Bratislava: „Židovka“(„LA JUIVE“, „Die Jüdin“) – 27.4.2017
Copyright: SND/ Pavol Breier
Diese meisterhafte Inszenierung von Peter Konwitschny wurde zuerst in Gent/Antwerpen gezeigt und erhielt dann in Mannheim den begehrten deutschen „Faust“-Preis. Den oder irgendeinen anderen würde sie in Preßburg gleich noch einmal verdienen! Vor allem aber möglichst viele Besucher! Ich möchte diese Produktion vor allem den Wiener Opernfreunden ans Herz legen, für die Bratislava ja so nahe liegt und die mit dieser Aufführung der Halévy-Oper interessante Vergleichsmöglichkeiten haben, die wohl kaum anders als zugunsten Konwitschnys ausfallen werden.Da ist dem Regisseur wirklich alles in einer Weise gelungen, die einen 3 Stunden nur den Atem anhalten lässt.
Erstens bietet er blendende Theaterarbeit mit bestens organisierten Auftritten aller Solisten, Chorsänger und Statisten sowie gekonnten, nur kurzen Verwandlungen. Aber das Entscheidende ist: Er zeigt Menschen. Es gibt nicht „die Guten“ und „die Bösen“. Alle sind beides. Er führt die Gründe für die von Halévy gezeigte Feindschaft zwischen Christen und Juden „aus Glaubensgründen“ ad absurdum. Mit einem so einfachen Mittel wie blauen Plastikhandschuhen für die Christen und gelben Handschuhen für die Juden, in einer der Chorszenen ergänzt durch eine Gruppe mit roten (was die ganze Sache nur noch lachhafter macht), demonstriert er, was in Wirklichkeit den Unterschied zwischen diesen und jenen Menschen ausmacht: nämlich gar keiner. Oder ein eingebildeter oder angelernter. Ein paar Geistliche sind kostümlich als Christen erkennbar und den Hintergrund der Bühne ziert in den meisten Szenen ein riesiges rundes Glasfenster mit christlichen Symbolen. Spätestens, wenn die in der Finalszene in weißem Brautkleid mit Blumenstrauß im Arm auftretende Rachel als zum Tode verdammt eine Leiter besteigt, die zum Zentrum dieses Kirchenfensters führt, ist der pure Hohn unübersehbar, den diese „fromme“ Kulisse beinhaltet. Ansonsten gibt es nur moderne Kleidung. Eléazar agiert fast nur nur in heller Hose und weißem Hemd, in besagter Finalszene auch noch in „weißer Jacke“, sodass er gut zu seiner „Tochter“ passt. Die agiert sonst meist in Schwarz oder mit modischem engem Mantel. Die Chordamen tragen einheitlich ein „kleines Schwarzes“ mit kleiner weißer Halszierde und schwarze Stöckelschuhe, die Chorherren schwarze Anzüge. Nahezu das gesamte Bühnenpersonal behält die eigenen Haare. Der Gegensatz schwarz – weiß wird ebenfalls ins Lächerliche gezogen: Rachel mit langen schwarzen Locken, Eudoxie als dumme, aber raffinierte Göre mit aufgetackelter Blondfrisur. Wie die dumme Blonde und die gescheite Schwarze – großartig sowohl Katarina Flórová/Rachel als auch Jana Bernáthová/Eudoxie,in jeder Beziehung – um denselben Mann kämpfen, zunächst einander bekämpfen, dann ihn gemeinsam beschützen, ergibt geradezu eine Komödie! Und der Arme Leopold bricht unter dieser unerträglichen Doppellast geradezu körperlich zusammen, muss von der Gefolgschaft gestützt und getragen werden. Das ist glänzend gemachte Satire in Reinkultur und geht doch unter die Haut. Weil auch er, der fiese Schwächling – Mensch bleibt.
Immer wenn ein Konflikt seinen Höhepunkt an – rein intellektuell erkennbarer – Lächerlichkeit bzw. Unnötigkeit erreicht, wird der Aktionsbereich in den Zuschauerraum hineingezogen. Die Fähnchen schwenkende Menge turnt in den seitlichen Gängen und vor der fußfreien Parkettreihe umher, und wenn Eléazar daran ist, an seinem inneren Konflikt zu zerbrechen, singt er seine große Arie (die bekannteste aus dieser Oper): „Rachel, als Gott dich einst zur Tocher mir gegeben“, von der er ja weiß, dass sie es gar nicht war, sondern eine Christin) tritt er zuerst an die Orchesterbrüstung und hält sich dort fest, dann läuft er vor der fußfreien Parkettreihe hin und her. Mühelos zu verstehen: Das betrifft uns alle!
