BRISBANE/Australien: SIEGFRIED und GÖTTERDÄMMERUNG – Premiere am 5. Und 7. Dezember 2023
Ein gelungener „Ring“ mit Digital Content Design and Programming
Stefan Vinke (Siegfried), Andreas Conrad (Mime). Foto: Wallis Media/Opera Australia
Wieder hören wir zu Beginn des „Siegfried“ das gesamte Vorspiel vor geschlossenem Vorhang, ein in Europa heutzutage nahezu nicht mehr zu erlebender Wunsch des Komponisten Richard Wagner, und den meisten anderen, sich allein musikalisch auf das Kommende einzustimmen. Die wieder in langen Girlanden und kosmopolitisch in vielen Sprachen „herunterrinnenden“ Titel des „Ring des Nibelungen“ und einige thematisch sinnvolle Lichtspiele auf dem Vorhang wirken dabei, wie auch an den anderen Abenden, für das Publikum konstruktiv begleitend. Und in der Tat lässt Philippe Auguin am Pult des Queensland Symphony Orchestra das Atmen Fafners in der schon an den anderen Abenden hervorragend spielenden Blechbläsergruppe düster erklingen, sodass man ahnen kann, was im 2. Aufzug zu erwarten ist. Mimes Schmiede ist in der rechten Ecke angelegt, während zwei Drittel der Bühne dunkel sind. Sie deuten den noch nicht sichtbaren düsteren Wald an, aus dem bald darauf Siegfried mit einem Bärenkopf und der Wanderer im schwarzen Lackledermantel mit dem obligaten Hut hervorkommen. Dezent sind in der digitalen Optik von Chef-Designerin Leigh Sachwitz seitlich Feuerspiele zu sehen, um die Esse von Mimes Schmiede anzudeuten.
Der gute optische Eindruck wird aber sogleich erheblich beeinträchtigt, wenn Mime statt auf einem Schwert mit metallischer Klangbildung, die auch auf die dazu passende Musik aus dem Graben abgestimmt wäre, auf der Polyesterfläche der Schmiede regelrecht Krach machend herumklopft – ein absolutes no go! Wie kann es sein, dass solche Disharmonie der musikalischen Leitung nicht auffällt, beziehungsweise, dass sie nichts dagegen unternimmt? Eine kleine gestimmte Metalleinlage in der Schmiede würde genügen. Dass Siegfried kurz darauf auch noch ein Holzschwert zerknickt, wirkt dramaturgisch ebenso unpassend wie unglaubhaft. Entschädigt wird man aber sogleich, wenn Stefan Vinke als der Siegfried von Brisbane, der er auch schon vor zehn Jahren in Melbourne war, auf die Bühne zu Mime stürmt und ein astreines hohes C gleich im ersten Anlauf auf „Hahahaha!“ singt! Was sich dann zwischen beiden entwickelt, ist einer der Höhepunkte dieser „Ring“-Produktion. Stimmlich passt Vinke mit Andreas Conrad als Mime perfekt zusammen, und sie spielen auch mit großer emotionaler und äußerst glaubhafter Intensität. Vinke, als der wieder nahezu perfekt singende Heldentenor mit klarer Diktion, kraftvollen Höhen und einem tiefen Verständnis sowie entsprechend authentischem Spiel des Siegfried, und Conrad mit seinem erstklassigen, sehr tenoralen sowie in Abgrenzung zu Vinke passenden Charaktertenor. So gewann der 1. Aufzug große dramatische Dichte, durchaus auch mit dem Auftreten von Daniel Sumegi als Wanderer. Er klang hier besser und entspannter als in der „Walküre“, obwohl seine stimmtechnischen Probleme weiterhin hörbar waren.
Stefan Vinke (Siegfried) vor Fafner, dem Drachen. Foto: Wallis Media/Opera Australia
Zu Beginn des 2. Aufzugs haben wieder die Blechbläser ihren großen Auftritt und schaffen unter der erfahrenen Hand von Philippe Auguin eine beeindruckende nächtliche Fafner-Atmosphäre, die mit einer dezenten digitalen Bildgebung auf den Stelen optimal untermalt wird. Wieder ist festzustellen, wie Regisseur Chen Shi-Zheng und Designerin Leigh Sachwitz ihre Bildphantasien passend zu den szenischen Vorgaben entwickeln und so in den Dienst derselben stellen. Damit entsteht meist eine sehr harmonische Beziehung zwischen theatralischer, optischer und musikalischer Komponente – ein großes Plus dieser Produktion! Langsam, fast unmerklich, kommen nun die Bäume eines düster dräuenden Waldes auf den Stelen hervor. Wir erleben einen sehr gut choreografierten Dialog zwischen dem wieder ebenso stimmgewaltigen wie ausdrucksstarken Alberich Warwick Fife und Daniel Sumegi als Wanderer. Im Waldweben kann Stefan Vinke unter Beweis stellen, dass ihm auch die lyrischen Zwischentöne des ungestümen jungen Helden liegen. Der Waldvogel von Celeste Lazarenko kommt bedauerlicherweise aus dem Off, während eine balinesische Tänzerin als Demonstration des interkulturellen Regiekonzepts durch den Bühnenraum schwebt, an Seilen natürlich, aber durchaus passend. Im Drachenkampf hält sich das leading team mit allzu starker optischer Intensität zurück. Es kommt ihm offenbar nicht auf Plakativität sondern auf eine sinnvolle dramatische Dimensionierung an – und das wirkt eigentlich umso mehr. Andrea Silvestrelli singt den Fafner mit Verstärkung, was aber die Defizite seines allzu rustikalen Basses nicht zum Verschwinden bringt.
