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BONN: PENTHESILEA von Othmar Schoeck. Premiere

16.10.2017 | Oper

Bonn: Penthesilea von Othmar Schoeck. Premiere am 15. Oktober

Zur Spielplandramaturgie des Bonner Intendanten Bernhard Helmich gehört die kontinuierliche Berücksichtigung von Raritäten. In der laufenden Saison sind es gleich fünf: die Familienoper „Geisterritter“ von James Reynolds, „Echnaton“ von Glass, Verdis “Foscari“ und „Oberst Chabert“ von Hermann von Waltershausen. Mehr ist dem Publikum wahrscheinlich nicht „zuzumuten“. Und so sollte selbstkritisch überprüft werden, ob Zuspruch auch außerhalb der Premierentermine anhält. Der jetzige Erfolg von Othmar Schoecks „Penthesilea“ ist indes ausgesprochen spektakulär, fraglos auch wegen des interpretatorischen Niveaus.

Dabei ist das Sujet nicht leicht zu vereinnahmen, bietet es doch Gefühlsextreme, welche Alltagsfasslichkeit extrem überschreiten. Doch erinnert Regisseur PETER KONWITSCHNY mit Recht daran, dass sich immer wieder Schicksale außerhalb von Gesetzesnormen abspielen. Die täglichen Nachrichten über Verbrechen, Amok u.a. offerieren Schreckliches ja fast schon am Fließband. Auch das Penthesilea-Geschehen ist harte Kost. Den Dramatiker Heinrich von Kleist rührte es freilich zu Tränen, vor allem die Selbsttötung der Protagonistin. Dem 21. Jahrhundert ist der Stoff aber wohl doch ein wenig entrückt, muss auf der Bühne also „übersetzt“ und dem Zuschauer wirklich als Extremsituation nahe gebracht werden.

Für Konwitschny verbietet sich eine illusionistische Interpretation der Schoeck-Oper. Sein Ausstatter JOHANNES LEIACKER bietet denn auch lediglich eine über den Orchestergraben gezogene Spielfläche. Im Hintergrund sitzen Chormitglieder nebst einigen Opernbesuchern und bilden mit dem Gros der Zuschauer (unter ihnen wiederum etliche Chorsänger) ein riesiges Menschenrund. Solcherart lebt die antike Arena-Situation wieder auf.

Eine besonders raffinierte Idee des Regisseur ist es, die beiden Flügel, welche zu der sehr individuellen, klangdunklen  Orchesterbesetzung gehören (u.a. zehn Klarinetten und eine permanent eingesetzte Peitsche) in das szenische Geschehen einzubinden und die Spieler (MERI TSCHABASCHWILI, LUCAS HUBER SIERRA) als Spiegelungen von Penthesilea und Achill auszugeben, wobei die Musiker auch darstellerische Aufgaben übernehmen. Das ergibt eine Spannung ganz eigener Art.

Dem optimalen Nachvollzug dieser und auch anderer Szenen sollte freilich übrigens eine intensive Vorbereitung auf den Stoff vorangehen, denn die doch recht schwerlastigen (gleichwohl willkommenen) Übertitel (Kleist pur) helfen nur bedingt,  außerdem saugt sich das Auge immer wieder am szenischen Geschehen fest. Zu wissen ist also: Amazonen dürfen sich nur Männer erwählen, welche sie auf dem Schlachtfeld  besiegt haben; nach der Liebesnacht sind sie zu „entlassen“. Salopp ausgedrückt: Wegwerfware Mann. Über das strikte Einhalten dieses Gesetzes wacht (bei Kleist/Schoeck) die Oberpriesterin der Diana, ein weiblicher Großinquisitor gewissermaßen. Bei Penthesilea kommt nun ebenso unerwartet wie überwältigend die Liebe ins Spiel. Dennoch bleibt sie den heiligen Vorschriften, welche ihr in Fleisch und Blut übergegangen sind, mit Überzeugung verhaftet. Da sie Achill nicht zu besiegen vermochte, wird ihr nach einer Ohnmacht von den Gefährtinnen der Triumph lediglich eingeredet.  Als Penthesilea dann aber doch die Wahrheit erfährt, fällt sie über Achill, welcher sich ihr als Zeichen seiner Unterwerfung waffenlos naht, mit Hunden her, zerfleischt ihn und verbeißt sich in seinen Körper. Kleist in einem Brief: „Sie hat ihn wirklich aufgegessen vor Liebe. Mein innerstes Wesen liegt darin: der ganze Schmutz zugleich und Glanz meiner Seele.“

Konwitschnys antirealistische Inszenierung (die im koproduzierenden Landestheater Linz vermutlich 2019 gezeigt wird) versagt sich bei diesem Finale blutiges Gemetzel, bietet Penthesileas Schlussworte vielmehr als konzertanten Monolog (Klavierauszug auf einem Notenständer). Achill blättert derweil den Klavierspielern die Noten um. Eine überaus eigenwillige szenische Lösung, welcher man sich freilich widerstandslos hingibt. Das Changieren zwischen Sein und Schein prägt den Abend ja schon zuvor. Sogar dem Lachen wird mitunter Raum gegeben, wenn etwa Penthesilea  auf den Botenbericht des Diomedes (Johannes Mertes mit Alphorn und näselnder Stimme) antwortet und sich dabei persiflierend die Nase zuhält.

Was DIRK KAFTAN, der neue Chef  des BEETHOVEN-ORCHESTERS, alleine an Energien für die Koordination der weit verteilten Sänger aufbringt, ist hinreißend. Der oft sehr hartkantigen Musik ist er ein vorbildlicher Anwalt. Das von Schoeck nachgelieferte Liebesduett Penthesilea/Achill hat wegen seines lyrisch milden Stils teilweise leichte Kritik gefunden, aber seine Musik wirkt doch sehr schlüssig in die Partitur integriert, wie es ohnehin noch andere melosgeprägte Stellen gibt.

Die Bonner Aufführung ließe sich durchaus mit Gewinn in der (übrigens gar nicht so kleinen) Diskografie der Oper vorstellen. In ihr befindet sich u.a. die Stuttgarter Aufführung von 1957 mit dem jungen Eberhard Wächter und der Brünnhilden-gestählten Martha Mödl. Auch ohne diesen Mitschnitt zu kennen steht bei dieser Sängerin ein heroinenhaftes Penthesilea-Porträt zu vermuten. DSHAMILJA KAISER hingegen, neu im Bonner Ensemble, ist  ein noch junges Mädchen mit freilich voluminösem, doch genügend schlankem Mezzo. Ihre Darstellung hat etwas Verzehrendes. Den Achill gibt CHRISTIAN MIEDL zunächst nonchalant, bis auch dieser griechische Krieger die Liebe als Urgewalt erfährt. Mit herbem Bariton und gleichfalls verausgabendem Szenenspiel ist er ein idealer Bühnenpartner. Optimal ist auch die Penthesilea-Freundin Prothoe mit AILE ASSZONYI besetzt. Sie verfügt über einen klangreichen, üppigen und leuchtkräftigen Sopran, agiert mit Verve. In kleineren Partien: CERI WILLIAMS (eine autoritative Oberpriesterin),  KATHRIN LEIDIG (Meroe) sowie MARIE HEESCHEN und BRIGITTE JUNG als Priesterinnen. Hohes Lob auch dem verstärkten Chor des Hauses. In toto ist von einem wahrhaft ereignishaften Abend zu sprechen, welcher durch einen guten Besuch in den Folgevorstellungen hoffentlich angemessen gewürdigt wird.

Christoph Zimmermann

 

 

 

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