Die Konflikte zwischen den einzelne Personen werden minutiös ausgespielt – jede einzelne spannend und zugleich unterhaltend und immer zugleich tragisch und komisch.
Aber alle Personen haben auch sympathische Züge, zeigen sich auch warmherzig und bereit, zu verzeihen. Als das Schlimmste werden die Momente des Anstoßes gezeigt, die binnen Sekunden ganze Gruppen zu irgendeinem Fehlverhalten verleiten. Dieses ewige Rätsel der Menschheitsgeschichte, dass Führerpersönlichkeiten übelster Sorte die Einwohner eines ganzen Landes zu Fehlleistungen abseits jeder Menschlichkeit animieren können, wird hier demonstriert. Die logische Erklärung bleibt freilich aus. Muss ausbleiben. Denn es gibt keine. „Wehe, wenn sie losgelassen, wachsend ohne Widerstand….“ – wir kennen die klassischen Verse, die sich auf das feurige Element ebenso beziehen können wie auf menschlichen Wahn.
Dass der Dirigent Dušan Štefánek am Schluss den wenigsten Applaus erhielt, obwohl er mit dem SND Orchester und Chor Großartiges an Einfühlung und Koordination geleistet hat, ist dem Faszinosum Bühne geschuldet, das die Musik einfach aufsog und ins Optische übersetzte. Eine Gemeinschaftsleistung sondergleichen!
Natürlich kam eine solche auch von den Solisten – von allen. Ich besuchte ganz gezielt diese Reprise (die A und B Premiere war Anfang April), weil da Zurab Zurabishvili als Eleazar gastierte, der die Rolle schon in Mannheim verkörpert hatte und von unseren dortigen ‚Merkern‘ in höchsten Tönen gepriesen wurde. Nach seinem großartigen Otello in Augsburg wundert mich nichts mehr…Aber dass er die noch viel komplexere Rolle des Eléazar, die nicht unbedingt von einem Belcantisten gesungen werden muss, so prachtvoll, mit wunderschöner Stimme würde singen können, war dann doch noch eine Überraschung und machte die Figur natürlich um einiges sympathischer. Dabei wurde vollkommen klar, dass ihn die Umstände zu aus Verzweiflung geborenem Zynismus getrieben haben. Doch auch der gebrochene Jude bleibt am Ende Mensch. Großartig!
Den Liebesrivalen, Fürst Leopold (als solcher optisch nicht erkennbar), vereinnahmt von beiden Frauen, sang Robert Remeselnik mit ebenfalls sehr schönem, leicht ansprechendem Tenor. Die beinah unsingbare Partie wurde hier sangbar – wieder ein Grund, humanes Verständnis für den Mann aufkommen zu lassen.
Leichter tut sich damit für gewöhnlich der Sänger des Kardinal Brogni. Der altbewährte Peter Mikulas vermochte mit seinem warmen Bass sowohl Wohlwollen zu vermitteln, wie auch Angst und zuletzt Verzweiflung, wenn ihm klar wird, dass die eigene, tot geglaubte Tochter ausgerechnet von dem verachteten Juden gerettet und lebenslänglich als eigenes Kind betreut wurde. Sein letztendlicher Zusammenbruch ergreift zutiefst. Ján Ďurčo durfte rollengemäß als Ruggiero nur Autorität vermitteln. Die Negativreaktionen des Volkes sprachen für sich bzw. für die Kraft seiner diesbezügliche Ausstrahlung.
Nur am Rande sei bemerkt, dass die Oper französisch gesungen wurde und es nur slowakische Übertitel gab. Gefesselt vom Bühnengeschehen, dürfte dies aber nur wenige der anderssprachlichen Besucher gestört haben.
Die Vorstellung war gut besucht, aber nicht ausverkauft. Den geringen Zwischenapplaus nach den einzelnen Szenen oder Solonummern führe ich auf die große Betroffenheit zurück, die jede Szene bewirkte. Ein großer Dank am Schluss konnte nicht ausbleiben.
Sieglinde Pfabigan