BREGENZ / Festspielhaus: Opera seria TANCREDI
18.Juli 2024 – Premiere
Von Manfred A. Schmid
Schon wieder wird eine Oper als „Opernthriller“ angekündigt und alles Erdenkliche getan, damit dem Publikum tatsächlich Spannendes geboten werden kann. Dabei war die Opera seria von Gioachino Rossini, mit der dem erst 21-jährigen Komponisten 1813 der Durchbruch gelang, bei der Uraufführung in Venedig noch mit einem Happyend versehen. Erst in der Ferrara-Fassung aus dem gleichen Jahr, die nun in Bregenz zu erleben ist, geht der Konflikt zweier verfeindeter Familien tragisch aus.
Das Liebespaar Amenaide – Tancredi muss seine Beziehung geheim halten, weil die jeweiligen Familienoberhäupter die Zustimmung verweigern und der Vater Amenaides für seine Tochter ohnehin einen anderen Bräutigam – nämlich Orbazzano, einen ziemlich widerlichen Kerl – ausgesucht hat. Aufgrund eines fehlgeleiteten Briefes wird Amenaide des Hochverrats bezichtigt. Schweren Herzens muss ihr Vater Argirio das Todesurteil unterschreiben. Tancredi, der unerkannt in die Heimat zurückgekehrt ist und von der Zwangsverlobung erfahren hat, tötet seinen Nebenbuhler und rettet Amenaide. Da er aber das Vertrauen in sie verloren hat, sucht er den Tod im Kampfe und erfährt erst als Sterbender, dass sie unschuldig und ihm treu geblieben ist. All dies geschieht, basierend auf einer Tragödie Voltaires, vor vor dem Hintergrund andauernder kriegerischer Auseinandersetzungen in Syrakus im Jahr 1005.
Damit aus der etwas sperrigen Geschichte so etwas wie ein packender Opernthriller werden kann, verlegt Regisseur Jan Philipp Gloger, designierter Chef des Wiener Volkstheaters, die Handlung nicht nur in die Gegenwart, sondern auch in ein Mafia-Milieu. Die Schauplätze finden sich auf einer Drehbühne, die aus Teilen eines alten, schon etwas ramponierte Palasts besteht (Bühne von Ben Baur), in dem sich die Familie von Mafiaboss Argirio eingenistet hat. Die an das Milieu von Drogenbanden angepassten Kostüme stammen von Justina Klimczyk. Dass dadurch die Geschichte tatsächlich spannender geworden ist, lässt sich schwer beurteilen, wenn man diese Oper noch nie und vor allem nicht in der Originalfassung gesehen hat. Da fehlt es, anders als bei Kusej Le nozze di Figaro im Vorjahr bei den Salzburger Festspielen, die er ebenfalls ins Mafia-Milieu versetzt hat, an einer belastbaren Vergleichsbasis.
Anders verhält es sich mit einer weiteren Idee von Regisseur Gloger. Da die Rolle der Amenaide, wie damals nicht unüblich, für eine Frauenstimme geschrieben ist, nützt er diesen Umstand und macht aus dem Liebespaar Amenaide – Tancredi gleich eine lesbische Beziehung. Damit erbringt er einen Beitrag zu einem derzeit wichtig empfundenen gesellschaftlichen Auftrag, der im Übrigen auch im Bregenzer Freischütz seinen Niederschlag gefunden hat, wenn dort die Freundschaft zwischen Agathe und Ännchen als Frauenliebe dargestellt wird.,
Um authentische Spannung zu erzeugen, scheut Gloger in den kriegerischen Szenen auch nicht den Einsatz einer speziellen, siebenköpfigen Stunt Factory, die sicher viel Geld kostet, aber eher lächerlich wirkt, besonders wenn sie sich bei einer Razzia in Polizeiuniform herabseilen. Auch ein eigener „Kampfchoreograph“ (Ran Arthur Braun) wurde engagiert.
Summa sumarum: Die Inszenierung ist ambitioniert, der angekündigte Opernthriller aber weitgehend ausgeblieben. Macht nichts, könnte man nun sagen. Die Musik Rossini ist ohnehin erregend genug. Es gelingt ihm, die lyrischen Elemente des Belcanto mit den dramatischen Notwendigkeiten zu verbinden. Das anschwellende Crescendo de ersten Finales ist geradezu atemberaubend. Genial aber ist vor allem der Schluss mit der Sterbeszene des Titelhelden. Da verzichtet Rossini auf Getöse durch da Blech. Nur Streicherklänge begleiten ihn, werden immer dünner und verlöschen mit ihm. Dass diese Opera seria mit ihren elendslangen Wiederholungen angesichts der eher dünnen Story aber für heutige Gewohnheiten doch zu lange ist, bestätigt sich auch an diesem Abend wieder einmal. Da kann auch Gloger keine Wunder wirken.
Gesanglich kann der Bregenzer Tancredi mit ausdrucksstarken Stimmen aufwarten. Die Russin Anna Goryachova, in Wien an der Staatsoper mit ihrem Mezzosopran schon in der Titelpartie von Rossinis La Cenerentola sowie als exzellente Olga in Eugen Onegin aufgefallen, ist ein prägnanter, entschlossener Tancredi. „Di tanti palpiti“, die berühmteste Arie der Oper, oft in Konzerten zu hören, gelingt ihr gut.
Die französische Sopranistin Mélissa Petit als Amenaide harmoniert perfekt mit Goryachova, was sich vor allem in den Duetten zeigt. Nicht mithalten mit dem hohen Niveau der Frauenstimmen, zu dem auch Laura Polverelli als Isaura, Amenaides Mutter, mit ihrer weichen Mezzostimme beiträgt, können die Männer.
Dem Tenor Antonio Siragusa fehlt es für die Rolle des Kartellbosses an Durchschlagskraft. Etwas besser ist der Bariton Andreas Wolf, dem die tiefen, wuchtigen Töne gut liegen. Lob gebührt dem soliden Prager Philharmonischem Chor, einstudiert von Lukás Vasilek.
Die aus Taiwan stammende und in Wien ausgebildete Dirigentin Yi-Chen Lin am Pult der Wiener Symphoniker lässt die zauberhaften Kantilenen Rossinis prächtig ausschwingen.
Herzlicher, etwas bereits ermüdeter Beifall und einige obligatorische Jubelrufe.