Bregenzer Festspiele: DER FREISCHÜTZ am 31. Juli 2024
Regietheater-Ambitionen am falschen Ort
Foto: Anja Köhler
Die Bregenzer Seebühne-Produktionen stehen seit vielen Jahren für spektakuläre und mit vielen optischen Spezialeffekten auf ein großes Publikum von fast 7.000 Menschen pro Abend zugeschnittenes Opern-Event. Sie stellten bisher praktisch immer in Rechnung, dass ein Großteil dieses Publikums nicht regelmäßig, ja zu einem nicht insignifikanten Teil gar nicht in die Oper geht und in erster Liene wegen dieses Event-Charakter nach Bregenz kommt. Dabei will es auch noch klassische Musik im Zusammenhang mit klar verständlichen, vielleicht auch bekannten Opernstoffen hören. Wer es komplexer will, kann in die zusätzlich im Festspielhaus stattfindende, meist recht anspruchsvolle Neuproduktion einer oft auch nicht allzu bekannten Oper gehen. Aber das geht nur dreimal! Auf der Seebühne dieses Jahr 28 Mal, was bereits eindeutig die Volkstümlichkeit des dort in der Regel Gebotenen unterstreicht. Erfolgreiche Inszenierungen wie „Tosca“, „Carmen“, „Die Zauberflöte“, „La Bohème“, „Aida“, „Nabucco“, „Rigoletto“ (der übrigens auch vom Regisseur des diesjährigen „Freischütz“, Philipp Stölzl, inszeniert wurde) und andere bewiesen in der jüngeren Vergangenheit eindeutig den Erfolg dieses Konzepts. Gelangweilt hat sich da wohl nie jemand!
Diesmal kam es aber mit dem „Freischütz“ von Carl Maria von Weber, der noch nie auf der Seebühne gezeigt wurde, ganz anders. Regisseur Philipp Stölzl trat mit dem Anspruch an, den „Freischütz“ „gut durchzulüften“, wie die Festspiele schreiben, indem er neue Texte einer von Jan Dvorák eigens für diese Produktion geschaffenen Dialogfassung mit der Bühne zu einem „ganz eigenen“ „Freischütz“ verschmelzen lassen wollte. Dies sollte „das Publikum in Bann ziehen und zugänglicher sein als die Originalversion von 1821 und so die Figuren ganz neu und hoffentlich sehr heutig erzählen“ als mit ihren vermeintlich langen Biedermeier-Dialogen und den „wenig geformten“ (soll heißen traditionellen) Frauenfiguren.
„Wir sind so richtig mit dem Eisenbesen hingegangen“ gibt selbst Stölzl zu, der Max zu einem Amtsschreiber macht, ihn gleich einmal schon aufhängen und dann ertränken lässt und natürlich die zwei Frauenfiguren ordentlich „entstaubt“. Das heißt also, die bereits schwangere Agathe und Ännchen sind hier emanzipiert und sich auch zumindest graduell auch erotisch zugewandt. Das allein stellt schon die ganze Geschichte dieser Oper, die nun einmal in der Hochromantik geschrieben wurde, auf den Kopf! Es geht dem Regisseur im bekannt exzessiven Regietheater-Stil, allerdings in einem konventionellen Bild, wieder einmal um eine Neulesung, ja angesichts seiner in einem Interview geäußerten Ansicht, dass die Oper nur überleben könne, wenn man auch an den Noten etwas ändert, um eine Überschreibung längst als universal anerkannter Meisterwerke der Musikliteratur.
Foto: Anja Köhler
Das alles mag ja noch angehen, wenn man ein solches Regiekonzept in einem nicht open air Opernfestival zur Diskussion stellt, wo das Publikum besser belastbar ist mit einer neuen Sicht von Figuren und unkonventionellen Interpretationen. Aber nicht auf der Seebühne Bregenz, wo sich diese Regie-Ideen und Veränderungen am Werk dem allgemeinen – eben nicht total opernaffinen – Publikum in ihrer beabsichtigten Wirkung nur sehr bedingt, wenn überhaupt vermitteln und stattdessen signifikante Langeweile erzeugen.
