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BONN: HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN. Premiere

16.03.2015 | Oper
Foto: Theater Bonn/(c)Thilo Beu

Foto: Theater Bonn/(c)Thilo Beu

Oper Bonn – HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN (15.3.2015, Premiere)

 Kaum sind die ersten Töne erklungen, steigt schon eine Figur aus dem Orchestergraben, die sich als Teufel outet und den Fluss der Musik unterbricht. Der Besucher aus Wien, grundsätzlich kein Gegner des so genannten Regietheater, befürchtet Schlimmes. Der Teufel zieht über Offenbach her, der ihn in „Orpheus in der Unterwelt“ lächerlich gemacht hat; aus Rache habe er Partituren vernichtet und auch das Ringtheater abbrennen lassen. Aber es gäbe Forscher, die immer neue Seiten mit Noten und Texten finden und so werde „Hoffmanns Erzählungen“ eben auch heute aufgeführt. Effektvoll setzt er einen Folianten mit der Partitur in Brand und verschwindet. Jetzt endlich kann die Oper beginnen.

Der Vorhang hebt sich und man wirft einen Blick – nein, nicht Luthers Keller zeigt die Szene, es ist die Ruine eines abgebrannten Theaters (wohl eine Anspielung auf den Ringtheaterbrand), die den ganzen Abend die Szene begrenzen wird, vor der die Muse ihren ersten Auftritt hat. In der Folge verwandelt sich die Szene in die die „Höllen Bar“. Und also ist der Wirt Luther als Teufel mit Hörnern (aber ohne Schwanz und Pferdefuß) dargestellt und leichte Mädchen, eine versucht sich als Go-Go-Girl, kümmern sich als Teufelinnen um die Gäste. Unter ihnen Lindorf – ihm wird gegen Ende des Aktes eine Perücke vom Kopf gezogen; glatzköpfig spielt er in den folgenden Akten die Bösewichter – und Hoffmann. Das Lied vom Kleinzach wird von einer Pantomime begleitet.

Die überaus positive Überraschung beginnt im zweiten Akt. Die Figuren, die Renaud Doucet (Regie) und André Barbe (Bühnenbild und Kostüme) hier auf die Bühne stellen, könnten einer Erzählung von Jules Verne entsprungen sein. Roboterähnliche Erscheinungen bevölkern die Szene, Olympia – mit überdimensioniertem Busen – entsteigt einem Holzkasten und ist nicht nur sinnbildlich ferngesteuert, Spalanzani trägt eine mit Rennfahrerbrillen und allerlei anderen Utensilien bestückte Kopfbedeckung, überall hängen Teile der technisch-physikalischen Spielereien des Hausherren herum. Der Fantasie waren hier einzig jene Grenzen gesetzt, die von den Werkstätten oder der Theatertechnik gezogen sind.  Voll menschlicher und optischer Kälte ist der dritte Akt erfüllt. Eiszapfen hängen von der Theaterruine herab, Schnee bedeckt den Boden, ein Eisberg reicht bis zur ehemaligen Theaterloge und verhüllt zur Hälfte ein Klavier. Einzig das Bild der Mutter strahlt einen Hauch von Wärme aus. Crespel ist in dieser Interpretation mehr verknöcherter, steifer Beamter als sorgender Vater; mit hochgezogenen Ohren und überlangen Fingern erweckt Dr.Miracle Assoziationen an Mr.Spock aus Star-Treck. Und auch das Kostüm der Antonia zieht mit den aufgemalten Teilen eines Skelettes einen optischen Bogen in eine andere Welt, die der Höllen-Bar. Heimlicher Mittelpunkt dieses Aktes ist aber, wie so oft, Frantz als tragisch-komische Figur.

Einen deutlichen Bruch zu den stimmigen Akten zwei und drei bildet der dritte Akt. Die Wasserprojektion auf einen Vorhang und die dahinter auf Bugbeschlägen von Gondeln auf und ab schwebenden Mädchen erinnern an Rheingold (und erzeugen manchen Lacher im Publikum). Giulietta singt ihren Part der Barkarole wie ein Revuesternchen auf einer Bühne auf der Bühne, die Kostüme ihrer Liebhaber deuten sie als Armee- oder Polizeiangehörige. Die Kurtisanen zeigen viel nackte Haut – und dennoch, die in der Musik und im Text liegende Schwülstigkeit fehlt. In einen Pelzmantel gehüllt tritt Stella im fünften Akt ganz als Diva auf, ganz das Gegenteil zu Hoffmann und seinen Freunden. Egal wie betrunken der Titelheld ist, gegen Lindorf steht er auf der Verliererseite. Jetzt darf Niklausse, oder ist es doch die Muse, die Liebe zu Hoffmann gestehen.

