Bonn: Le nozze di Figaro
Premiere: am 28. Januar 2018 Zweitvorstellung am 31.Januar2018
Da der Bonner „Figaro“ erst zur zweiten Vorstellung besucht werden konnte, lagen über die Produktion bereits Premierenrezensionen vor. In der führenden Bonner Tageszeitung wie auch der im benachbarten Köln war vorwiegend Positives zu lesen. Der hier zeichnende Rezensent machte sich also frohgestimmt auf den Weg ins Opernhaus, sah die Aufführung dann aber mit ständig wachsendem Missbehagen.
ARON STIEHL, Jahrgang 1969, hat u.a. bei Götz Friedrich studiert und bei ihm gelernt, dass man „eine Geschichte erzählen muss und sie nicht dekonstruieren sollte“, so eine Interviewaussage von ihm. Im Programmheft wiederum ist zu lesen, dass er „mit einer gewissen Demut an ein Werk heranzugehen“ beabsichtige. Hierzu gehört nicht unbedingt die Einhaltung der Zeitvorschriften des Librettos. Der Bonner „Figaro“ ist also in einem dezenten Heute angesiedelt. Wenn bei da Ponte von einem Degen die Rede ist, der Graf jedoch eine Bohrmaschine in der Hand hält (2. Akt), nimmt man das durchaus willig hin. Ein Telefon (mit alter Wählscheibe) kommt ebenso ins Spiel wie eine dezent klappernde Schreibmaschine beim Brief-Duett.
Bei den Ausstattern TIMO DENTLER und OKARINA PETER ist das Almaviva-Schloss ein nicht gerade vornehm wirkendes Zweistock-Haus mit bröckelndem Wandputz. Susanna und Figaro richten sich zwischen den Herrschaftszimmern mühsam ein, was viele Kartons unmissverständlich signalisieren. Diese Szene „stimmt“. Aber was soll der hoch oben mit Fernglas und Abhörutensilien hantierende Basilio?
Das Boudoir der Gräfin sieht nicht gerade besonders edel aus, aber das geht bei der verbürgerlichenden Sichtweise Stiehls an. Die Rosina von anno dazumal leidet an ihrer Ehe, an ihrem erotisch umtriebigen Gatten, gibt sich dem Alkohol hin und qualmt permanent. Freilich bleibt sie bei alledem genügend Dame, um die Gefühle des liebestollen Cherubino anzuheizen. Über die Alkohol-Vorräte wird sich später auch das ziemlich verrottete Chor-Volk hermachen, ebenso der in seinem plumpen Benehmen ziemlich unmögliche Antonio (mit komödiantischem Volleinsatz: BORIS BELETSKIY).
Beim Duett im 3. Akt trifft Susanna den Grafen im Dampfbad an und agiert dabei recht unverfroren. Bei der Gerichtsszene lümmelt der Conte in seinem Stuhl und legt die Beine auf den Schreibtisch. Wo bleiben bitteschön die Manieren? Der Fandango später gerät zu einem affigen Gezapple des Ensembles.
Aron Stiehl befindet sich, so hörte man, in ständiger Begleitung eines Cocker Spaniels. Seine private Hundeliebe greift nun aber auch auf das Finalbild über. Alle Personen in diesem Akt erschrecken sich vor einem außerhalb der Szene kläffenden Bello, den Marcellina irgendwann entnervt mit „Scheißköter“ anbrüllt. DIRK KAFTAN hat im Akt davor vom Dirigentenpult aus die wiedergefundene Familie zu fotografieren. Ein ausgestopfter Vogel Strauß kommt ins Spiel, Barbarina wendet sich vor ihrer Nadel-Arie mit einem „Buona sera“ ans Publikum. Irgendetwas an sinnstiftenden Einfällen vergessen? Es sei nicht verkannt, dass es auch Mozart-nahe Momente in Stiehls Inszenierung gibt, aber die werden unter all diesem Klamauk weitgehend begraben.
Wenigstens kann man sich an der musikalischen Seite des Abends freuen. Dirk Kaftan, der neue Bonner GMD, welcher schon mit Schoecks „Penthesilea“ überzeugte, bietet eine Mozart-stimmige Interpretation mit interessanten Details hinsichtlich Agogik und Dynamik. In der Ouvertüre lässt er die Oboen überraschenderweise nicht Legato, sondern Staccato spielen. Die Tempi wirken bei allem Drive nicht überhastet.
Im Sängerensemble dominieren die Damen. Der Susanna von SUMI HWANG eignet angemessene Stimmsüße, und sie besitzt Charme. In diesem Punkte wird sie vom Cherubino KATHRIN LEIDIGs noch übertroffen: ein wahrhaft wirbelwindiger Page, den man ins Herz schließen muss. Der aus St. Petersburg stammenden ANNA PRINCEVA gelingt es, der emotional derangierten Gräfin selbst in kritischen Situationen weibliche Würde zu bewahren. Schöne Leuchtkraft im Forte, elegante Phrasierung der heiklen „Angst-Koloraturen“ bei der Auseinandersetzung mit ihrem Gatten. Dass MARIE HEESCHEN in kommenden Vorstellungen auch die Susanna übernehmen wird, kann man nach ihrer zauberhaften Barbarina nur begrüßen. Wie immer gut: SUSANNE BLATTERT als schlank-attraktive Marcellina.
Dem Grafen verleiht GIORGOS KANARIS baritonal kraftvolle Umrisse, als Figaro wirkt WILFRIED ZELINKA, Gast aus Graz, bei aller Stimmpotenz und Spielfreude etwas neutral, was von MARTIN TZONEV (Bartolo) wahrlich nicht zu sagen ist. CHRISTIAN GEORG prägt mit seinem eleganten Tenor sowohl den Basilio als auch den Curzio positiv.
Christoph Zimmermann