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BREGENZ/ Festspiele/Festspielhaus: AMLETO – dritte und letzte Vorstellung

28.07.2016 | Oper

Bregenzer Festspiele: AMLETO – 28.Juli 2016 (dritte und letzte Aufführung)

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Copyright: Bregenzer Festspiele/ Karl Forster

Dass der Theaterfreund William Shakespeare und dessen „Hamlet“ kennt, kann vorausgesetzt werden. Dass dem Opernfreund Ambroise Thomas und dessen „Hamlet“ zumindest namentlich bekannt sind, darf angenommen werden (immerhin gab es im Theater an der Wien vor ein paar Jahren eine Aufführungsserie). Aber Franco Faccio ? Eingefleischten Verdianern ist der Name als Dirigent der Uraufführungen von „Aida“ und „Otello“ bekannt; Wagnerianer wissen vielleicht, dass er die Erstaufführung der „Meistersinger“ in Italien geleitet hat. Den Komponisten Franco Faccio kannte bis vor kurzer Zeit außer Musikwissenschaftlern auch unter eingefleischten Opernfanatikern nur eine kleine Minderheit.

Indem die Bregenzer Festspiele, die (seinerzeit noch im Kornmarkttheater, jetzt im Festspielhaus) abseits der Seebühne immer wieder Raritäten bieten, heuer für drei (!) Aufführungen „Amleto“ in das Programm aufnehmen, versuchen sie Franco Faccio dem Vergessen zu entreißen. Man muss der Intendantin Elisabeth Sobotka dankbar sein, dass sie dieses Risiko eingegangen ist. Und der Erfolg gibt ihr Recht. 

Als „Amleto“ am 30.Mai 1865 in Genua zur Aufführung gelangte (nur wenige Wochen davor hatte Verdis „Macbeth“, ebenfalls auf Shakespeare basierend, seine Erstaufführung erlebt), war der Komponist gerade einmal 25 Jahre jung, der Librettist Arrigo Boito war noch jünger. Die neue Oper wurde überaus positiv aufgenommen; ein Erfolg, der sich 1871 an der Scala in Mailand nicht wiederholen sollte. Ganz im Gegenteil – nicht nur wegen eines krankheitsbedingt überforderten Tenors wurde die Premiere zu einem Desaster. Das Werk verschwand in der Versenkung und wurde aus dieser erst vor wenigen Jahren gehoben. Nach konzertanten Aufführungen in Amerika (manche Quellen sprechen von einer szenischen 2014 in Albuquerque) erlebt das interessierte Publikum in Bregenz die erste europäische Produktion seit nahezu 150 Jahren.

Dass das Werk über einen so langen Zeitraum auf seine Wiederentdeckung warten musste, kann der zu dieser Produktion aus Wien angereiste Opernfreund nur bedingt nachvollziehen. Steht diese Oper doch zum Teil noch hörbar unter dem melodischen wie stilistischen Einfluss von Verdi oder Donizetti, nimmt aber vor allem in den beiden großen Soloszenen des Titelhelden und der Gertrude die den Verismo prägende Ausdruckskraft vorweg. Hätte sich Faccio nicht so früh entschieden, nicht mehr zu komponieren und wäre er nicht relativ jung gestorben, hätte er vielleicht „King Lear“ vertont ? Es müßig darüber zu spekulieren, aber der Gedanke liegt nahe.

Olivier Tambosi hat sich mit dem „Amleto“ und seinem literarisch-philosophischen Hintergrund  eingehend beschäftigt und gemeinsam mit Frank Philipp Schlößmann (Bühne), Gesine Völlm (Kostüme), Davy Cunningham (Licht) und nicht zuletzt Ran Arthur Braun (Choreographie) ein auf modischen Schnickschnack verzichtendes und trotz der Länge der Oper nie langweiliges Konzept umgesetzt. Die historisierenden Kostüme verdecken nur scheinbar die zwischenmenschlichen Konflikte zwischen den stückrelevanten Personen;  der Prager Philharmonische Chor (Leitung Lukas Vasilek) ist dazu ein nicht nur stimmgewaltiges sondern auch spielaktives Kollegium. Tambosi zeichnet individuelle Charaktere und es gelingt ihm, Sänger  in Menschen zu verwandeln.

Dazu steht ihm ein ausgezeichnetes und bis in die kleinsten Rollen homogenes Ensemble zur Verfügung, dem die Wiener Symphoniker, die in Bregenz ein Mammutprogramm absolvieren, unter der Leitung von Paolo Carigniani (er dirigiert auch die „Turandot“ auf der Seebühne) einen eindrucksvollen Klangteppich legen. Dass am gestrigen letzten Abend die Aufführung um einige Minuten kürzer dauerte als die Premiere, tat der Intensität und Spannung der Musik nur gut. Pavel Cernoch in der Titelpartie ist ein ausdrucksstarker, intensiv spielender und vor allem höhensicherer Sänger, dem das Publikum zu Recht zujubelt. Seine Mutter Gertrude wird von Dshamilja Kaiser optimal interpretiert; nach dieser Leistung dürfte sie in Graz, ihrem Stammhaus, nicht mehr lange zu halten sein. Deutlich mehr als „nur“ rollendeckend singen und spielen Iulia Maria Dan (Ofelia), Claudio Sgura (Claudio), Paul Schweinester (Laerte) und Eduard Tsanga (Polonio). Yasushi Hirano (Luciano und erster Totengräber) und Sebastien Soules (Orazio) sind Luxusbesetzungen in kleineren Partien. Die Qualität der für die Bregenzer Festspiele engagierten Sänger beweist aber nichts besser als die Tatsache, dass Mika Kares (Timur in „Turandot“) innerhalb von nur zwei Tagen die Partie des Geistes vom erkrankten Gianluca Buratto übernehmen und (vom Bühnenrand) singen konnte.

Es wäre traurig, würde Franco Faccio´s „Amleto“ und diese Inszenierung nach den lediglich drei Aufführungen in Bregenz wieder im Vergessen landen. Das Stück böte die Möglichkeit zur Spielplanerweiterung; die Arbeit des Produktionsteams sollte durch weitere Aufführungen an anderen Häusern gewürdigt werden.

Michael Koling         

 

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