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BRAUNSCHWEIG/ Burgplatz: CARMEN. Premiere

19.08.2018 | Oper

Bildergebnis für braunschweig carmen

Carmen auf dem Burgplatz in Braunschweig, Premiere am 18. August 2018

Die wundervolle Kulisse des Braunschweiger Burgplatzes als Schauplatz sommerlicher Open-Air-Aufführungen zu wählen – damit fing das Staatstheater Braunschweig vor 15 Jahren an. Die Arena auf dem Platz ist zu einem festen Bestandteil des Kulturlebens der Stadt geworden. In diesem Sommer gibt es zum wiederholten Mal das Stück zu sehen, mit dem alles begann – Bizets Carmen.

Regisseur Philipp M. Krenn und seine Bühnen- und Kostümbildnerinnen Heike Vollmer und Regine Standfuss verlegen die Handlung in ein gesellschaftliches Randmillieu. Recht chaotisch über die Bühne verteilte alte Möbel, die gerade noch dem Sperrmüll entronnen zu sein scheinen, und Kostüme wie aus dem Bilderbuch sozial prekärer Verhältnisse, viel Buntes, viel Geschmackloses, viel Spießiges, zeigen deutlich, dass hier die äußeren Lebensumstände eine gewichtige Rolle für den inneren Zustand der Protagonisten spielen.

Ein Bühnenraum ohne technische Möglichkeiten lässt keinen Spielraum für äußere Effekte und erfordert zwangsläufig die Konzentration auf die Personenführung. Und die ist Regisseur Krenn durchaus sehr dicht und überzeugend gelungen, wenn es darum geht, die Geschichte zwischen den vier im Mittelpunkt stehenden Personen nachvollziehbar zu machen. Carmen und Don José sind, jeder auf seine ganz eigene Weise, instabile Persönlichkeiten, die schnell beeinflussbar sind und letztlich überfordert, eine klare Position zu beziehen. An den äußeren Enden der beiden ziehen auf der einen Seite die unschuldige, reine, aber zutiefst aufrichtige Micaela, die als einzige nicht wirklich in das Millieu passt; auf der anderen Seite der unter dem ständigen Druck seines eigenen Narzissmuss stehende Torero Escamillo. Diese Konstellationen zu beleuchten, den Chor  vor allem in einer voyeuristischen Rolle zu sehen – dabei gelingen Philipp M. Krenn einige starke Bilder, die das unmittelbar um das Geschehen herumsitzende Publikum in den Bann ziehen; eine Open-Air-Bühne inmitten einer Großstadt ist notgedrungen nicht frei von Geräuschen, die es nicht einfacher machen, eine konzentrierte Atmosphäre zu schaffen, doch das funktioniert über weite Teile des Abends wunderbar.

Entscheidenden Anteil am Erfolg der Premiere hatte indes die musikalische Seite. Die gesprochenen Dialoge zwischen den Nummern sind bis auf wenige Stichworte gestrichen, was dem Ensemble volle Konzentration auf den Gesang ermöglicht. Jelena Kordić ist eine junge, burschikose Carmen, die mehr durch ihr unangepasstes Wesen verführt als durch äußere weibliche Reize. Sie sang die Partie mit ihrem vollen, dunkel gefärbten Mezzosopran mit becircenden Phrasen und üppigen Tönen. Der eine oder andere dramatische Ausbruch dürfte noch pointierter, manchmal sogar unkontrollierter sein, aber das wird sich sicher im Lauf der Vorstellungen von selbst ergeben. Als neues Ensemblemitglied stellte sich der koreanische Tenor Kwonsoo Jeon als Don José vor. Am Anfang klang die Stimme noch etwas fragil, was zu dieser Inszenierung sehr gut passt, spätestens am Ende des zweiten Aktes hatte er den vollen Fokus seines hell gefärbten, durch und durch lyrischen Tenors gefunden, mit dem er vor allem das Porträt eines verunsicherten und an dieser Unsicherheit leidenden Menschen zeigte. Der Abend machte jedenfalls sehr neugierig auf weitere Partien, im Dezember steht für ihn der Rodolfo in La bohème an. 

Am Ende mit dem stärksten Applaus bedacht wurde Ekaterina Kudryavtseva als Micaela, und das mit recht. Mit herrlich aufblühenden Linien und eher dunkel gefärbtem Sopran verkörperte sie eine junge Frau, die ebenso unsicher ist wie Don José, die aber zugleich voller Hoffnung ist, ihn auf den rechten Weg zurückholen zu können und bis zum Ende die Hoffnung darauf nicht aufgibt. Ein starkes Rollenportät. Mit kernigem, konturiertem Bariton sang Eugene Villanueva die unangenehm liegende Partie des Escamillo und ließ sich in seinem Spiel voll und ganz auf die Inszenierung ein – ein unsympathischer Selbstdarsteller.

Die übrigen Partien waren auf höchstem Niveau aus dem Ensemble besetzt, Jelena Banković und Milda Tubelyté als Frasquita und Mercédès, Matthias Stier und Maximilian Krummen als Remendado und Dancaïro sowie Davis Oštrek als Moralès und Dominic Barberi als Zuniga. Die Rolle des Wirtes Lillas Pastia ist aufgewertet zu einer das ganze Stück als Pantomine durchziehenden Figur, halb Stier, halb Mensch, dunkel unterlaufene Augen – ein Symbol des Todes, dargestellt von Mattias Schamberger.

Der Chor des Staatstheaters unter der Leitung von Georg Menskes sang mit viel Leichtigkeit und Homogenität; nicht minder überzeugend auf die leichte Kuftigkeit der Partitur, die oft doppelbödig ist, hat Generalmusikdirektor Srba Dinić das Staatsorchester auf Bizets Partitur eingestimmt. Das französische Repertoire dieser Zeit, leider im Vergleich zu selten gespielt, verlangt einen ganz spezifischen Ton, der eben leicht, aber nicht beiläufig oder belanglos sein darf. Das gelang vor allem in den intimen Momenten sehr gut, in den großen dramatischen Ausbrüchen könnte der eine oder andere Akzent mit noch mehr Nachdruck kommen, aber auch das kann sich gewiss einspielen; im Ohr bleiben jedenfalls viele wunderbar musizierte Momente, zum Beispiel das Vorspiel zum dritten Aufzug.

Starker Beifall in der so gut wie ausverkauften Arena.

Christian Schütte

 

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