Die Regie-Ideen und Raffinessen Stölzls verlieren sich hier im Wimmelbild eines heruntergekommenen winterlichen Dorfes nach dem 30jährigen Krieg, im von ihm durchaus aufwändig gestalteten Bühnenbild mit alten Häusern, einer Wassermühle und einem halb versunkenen schiefen Kirchturm, aufgrund des Krieges abgestorbener Bäume, sowie einem großen Mond darüber – mit Kostümen von Gesine Völlm. Vorn ist noch eine Eisfläche zu sehen, durch deren Schmelzwasser immer wieder hindurchgelascht wird, aber auch ein kitschiges Jungdamen-Wasserballett tanzt, anstatt den Brautkranz zu flechten.
Dieses optisch durchaus interessante, aber viel zu detailverliebte Bühnenbild ist einfach nicht geeignet, Brennpunkte der Handlung, die dann auch in Verbindung mit der Musik stehen und so erlebt werden können, klar zu zeigen und aller Aufmerksamkeit darauf zu lenken – es ist einfach zu viel und parallel los! „Mitreißend“ sollte es werden, etwas Neues war zu erkunden, aber offenbar wieder einmal mit der Ansicht, dass alles Neue sehr wahrscheinlich, wenn nicht sogar sicher, besser ist als das Alte. Womit selbst der von Carl Maria von Weber komponierte „Freischütz“ selbst gemeint ist.
Denn aufgrund der neuen Textfassung von Dvorák kam die Musik viel zu kurz, ja sie wurde in der Tat signifikant reduziert und damit der Aufführung viel von dem genommen, was das Seebühnen-Publikum auch erleben will. Allein die in dieser „Neufassung“ des Stücks hervorgehobene Figur des Samiel als Kommentator, den Moritz von Treuenfels mit einer exzellenten schauspielerischen und sprachlichen Leistung spielte, tat dieser Produktion gut. Selbst in der für Seebühnen-Spezialeffekte so geeigneten Wolfsschlucht-Szene kam keine über bunten Nebel, ein paar Feuereffekte und Auf- und Abtauchübungen von Monstern sowie eine aus dem Wasser steigende Schlange hinausgehende klare optisch-dramaturgische Zeichensetzung zustande.
Thomas Blondelle, der im neuen Zürcher „Ring des Nibelungen“ den Loge spielte, gab den von der Regie vernachlässigten Max mit einem kraftvollen und ausdrucksstarken Tenor. Oliver Zwarg war ein düsterer Kaspar und ragte unter den Mitwirkenden auch stimmlich heraus. Elissa Huber sang eine klangvolle Agathe und Gloria Rehm ebenso gut das Ännchen. Liviu Holender war ein staatstragender Ottokar und Raimund Nolte ein ehrwürdiger Kuno. Frederic Jost gab den Eremiten, dessen Auftritt an Kitsch grenzte, und Maximilian Krummen den Kilian. Leider gingen alle Protagonisten in diesem Bühnenbild etwas unter.
Enrique Mazzola dirigierte die sehr gut aufspielen Wiener Symphoniker und den von Lukáš Vasilek und Benjamin Lack einstudierten Prager Philharmonischen Chor, der im Kontext dieser Produktion auch zu kurz kam, aus dem Festspielhaus heraus. Das ist technisch mittlerweile sehr gut gelöst, lässt aber die musikalische Unmittelbarkeit mit der Handlung etwas vermissen. Das Orchester war jedenfalls für den nur begrenzen Eindruck dieses neuen „Freischütz“ nicht verantwortlich. „Das ganze Füllhorn des Theaters“ sollte ausgeschüttet werden. Man hätte sich besser aus das „Füllhorn des Musiktheaters“ verständigt. Dann wäre diese Sichtweise des „Freischütz“ dem Publikum vielleicht tatsächlich zugänglicher geworden. Der Applaus hielt sich entsprechend in für die Seebühne ungewohnten engen Grenzen.
Klaus Billand