Großartig und mit einer tragenden inhärenten Dynamik lässt Philippe Auguin das Vorspiel zum 3. Aufzug erklingen, welches ja die ganze Unruhe Wotans, also des Wanderers, in diesem Moment vor der Erweckung Erdas musikalisch interpretiert. Leider kann Daniel Sumegi als Wanderer die Erwartungen an eine nun auch stärkere vokale Dramatik als in den ersten beiden Aufzügen nicht einlösen. Die Stimme klingt schlicht überfordert, sie bricht regelrecht ein, auch zu Lasten der Diktion. Seine technischen Probleme mit einer zu kehlig-gutturalen Tonbildung treten allzu deutlich hervor. Darstellerich ist Sumegi jedoch sehr gut und bringt die ganze Spannung und Verzweiflung des Wanderers bestens über die Rampe. Liane Keegan als Erda mit ihrem durch lange Haare und Seile bis zum Boden reichenden tiefbraunen Kostüm, welches ihr völlige Bewegungslosigkeit beschert, wirkt als Urmutter Erda wie die in Südamerika verehrte Pachamama, die dortige Mutter der Erde, die als aus dem Boden wachsende alte Frau gezeigt wird. Keegans Stimme ist zwar schön, aber etwas zu klein für den optischen Anspruch. Das Finale des dritten Aufzugs lässt einmal mehr die große Energie Stefan Vinkes deutlich werden, der im langen Dialog mit Lise Lindstrom als Brünnhilde nahezu ohne jede Ermüdungserscheinung eine einnehmende Erweckungsszene auf dem Brünnhilden-Felsen vollzieht, der natürlich entsprechend in feuerlichem Schein über den ganzen Bühnenhintergrund digital erstrahlt. Lise Lindstrom setzt ihre sehr gute Leistung aus der „Walküre“ fort mit strahlenden Spitzentönen, aber auch sehr guter Phasierung in der Mittellage und guter Attacke bei hoher Wortdeutlichkeit.
Siegfried erweckt Brünnhilde. Foto: Wallis Media/Opera Australia
Dieses Paar, Stefan Vinke und Lise Lindstrom, beherrscht mit seiner großartigen sängerischen Leistung und emphatischen Darstellung auch die „Götterdämmerung“ zwei Tage später. Das zeigt sich gleich im Vorspiel, in dem beide den hohen sängerischen Anforderungen in einem Rausch nachvollziehbarer Leidenschaft gerecht werden. Diese Intensität zieht sich bei Lindstrom durch die Waltraute-Szene und eine emotional mitreißende Gestaltung des 2. Aufzugs, nachdem sie den Betrug an ihr erkannt hat. Und sie brilliert schließlich auch beim Schlussgesang des dritten Aufzugs, wo es lediglich zu ein paar kleineren, völlig verständlichen Ermüdungserscheinungen kommt.
„Götterdämmerung“: Die Nornen Celeste Haworth, Angela Hogan und Olivia Cranwell. Foto: Wallis Media/Opera Australia
Aber die „Götterdämmerung“ beginnt mit dem Prolog der drei Nornen, und das gilt es diesmal ganz besonders hervorzuheben. Denn nicht nur gelingen dem Queensland Symphony Orchestra unter Philippe Auguin die drei Auftakt-Akkorde herrlich warm in den Holzbläsern, sondern die Opera Australia bot ein Nornen-Terzett auf, das sich getrost Weltklasse nennen darf. Celeste Haworth als Erste, Angela Hogan als Zweite und Olivia Cranwell als Dritte Norn singen ihre Rollen mit einer solchen Perfektion und vokalen Facettierung, wie man es wirklich nur selten erleben kann. Bayreuth ist derzeit Meilen davon entfernt. Auch ihre Kostüme sind eindrucksvoll. In Anlehnung an Erda bestehen auch ihre völlig aus Seilen, also einer Assoziation zum Schicksalsseil. Sie stehen wie die Urmutter völlig unbeweglich darin wie in großen Amphoren. Die Szene mit entsprechenden netzähnlichen und in ständiger Bewegung befindlichen Bildern auf den Stelen im Hintergrund hatte eine sehr starke Wirkung. Wieder einmal stellten Leigh Sachwitz mit flora&faunavisions ihre digitale Optik in den Dienst der Dramaturgie und Werkaussage. Mit dieser Vorgehensweise überzeugten praktisch alle Bilder und Szenen dieses „Ring“. In der Waltraute-Szene beeindruckt neben Lise Lindstrom auch Deborah Humble mit ihrem klangvollen Mezzo und enormer spielerischer Intensität, nahezu eine Idealbesetzung für diese Partie!
