Haide Tenner (Hsg.):
„Ich möchte so lange leben, als ich Ihnen dankbar sein kann“
Alma Mahler – Arnold Schönberg. Der Briefwechsel
304 Seiten, Residenz Verlag, 2012
Es bedarf fleißiger, kenntnisreicher und auch geschulter Aficionados, um die schwere Aufgabe zu lösen, die – nicht abgeschriebenen, großteils nicht datierten – Briefwechsel großer Persönlichkeiten zu lesen, zu transkribieren, zu kommentieren und auch noch einen Verlag zu finden, der sich für ein Spezialthema interessiert. In diesem Fall war es Haide Tenner, im ORF lange Jahre für E-Musik zuständig, die im Arnold-Schoenberg-Center in Wien den Briefwechsel zwischen Schönberg und Alma Mahler fand und nun herausbrachte. Es ist ein interessantes Buch, wenn es auch Probleme nach sich zieht.
Denn immer wieder ergibt sich, wenn man Menschen in ihren Originalaussagen nahe kommt, dass sie nicht unbedingt dem Bild entsprechen, das man von ihnen hat – oder haben möchte. Andererseits – wer will schon mit Illusionen leben? Und wo ist der perfekte Mensch, der den Ansprüchen einer Nachwelt (die in vielen Dingen ganz anders denkt) lupenrein entsprechen könnte? Schönberg und Alma jedenfalls nicht.
Im Falle von Alma Mahler-Werfel ist nicht viel an gutem Ruf zu ruinieren, denn sie hat keinen. Haide Tenner versucht zwar, Positives über sie zu sagen und in ihrem Verhalten zu finden, und das mag auch alles stimmen. Aber die schreckliche Aura von Überheblichkeit und Affektation, die aus ihren Memoiren spricht, findet sich auch in ihren Briefen an Schönberg, die nun – nach den Briefwechseln mit Torberg und Alban Berg – weitere Mosaikstücke zu ihrem hektischen Leben beitragen.
Tatsächlich war Alma, die „Muse“ der Großen, auch eine mit Musikverständnis und –kenntnis gesegnete Frau, die weit früher als die anderen imstande war, etwa das Besondere an Berg und Schönberg zu erkennen. Und sie hat im Falle Schönbergs wirklich vieles in Bewegung gesetzt, um diesem seine ewigen Geldsorgen zu erleichtern. Er huldigt ihr auch in einem Brief (28. Juli 1912):
Sie, gnädige Frau, wären wirklich einer jener wenigen Menschen, selten in den Jahrhunderten, die die Gaben eines wahrhaften Mäcens besitzen. In Ihnen ist nebeneinander, was dazu nötig ist: die Freude am Geben, die Sicherheit, die annähernd-Würdigen zu finden und vor allem das Mitgefühl mit den Bedürfnissen, mit den Schicksalen der Künstler.
Und der Titel des Buchs „Ich möchte so lange leben, als ich Ihnen dankbar sein kann“, kommt nicht von ungefähr, das steht in einem Brief vom Juni 1913 und ist zweifellos ehrlich gemeint. So weit gereicht die Beziehung zu Schönberg Alma zu Ehren, wenn sie auch – falls man das nicht missversteht – selten eigenes Geld weggab, sondern eher das von Stiftungen vermittelte oder auch reiche jüdische Freunde zum Mäzenatentum animierte. (Wozu von Schönbergs Seite noch einiges zu sagen ist.)
Wie Alma sich die Großen der Welt verband? Nicht nur mit tätiger Hilfe, auch mit – Schmeichelei. Einem Künstler zu sagen, dass sein Werk großartig ist, stellt die beste Basis einer Beziehung dar, denn selbstverständlich wird es gerne geglaubt, und Alma sparte nicht an Lob, wenn sie auch hinter dem Rücken anderer ganz schön Bösartiges verbreiten konnte.
Und es gab auch immer wieder Schwierigkeiten zwischen ihr und Schönberg. Gleich zu Beginn, wenn sie dessen Frau Mathilde (obwohl diese die Schwester ihres, Almas, ehemaligen Liebhabers Alexander von Zemlinsky war) glatt ignorierte – vermutlich wegen deren stadtbekannter Liaison mit dem Maler Richard Gerstl, der 1908 ihretwegen Selbstmord begangen hatte: Dass ausgerechnet Alma, die jeden ihrer Ehemänner betrogen hat, sich hier zu moralischer Entrüstung aufschwang… Da hält sich Haide Tenner mit Kommentaren übrigens gänzlich zurück: Auf Klatsch (davon gibt es in dieser Welt ohnedies zu viel) will sie sich offenbar nicht einlassen.
Alma war auch ärgerlich, als Schönberg (in diesen Fall war auch Alban Berg involviert) mit Partituren Mahlers offenbar nicht sorglich genug umging (was man ihr nachfühlen kann), sie hat angeblich zwischen Schönberg und Kandinsky intrigiert, indem sie letzterem Antisemitismus nachsagte (von dem sie selbst, zumindest in vielen Bemerkungen, nicht ganz frei war) und damit eine Beziehung zerstörte.
Gänzlich undurchsichtig wurde es in der Emigration, wo sie zwischen Thomas Mann und Schönberg regelrecht lavierte, weil Schönberg sich empört in Manns „Doktor Faustus“ erkannte (eine Information, die er angeblich Alma verdankte…). Offenbar hat sie jedem der beiden Künstler versichert, ganz auf seiner Seite zu stehen, und jeder dürfte es geglaubt haben. (Auch da hält sich Haide Tenner mit Kommentaren zurück.) Kurz, Alma Schindler-Mahler-Gropius-Werfel war eine schlicht gesagt in allen Farben dissonant schillernde Dame, und so kommt sie auch in diesem Briefwechsel heraus. Welche Überraschung hätte man sich, da man so viel von ihr und über sie gelesen hat, schon erwartet?
