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BREMERHAVEN/ Stadttheater: DER FREISCHÜTZ – Die über Leichen gehen. Premiere

26.12.2022 | Oper international

Die über Leichen gehen: Wolfgang Nägeles Freischütz in Bremerhaven
Premiere vom 25.12.2022
von Anna Kaiser, 26.12.2022

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Foto: Heiko Sandelmann

Dass man als Zuseher positiv überrascht durch die geschickte Weiterführung der Holzvertäfelung des Zuschauerraumes bis auf die Bühne den Eindruck gewinnt, selbst Teil des Spiels von Erfolgsdruck und Scheitern zu sein, ist Bühnen- und Kostümbildner Stefan Mayer zu danken, der nicht nur auf seitliche Vorhänge im Bühnenraum verzichtet, sondern vieles – selbst Agathens Vaterhaus – nur mehr in Form der Eckpfeiler rudimentär darstellt.

Wie Stefan Mayer bietet auch Regisseur Wolfgang Nägele vielerlei Überraschungen: Zwar leidet sein Max – wie auch der um 1820 von Carl Maria von Weber erdachte Charakter – an den für ihn unerfüllbaren Ansprüchen dieser Welt. Dass er aber keineswegs ein durchwegs naiver Träumer ist, sondern seine Seele sehr wohl auch Schattenseiten hat, versucht Nägele immer wieder zu zeigen durch Maxens Double, personifiziert von Martin Mäcker, der auch den Samiel verkörpert.

Ob und wenn ja, warum Wolfgang Nägele damit tatsächlich so weit gehen wollte, die Rollen von Maxens Double und Samiel, dem Teufel (als der Mäcker in der Wolfsschluchtszene und beim Tode Kaspars zwei weitere Male auftritt), vollkommen gleichzusetzen, bleibt – wie die eigentliche Botschaft von Nägeles Freischütz – für das Publikum im großen Haus in Bremerhaven nur unscharf erkennbar. Höchst
bedauerlich auch, dass seine von den SängerInnen offenbar zwar befolgten, heutzutage aber bereits überholten „weniger-ist mehr“-Regieanweisungen die KünstlerInnen hinsichtlich der schauspielerischen Darstellung offensichtlich arg einengen und bremsen, was weitere Unklarheiten für das Publikum mit sich bringt und von diesem am Ende der Premiere auch mit deutlichen Unmutsäußerungen quitiert wird. So zeigt er sich in dieser Produktion leider nicht als erfolgreicher Schüler seines großen Lehrers Hans Neuenfels, auch wenn man bei ihm das Ringen um den Subtext und die von Neuenfels so gekonnt praktizierte „Archäologie des Unbewussten“ vermuten kann – leider aber eben nur vermuten und (noch) nicht klar genug erkennen.

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Foto: Heiko Sandelmann

Klar, kantig und beeindruckend hingegen singt und spielt der aus Österreich als Gast an das Haus geholte, ehemalige lyrische und nunmehrige Heldenbariton Thomas Weinhappel als Kaspar, der sich in seinem neuen Fach bereits in seinen beiden großen Arien („Hier im ird’schen Jammertal“ und „Schweig, damit dich niemand warnt“) in vielerlei Hinsicht für eine künftige große Karriere empfiehlt. Sein gewaltiger Bariton, von dem man sich wünscht, ihn demnächst im Wagnerfach hören zu dürfen, lässt keine Fragen offen, dass er stimmlich jederzeit – wie Kaspar es in seiner Todesstunde ausdrückt – „dem Geschick trotzen“ kann.
Berührend und zugleich stimmlich imponierend gestaltet er nicht nur diese Todesstunde, in der er sich ein weiteres Mal als Wotan empfiehlt – einer Rolle, die er bereits in seinem Heimatland Österreich als Einspringer für  Günther Groissböck 2021 erfolgreich gesungen hat. Beim Gießen der Freikugeln in der von Nägele durchaus stimmig zu einem Labor umfunktionierten Wolfsschlucht zeigt Weinhappel – dank seiner für einen Opernsänger ungewöhnlich präzise genutzten Schauspielkunst – subtil und deshalb so erschreckend wahrhaftig, was es bedeutet, sich mit dem Teufel einzulassen und deshalb höllische Schmerzen in der Begegnung  mit ihm zu erleiden.