Jedes Opernhaus der Welt, das „Hoffmanns Erzählungen“ auf den Spielplan setzt, steht vor der Frage, welche Fassung gespielt werden soll. Gibt es von dieser nicht vollendeten Oper doch eine Vielzahl von textlichen und musikalischen Fassungen und immer wieder finden Musikwissenschaftler bisher unbekannte Noten, die sie dem Werk zuordnen. Und die zweite Frage, die sich stellt, ist die Frage der Besetzung der Frauen um Hoffmann und der Bösewichter: eine Person oder verschiedene. Bonn hat sich für eine den jüngsten Forschungsergebnissen weitestgehend entsprechende nahezu ungestrichene Fassung mit Rezitativen (lediglich an einer kurzen Stelle gibt es einen gesprochenen Dialog) entschieden, die mit zwei Pausen beinahe vier Stunden dauert. Die Hauptfiguren werden jeweils von den selben Personen gesungen. Das ist, meiner Meinung nach, dramaturgisch richtig, denn für Hoffmann sind Olympia, Antonia und Giulietta wohl ein Frauentyp, der in Stella kumuliert. Coppelius, Miracle und Daperdutto sind die männlichen Gegenpole zu Hoffmann, vereint in der Figur des Lindorf.

Diese Sicht verfolgen Doucet und Barbe durchgängig bei Hoffmann und seinen Gegenspielern – der eine in allen Akten gleich kostümiert, der andere mit der durchgängigen Glatze. Bei den Frauen wird diese Linie allerdings gebrochen. Sind die unterschiedlichen Kostüme, wie sie auch die korrespondierenden Männer tragen, szenebedingt verständlich, wäre zumindest eine einheitliche Frisur für mich auch bei den Damen ein wünschenswerter Bogen. Denn nur ein gleicher Personentyp erklärt die Besetzung der vier Frauen mit nur einer Sängerin.

Diese eine Sängerin ist in dieser Produktion Netta Or, die vor der Vorstellung im Hinblick auf eine noch nicht überstandene Grippe angesagt wurde. War als Olympia von einer möglichen Indisposition nichts zu hören, musste sie in der Folge doch hörbar forcieren. Das wiederum passt zum Konzept der kranken Antonia, trübt aber doch die Ausstrahlung von Giulietta. Dass die Grippe ihr Debut in allen Rollen doch etwas beeinträchtigte, ist besonders bedauerlich. Martin Tzonev kann als Lindorf und Dapertutto nicht ganz, als Coppelius und Miracle dafür umso mehr stimmlich und darstellerisch überzeugen. Kurzfristig eingesprungen und mit dieser Fassung der Oper erst seit wenigen Tagen konfrontiert ist der aus Frankreich stammende Sébastien Guèze als Hoffmann. Mit deutlich italienisch geschulter Stimme singt er die Partie weniger lyrisch, nicht nur in den Spitzentönen zeigt er eher dramatische Ansätze; das mag aber durchaus verständlicher Nervosität geschuldet sein. Wie sehr seine Darstellung der Regie entspricht und was eigene Rolleninterpretation ist, kann ich nicht beurteilen. Susanne Blattert ist ein langjähriges Mitglied im Ensemble der Oper Bonn und – hörbar beim Schlussapplaus – ein Publikumsliebling. Sie gibt eine burschikose Muse und eine wenig weibliche Niklausse; Hände und Gesicht in gleicher Farbe wie das Kostüm geschminkt erinnert sie an eine jener Figuren, die an belebten Plätzen stehen und mit Pantomimen oder Musik vor allem Touristen anziehen. Stimmlich ist sie mir zu hell timbriert. Christian Georg ist mehr als rollendeckend Cochenille, Franz (mit verdientem Beifall nach seinem Couplet) und Pitichinaccio; Rolf Broman gefällt mir als Crespel besser als Luther; Andrès und Spalanzani werden von Johannes Mertens mehr als ordentlich gesungen und gespielt; die Stimme der Mutter singt Charlotte Quadt. Von den kleinen Solopartien der Studentenriege muss Jonghoon You hervorgehoben werden, der als Nathanael  „französisch“ singend Lust auf ein Wiederhören in einer größeren Partie aufkommen ließ

Sehr gut die Damen und Herren des Chores (Einstudierung Volkmar Olbrich) trotz gelegentlicher Koordinationsschwierigkeiten mit dem Dirigenten. Hendrik Vestmann am Pult des Beethoven Orchester Bonn – sehr gut die Solostellen – bewies mit seinem Dirigat weitgehend, dass Offenbach im nahen Köln geboren wurde. Der Charme des „Mozart der Champs-Elysees“ blieb da manchmal verborgen.

 Michael Koling

 

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