BORIS PINKHASOVICH: Mit der Mailänder Scala ging ein Traum in Erfüllung
Boris Pinkhasovich als Enrico in „Lucia di Lammermoor“ an der Mailänder Scala. Credit: Brescia e Amisano/Teatro alla Scala.
Herr Pinkhasovich, die Vorstellungsserie der neuen Produktion von „Lucia di Lammermoor“ unter der musikalischen Leitung von Riccardo Chailly, in der Regie von Jannis Kokkos und mit herausragenden Bühnenkollegen, wie Lisette Oropesa und Juan Diego Flórez, neigt sich dem Ende zu.
Erzählen Sie uns von Ihren Eindrücken und was es für Sie bedeutet auf der Bühne der Mailänder Scala mit einem so traditionsbeladenen Repertoire zu stehen?
An der Mailänder Scala zu singen ist ein Meilenstein für jeden Sänger. Es ist schwer die Gefühle zu beschreiben, die damit verbunden sind!
Einerseits ist die Freude riesig, weil damit ein großer Traum in Erfüllung geht, andererseits ist es eine enorme Verantwortung auf dieser Bühne zu stehen, wo die großen Vorbilder der Vergangenheit und der Gegenwart, Generationen von Opernliebhabern mit exemplarischen Aufführungen begeistert haben. Es kommt noch dazu, dass ich in der neuen Produktion einer Oper des italienischen Belcanto-Repertoires auftrete, von der jeder hier eine ganz bestimmte Vorstellung hat, wie sie interpretatorisch und stilistisch gesungen werden muss.
Ich darf mit einem tollen Sängerteam -Lisette Oropesa als Lucia, Juan Diego Flórez als Edgardo, die Rolle des Enrico verkörpern, und wir alle hatten das große Glück mit einem so erfahrenen und stilsicheren Dirigenten der ruhmreichen italienischen Tradition-Maestro Riccardo Chailly dieses Stück zu erarbeiten. Unter Maestro Chailly hat jede Vorstellung die Intensität einer Premiere und das fordert uns zu Höchstleitungen heraus. Da ist auch bei der vierten oder fünften Vorstellung kein Platz für Entspannung oder Routine. Dabei ist es schön, dass wir uns in der sängerfreundlichen Regie von Jannis Kokkos auf die musikalische Seite konzentrieren können.
Ist es Ihr Debut am Teatro alla Scala gewesen?
Es hätte mein Debut sein sollen, es kam aber anders. Am 16.März, während der ersten musikalischen Probe mit Maestro Chailly, bekam ich den Anruf meines Agenten Alex Grigorev, mit der Frage, ob ich am selben Abend als Marcello in „La Bohème“ einspringen kann. Es war 16 Uhr und ich hatte gerade noch Zeit nach Hause zu gehen, etwas zu essen und dann wieder zum Theater zu laufen und mich für die Vorstellung fertig zu machen. Das Gute daran-es war keine Zeit da, um darüber nachzudenken, was es bedeutet, ohne Probe zum ersten Mal auf der Bühne der Mailänder Scala zu stehen! Gott sei Dank habe ich den Marcello sehr oft gesungen, zuletzt 4 Vorstellungen in Wien im Jänner dieses Jahres. Als ich auf der Bühne stand, fühlte ich mich unheimlich wohl und frei und habe, erst nachdem der begeisterte Applaus abgeklungen war, richtig verstanden, was gerade passiert war.
Was sind bis jetzt die wichtigsten Stationen Ihrer Laufbahn als Sänger gewesen?
Das erste bedeutende Opernhaus, das mich im Jahre 2016 mit wichtigen Aufgaben und später auch mit Hauptrollen betraut hat, war die Bayerische Staatsoper. Aufregend war das Debut an der Wiener Staatsoper im Mai 2018, als ich als Figaro in „Il barbiere di Siviglia“ eingesprungen bin. Nur der Überzeugungskraft meines Agenten ist zu verdanken, dass ich diesen Sprung ins kalte Wasser, an einem so wichtigen Operntheater gewagt habe. Der Auftritt wurde ein voller Erfolg, ich durfte weitere „Barbiere“ Vorstellungen singen, dann kam auch Onegin, und ich bin sehr glücklich, an der Wiener Staatsoper bereits 35 Vorstellungen in Hauptrollen gesungen zu haben.