Die Jagdgesellschaft: Stefan Vinke (Siegfried), Andrea Silvestrelli (Hagen). Foto: Wallis Media/Opera Australia
In der Gibichungen-Szene beeindruckt zunächst einmal die interessante Konfiguration der Halle mit sehr viel Phantasie und offenbar aus Felsen und Eis gebaut. Man sitzt dort nämlich in dicken Pelzmänteln vor aus Felsen und Eis geschnittenem Mobiliar, ein Hinweis auf die Siegfried hier empfangende emotionale Kälte. Luke Gabbedy als Gunther und Maija Kovalevska als Gutrune reihen sich mit guten Stimmen und bester Direktion in das allgemein wieder exzellente Sängerensemble auch dieser „Götterdämmerung“ ein. Das trifft natürlich auch auf Warwick Fife als Alberich zu sowie auf die drei Rheintöchter Lorina Gore als Woglinde, Jane Ede als Wellgunde und Dominica Matthews als Flosshilde zu. Es war immer wieder erstaunlich in diesem „Ring des Nibelungen“, wie gut man in Brisbane, nicht unbedingt einer Stadt des Wagner-Mainstreams, auch die Nebenrollen besetzte. Das gelingt durchaus nicht immer an großen Häusern in Europa in dieser durchgängigen Art und Weise. Nur die Stimme von Andrea Silvestrelli als Hagen fiel vom allgemein hohen vokalen Niveau ab, aber dazu wurde ja schon in der „Walküre“ und im „Siegfried“ etwas gesagt. In der Darstellung des Alben-Sohns war er jedenfalls äußerst überzeugend, denn er hat eine gewisse Verschlagenheit und gute Mimik. Der Opera Australia Chorus unter der Leitung von Paul Fitzsimon und der Opera Queensland Chorus unter Narelle French sangen vorzüglich mit großer Transparenz und vokaler Kraft. Die Opera Australia Dancers und Dancenorth Australia hatten auch in diesen beiden Stücken begleitende, die jeweiligen Aussagen unterstützende Auftritte.
Im Finale der „Götterdämmerung“ lässt das leading team in einer wohldurchdachten, den Motiven der Musik folgenden, aber gleichwohl nahezu überbordenden, im Wesentlichen auf Feuer setzenden Intensität noch einmal alle Themen des „Ring“ in der digitalen Licht-Inszenierung ablaufen, nachdem Brünnhilde die Flamme in eine weiße Pyramide aus leuchtenden Kuben geworfen hat. Sie steht ganz oben, die Rheintüchter schweben zu ihr herab und nehmen den Ring in Empfang – ein schöner und überzeugender Moment! Dann geht auch sie unter, und das Queensland Symphony Orchestra entfesselt unter Philippe Auguin, der auch diese „Götterdämmerung“ mit großer Ruhe, Detailkenntnis und sängerfreundlich dirigierte, ein musikalisch mitreißendes Finale.
Fazit
Diese Inszenierung von Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ weckte aufgrund ihres Regiekonzepts, eine Art interkultureller „Ring“ zu werden, im Sinne eines von Regisseur Chen Shi-Zheng als „neuer Welt-Mythos“ bezeichnet, wie aus einem „Mosaik, wo jedes kleine Einzelteil unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft widerspiegelt“, große Erwartungen entstehen. Dabei ist die alte Mythologie für ihn äquivalent zur modernem science fiction. Hervorzuheben ist also, dass Shi-Zheng den von Wagner im „Ring“ so hoch gehaltenen Mythos respektiert, wenn auch auf eine ganz andere darstellerische Art und Weise und dass dabei das in dieser Art wohl neue, bisweilen durch sehr intensive und intelligente Licht-Optik erscheinende Digital Content Design and Programming einem story telling des „Ring“ in keiner Weise entgegensteht, ja es sogar unterstützt. Das macht diese Produktion der Tetralogie auch für jeden verständlich, der sich zum ersten Mal mit dem „Ring“ auseinandersetzt. Viele der Bilder sind einfach überwältigend, wirkten völlig neu, also noch nie dagewesen, erzeugten einmal sogar Szenenapplaus. Die Choreografie, sonst oft in „Ring“-Inszenierungen vernachlässigt, war ausgezeichnet. Sängerisch war dieser Zyklus erstklassig, wenn man von zwei Ausnahmen absieht, und auch musikalisch in den „Ring“-erfahrenen Händen eines großen Kenners des Wagnerschen Oeuvres, Philippe Auguin. Es wäre in der Tat eine gute Idee, von dieser Produktion eine DVD herauszubringen. Sie hätte das Potential, viele Nicht-Kenner des Werkes diesem und Wagner ganz allgemein näher zu bringen.
Klaus Billand