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Foto: Heiko Sandelmann

Als Pendant zum Desperado Kaspar präsentiert der griechische Tenor Konstantinos Klironomos, der mittlerweile erfreulicherweise zum Ensemble des Hauses gehört,seinen stets larmoyanten, immer schwächelnden Max. Überzeugend zaudernd und zaghaft kämpft er um seine Agathe, immer aber schon vorausahnend, dass auch sein nächster Schritt vom Unglück begleitet sein wird.
Wie schwach der vom gesellschaftlichen Anspruch an ihn bereits geschwächte und eingeschüchterte Charakter Maxens auch sein mag, seine Stimmführung ist es in keinster Weise: Mühelos meistert Klironomos jede tenorale Höhe, nicht nur in seiner Arie „Durch die Wälder, durch die Auen“ wundert man sich über so sichere und wunderschön funkelnde Momente, in denen Klironomos mit reinster tenoraler Strahlkraft selige Momente für das Publikum zu erzeugen vermag. Dass – wie Regisseur Nägele durch Maxens Pendant suggeriert – auch er dunkle Seiten hat –kann man in diesen Momenten weder hören noch glauben.

Dem Haus an der Nordsee ist es mit diesen beiden Sängern eindeutig gelungen, zwei der besten ihrer Fächer – sowohl gesanglich wie darstellerisch – für die so unterschiedlichen Charaktere zu verpflichten.

Die dänische Sopranistin Signe Heiberg, wie Konstantinos Klironomos Ensemblemitglied, schießt als allzu walkürenhafte Agathe mit ihrem voluminösen Sopran etwas über das Ziel hinaus, denn bei ihr ist „Wie nahte mir der Schlummer“ leider keine „leise, fromme Weise“. Wiewohl bei der Kavatine „Und ob die Wolke sie verhülle“ ihr kräftiger Sopran hell und leuchtend klingt, fehlt ihr dabei die lyrische
Zartheit und mädchenhafte Zerbrechlichkeit, die man sich von einer Agathe erhofft.
Man kommt daher recht rasch zu dem Schluss, dass sie in den großen dramatischen Rollen bei Strauss und Wagner gemäß ihres zweifellos großen Könnens sicherlich besser aufgehoben wäre.
In Bremerhaven erlebt man in aller Deutlichkeit und eigentlich unangebrachten Härteeine emanzipierte junge Frau ohne große Sehnsüchte als Produkt einer sehr wahrscheinlich über Leichen gehenden Gesellschaft, nur: Das ist Webers Agathe –wenn man dem Libretto folgt – ganz und gar nicht. Wobei man nicht vergessen darf, dass Signe Heibergs Darstellung dem Konzept Wolfgang Nägeles zu folgen hat und daher die Makel weniger bei ihr selbst als bei diesem ihren Ursprung haben.

Das dritte Ensemblemitglied ist die deutsche Victoria Kunze, deren Ännchen weder in gesanglicher noch darstellerischer Art Wünsche offenlässt. Mit Bravour und geschickter Akkuratesse darf sie in ihrer Arie „Kommt ein schlanker Bursch gegangen“ für mit Humor gewürzten, glockenreinen Hörgenuss sorgen. Ähnlich wie Kunze schaffen es die Brautjungfern Katharina Diegritz, Sydney Gabbard, Lilian Giovanini und Brigitte Rickmann für erfreulich wohlklingende Unbeschwertheit zu sorgen.

Sie und die Brautjungfern verkörpern naive, blauäugige und unschuldige Fröhlichkeit ganz im Gegensatz zu Kuno, Kilian und Ottokar, die wohl übelsten Standesvertreter einer von Selbstherrlichkeit und der Jagd nach Erfolg demoralisierten Gesellschaft, die über Leichen geht und deshalb die beiden großen Verlierer Max und mehr noch Kaspar auf dem Gewissen hat. Für die Präsentation dieser Gesellschaft darf mehr als nur ein Achtungserfolg bescheinigt werden den Herren Bart Driessen als Kuno, Marcin Hutek als Ottokar, Andrew Irwin als Killian und Ulrich Burdack, der den einzigen rechtschaffenen Menschen, den Eremit sehr harmonisch mimt.

Mit großem Einfühlungsvermögen und sicherer Hand führt Davide Perniceni das Philharmonische Orchester und den Opernchor des Stadttheaters Bremerhavenperfekt durch alle Höhen und Tiefen der Weber’schen Tondichtung, deren mannigfaltige Nuancen auch an größeren Häusern selten besser musiziert werden.

Anna Kaiser

 

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