Arnold Schönberg genießt einen weit besseren Ruf – das stets verkannte musikalische Genie, der den Wienern nur mit den „Gurre Liedern“ gefiel, die aber bei seinen anderen Werken am liebsten die Konzertsäle zerlegt hätten. Alma war, und das wollen wir ihr glauben, stets eine überzeugte Anhängerin seines Schaffens, und er schickte ihr manches neue Werk zur Begutachtung.
Nicht jeder war ihm so wohl gesinnt: Richard Strauss vermerkte, „dass es besser wäre, wenn er (Schönberg) Schnee schaufeln würde, als Notenpapier vollzukritzeln…“ (und vermutlich war es Alma, die dafür sorgte, dass Schönberg dies auch zu Ohren kam). Immerhin war auch Strauss vorsichtig und wusste, dass der Wind sich drehen kann: Dennoch votierte er dafür, dass Schönberg weiter von der Mahler-Stiftung unterstützt wurde, „da man ja nie weiß, wie die Nachwelt darüber denkt“ (bei genauem Hinsehen steigt niemand menschlich besonders gut aus…).
Alma sorgt dafür, dass Schönberg über diese Mahler-Stiftung über lange Zeit bedeutende finanzielle Zuwendungen erhielt. Denn, das muss man offen sagten, davon handelt ein guter Teil des Briefwechsels, dass Schönberg sich beklagt, wie schlecht es ihm finanziell gehe, und Alma sich genötigt sah, Abhilfe zu schaffen.
Wobei man feststellt, und ein wenig befremdet dies schon, dass Schönberg (explizit in dem Brief vom 14. Februar 1914) offenbar der Ansicht war, dass reiche Leute geradezu die Verpflichtung (!) hätten, ihm ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen (und er übersah geflissentlich, dass man sich nicht mehr in der Renaissance befand – aber hat sich nicht auch Rilke durch einen Teil seines Lebens geschnorrt?).
Es gibt da tatsächlich unschöne Wendungen, nicht nur, wenn er sich über Agenten, Verleger, Veranstalter beschwert (und in verletzter Eitelkeit sehr beleidigt ist, wenn Dirigent Willem Mengelberg während seines Wien-Aufenthalts zwar Egon Wellesz besucht hatte, aber nicht ihn…). Schönberg fand gar nichts dabei, reiche Damen anzuzapfen, aber er äußerte sich etwa über Lilly Lieser, die nicht nur immer wieder Geld gab, sondern ihn auch zwei Jahre lang in ihrer Villa in der Gloriettegasse wohnen ließ, äußerst unfreundlich. Von der Gräfin Nostiz jede Art von wienerischer Protektion für diverse Vergünstigungen geradezu zu verlangen, kam ihm auch nicht seltsam vor. Andererseits – machen es heutige Künstler anders? Bloß sind es da der Staat und die Institutionen, die sie anzuzapfen suchen.
Seltsam auch Schönbergs Haltung zum Ersten Weltkrieg. Er war ja, bevor er wieder zum Judentum zurück konvertierte (als man ihm dieses mit dem aufkommenden Nationalsozialismus brutal zu Bewusstsein brachte), Protestant, und er drängte geradezu zur Waffe, wollte das Vaterland verteidigen, ergeht sich in durchaus überzeugt (und keinesfalls parodistisch) klingenden verbalen patriotischen Ausritten und wurde, wenn auch nicht langfristig, Soldat. Der vorwärts stürmende Künstler, der an der sterbenden Monarchie festhielt…
Dass ein Briefwechsel, der ja nun nicht für die Augen der Welt, sondern für jene des Korrespondenz-Partners gedacht ist, Ansichten enthält, die niemandem Ehre machen – Schönberg beweist es, wenn er etwa nicht ohne Überheblichkeit schreibt (14. Juli 1917): „Schließlich haben wir ja in Österreich noch eine andere Kunst, als die Operette und als Salten, Müller, Schnitzler etc. Ich denke: auf ein internationales Publikum habe ich noch immer ‚sympathischer’ gewirkt, als die!“ (Da kann man als Schnitzler-Aficionado dann nur zurückgeben, dass Schnitzler – ähnlich wie Richard Strauss – von Schönbergs Musik auch nicht viel hielt.)
139 Briefe von Schönberg und 132 Briefe von Alma sind erhalten, die zwischen 1910 und Schönbergs Tod 1951 gewechselt wurden, als beide im amerikanischen Exil lebten. Wer sich für eine „Innensicht“ des Musiklebens dieser Zeit interessiert, wird reichlich fündig – die großen Namen sind ebenso da wie die schäbigen Kleinlichkeiten des Alltags. Wie das Leben eben so ist.
Noch ein besonderes Kompliment für eine formale Entscheidung: Wer sich je nach Anmerkungen auf den letzten Seiten eines Buches wütend tot geblättert hat, wird unendlich dafür dankbar sein, dass Haide Tenner die Anmerkungen zu jedem Brief (sie hält sie ohnedies kurz) gleich daran anschließt. Kein Suchen, kein Frust. Nur Gewinn. Wie das ganze Buch.
Renate Wagner