 2, op. 102: andante) sowie dem berühmten Jacques Brel Chanson „Ne me quitte pas, Ne me quitte pas“ und Werken von anderen Musikschaffenden.

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Kristýna Kmentová als Coco Chanel, auf den Schultern von Adrian Sánchez als Arthur
© Martin Divíšek

In der Titelrolle reüssierte Kristýna Kmentová mit starker Bühnenpräsenz. Die Halbsolistin und Gasttänzerin verkörperte Coco Chanel als selbstbewusste, oft nachdenklich-sinnierende Frau, die, stets kraftvoll ihr Ziel, erfolgreich zu sein, im Blick habend, nach Liebe suchend und sich selbst nie aufgebend ihren Weg geht. Spannend und forcierend gestaltete sie gemeinsam mit Ilia Mironov (Etienne) und Emilia Vuorio (Freundin Emilienne) deren Dreicksbeziehung und ist hingebungsvoll und dennoch emanzipiert in ihrer tiefen Liebesbeziehung mit Arthur, sehr empfindsam dargestellt von Adrian Sánchez. Glen Lambrecht als Hans vervollständigt die wesentlichen Hauptcharaktere. Eine besondere Rolle kommt dem Corps de ballet zu, das nicht nur als Schneiderinnen mit Nähmaschinen und Scheren auftritt, sondern vor allem in der Fashion Show voll Esprit souverän die verschiedenen Kleiderkreationen präsentiert.

Das Publikum spendete viel begeisterten Applaus und es gab Standing Ovations für diese eindrucksvolle Tanzkreation!

Ira Werbowsky    

 

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