Weitere ganz wichtige Stationen waren die Debuts am Royal Opera House Covent Garden, an der Opéra Bastille, an der Opéra de Monte Carlo, bei den Salzburger Festspielen und natürlich, jetzt ganz aktuell, an der Mailänder Scala, womit ein großer Traum in Erfüllung gegangen ist. Besonders erfreulich ist, dass den ersten Begegnungen mit allen dieser Opernhäuser, weitere Einladungen gefolgt sind.
Boris Pinkhasovich als Enrico in „Lucia di Lammermoor“ mit Lisette Oropesa an der Mailänder Scala. Credit: Brescia e Amisano/Teatro alla Scala.
Sie sind auch ausgebildeter Dirigent. Wie wirkt sich diese Tatsache auf Ihre Arbeit als Sänger aus?
In meinem Selbstverständnis bin ich sogar in erster Linie Dirigent! Ich habe Dirigieren am Sankt Petersburger Konservatorium studiert, habe schon während des Studiums die Leitung eines Amateurorchesters übernommen, mit dem ich sehr anspruchsvolle Konzertprogramme einstudiert und aufgeführt habe und dabei Leute, die doppelt so alt wie ich und erfolgreiche Ärzte, Anwälte und Ähnliches waren, mit hohen Ansprüchen konfrontiert und nicht locker gelassen, bis das erwünschte Resultat da war.
Ich studiere jede Opernrolle vom Blickpunkt des Dirigenten, habe die Partitur im Kopf, das gesamte Werk im Blick und könnte in jedem Augenblick als Dirigent einspringen.
Wie wichtig sind Ihnen die Publikumsreaktionen und der Kontakt mit dem Publikum?
Ganz, ganz wichtig! Die Zustimmung des Publikums ist meiner Meinung nach nicht da, um die Eitelkeit des Sängers zu befriedigen, sondern als wichtiges Element der Kommunikation zwischen Zuschauerraum und Bühne. Wir singen und spielen für die Leute im Publikum und die Reaktionen aus dem Saal sind das, was uns inspiriert und zu Höchstleistungen motiviert.
Das Wiener Publikum ist ganz besonders treu, warmherzig und fachkundig. Das weiß ich sehr zu schätzen und freue mich jedes Mal sehr darauf für dieses Publikum auf der Bühne zu stehen!
Wie geht es bei Ihnen in unmittelbarer Zukunft weiter?
Ich bin im Juni wieder an der Wiener Staatsoper als Sharpless in „Madama Butterfly“ zu hören. In der nächsten Saison singe ich Belcore in „L’elisir d’amore“ am ROH Covent Garden in London, Sharpless in „Madama Butterfly“ und Yeletsky in einer neuen Produktion von „Pique Dame“ an der Bayerischen Staatsoper in München, Onegin und Ford in „Falstaff“ in Wien.
Gibt es Wunschrollen und sonstige Träume?
Mir haben es die Bösewichte angetan! Enrico in „Lucia di Lammermoor“ ist gewissermaßen einer davon, auch Germont in meiner Interpretation ist kein sehr sympathischer Mensch.
Auf der Wunschliste stehen ganz weit oben Scarpia, Jago, Jack Rance, Conte di Luna. Nicht in dieser Kategorie, aber fix geplant ist Renato in „Un ballo in maschera“.
Und, nachdem ich in allen großen Opernhäusern in Europa gesungen habe, wäre eine erste Begegnung mit dem Publikum auf der anderen Seite des Atlantiks interessant.
Herr Pinkhasovich, vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch mit Boris Pinkhasovich führte Isolde Cupak im April 2023