Vorhang auf für die Oper: „Die Oper ist tot – Es lebe die Oper!“
Bundeskunsthalle Bonn: Ausstellungsthema. Foto: Andrea Matzker
Von Andrea Matzker und Dr. Egon Schlesinger
Für jeden Opernliebhaber ein absolutes und unbedingtes Muss ist die opulente Opern-Ausstellung in der Bundeskunsthalle Bonn, die noch bis zum 5. Februar 2023 läuft! Aber auch für Interessierte, die sich vielleicht bisher nicht so häufig für die Oper interessiert haben oder sie gar nicht lieben, ist die Ausstellung äußerst sehenswert und stellt eine große Bereicherung dar. Selbst Kenner der Materie werden noch Vieles erfahren, das sie bisher noch nicht wussten. Die Präsentation bietet tiefe Ein- und Ausblicke in diese sicherlich emotionalste aller Kunstformen, die in ihrer Gesamtheit Musik, Gesang, Poesie, Schauspiel, Tanz und alle Handwerke wie Kostüm, Maske, Bühne und Licht miteinander verbindet und alle Sinne anspricht.
Ausstellungsräumlichkeiten. Foto: Andrea Matzker
Ausstellungsräumlichkeiten. Foto: Andrea Matzker
Bereits der Eingang zur Ausstellung bereitet dem Besucher ein wahrhaftiges Vergnügen, denn er wähnt sich direkt in den Gängen, Korridoren, Foyers und Räumlichkeiten vor und hinter der Bühne eines tatsächlichen Opernhauses und kann sich dort völlig frei bewegen. „Bei freier Bewegung freie Begegnung“ könnte das Motto lauten. Der Rundgang ist kein klassischer, allgemein üblicher und sogenannt langweiliger, der sich an puren historischen Ereignissen entlang orientiert, sondern er erlaubt ein freies Wandeln durch Zeiten und Orte hindurch, die von der Ausstellungsarchitektur der Bundeskunsthalle realitätsnah in Szene gesetzt wurden.
Bundeskunsthalle Bonn: Palais Garnier III – 2004. Candida-Hoefer. Foto: Andrea Matzker
Teatro alla Scala di Milano um 1800. Foto: Andrea Matzker
Modell und Nachbau einer Palasthalle mit Prunktreppe von Lorenzo Sacchetti. Foto: Andrea Matzker
Verschiedenste, auch geschichtliche, geschäftliche, technische Aspekte des Opernbetriebes werden anhand von Beispielen weltberühmter Bühnen umfassend beleuchtet und erläutert. Die Ausstellung zeigt aus den gut 400 Jahren Operngeschichte den Wandel der Bedeutung dieser Kunstform in der Gesellschaft, beginnend mit den barocken Aufführungen an den europäischen Höfen und den Anfängen der Gattung in Florenz am Ende des 16. Jahrhunderts über die Vielfalt der kommerziellen Spielstätten im Venedig des 17. Jahrhunderts mit seinen zehn öffentlichen Opernhäusern, die Opernkonkurrenz des 18. Jahrhunderts in London bis zum Wachstum und Wandel der Institution im 19. und 20. Jahrhundert, dargestellt an Beispielen wie der Mailänder Scala mit ihrem Vermarktungssystem, der traditionellen Wiener Hofoper oder dem Starsystem der New Yorker Met. Paris vertritt die großbürgerliche Feier, und Bayreuth hat den mythischen Anspruch.
Eindrucksvoller und breiter gefächert als in dieser Exposition kann man all die historischen Fakten und Entwicklungen jedoch nicht untermalen. Die Ausstellungsarchitektur wurde hervorragend genutzt, um eine umwerfende, großzügige, farbenfrohe, liebevoll arrangierte und geradezu atemberaubend schöne und dem Thema gerecht werdende Huldigung des Sujets zu bieten. Man scheute sich nicht, ausgesprochen zerbrechliche und äußerst kostbare Leihgaben als Zeitzeugen für die Ausstellung zu erhalten. Aus allen Bereichen des Bühnenlebens, wie vor und hinter der Bühne, oder vor und nach der Aufführung, gibt es Beispiele, die dazu einladen, sich stundenlang in dieser hinreißenden Präsentation aufzuhalten, was im Übrigen durch angenehme Ruhe- und Sitzmöglichkeiten noch erleichtert wird.
Prunkfächer mit derAbbildung-der Opera Garnier,Ende 19.Jh. Foto: Andrea Matzker
Symbolhaft für die breite und umfangreiche Fächerung der Exponate möge der Prunkfächer mit den Darstellungen aus der Opéra Garnier in Paris gelten, der an der Wand ihrer Zeichnung prangt. Alle Wände in der Ausstellung sind miteinbezogen in die Thematik und erläutern die jeweiligen Räumlichkeiten mit Zeichnungen und Texten. Ein liebevoll gestaltetes Mobile aus Fächern und Operngläsern zeugt ebenso von der Vielfältigkeit. Dazu erklingt immer die passende Musik. Der Audioguide mit mehr als 30 Stationen ist daher unbedingt zu empfehlen. Vor einer riesigen Bühne, die abwechselnd Ein- und Ausblicke sowie verschiedene Vorhangs-Versionen in lebensechter Größe zeigt, befindet sich neben einem Konzertflügel eine Sammlung historischer Kostüme, die Weltruhm erlangten.
Historisches Gewand der Tosca 1958 Wien. Foto: Andrea Matzker
Kopfschmuck der Turandot getragen von Maria Callas. Foto: Andrea Matzker
Maria Callas als Turandot.1957. Foto: Andrea Matzker
Enrico Caruso als Canio 1907. Foto: Andrea Matzker
Für das originale Kostüm der Tosca von Renata Tebaldi aus dem Jahre 1958 in Wien wurde extra eine klimaneutrale Vitrine geschaffen. Das originale Kostüm der Turandot von Birgit Nilsson aus dem Jahr 1961 in Wien befindet sich mit seiner 5 m langen, kunstvoll bestickten Schleppe ebenso in der extrem großen Sonderanfertigung eines Schaukastens. Neben dem Gewand ist der originale Kopfschmuck von Maria Callas als Turandot 1957 an der Scala zu bewundern, den sie auch auf dem dazugehörenden Plattencover trägt. Sogar ein Originalkostüm des legendären Enrico Caruso als Canio aus dem Jahr 1907 ist vorgesehen, war aber zur Eröffnung der Ausstellung leider noch nicht aus Italien angekommen. Dafür aber ist sein originaler Spazierstock ausgestellt. Zur besonderen Freude aller Opern- und Kunstliebhaber sind, neben vielen Fotos des Jahrhunderttenors, der auch ein begnadeter Zeichner war, einige seiner Karikaturen zu sehen.
Karikatur Arturo Toscanini (von-Enrico Caruso). Foto: Andrea Matzker
Nebenbei im Theater von Paul Barthel 1892. Foto: Andrea Matzker
In zwei Vitrinen befinden sich eine Reihe köstlicher Devotionalien, darunter auch die Düfte „Tosca“ und „Opera“ mit ihren Flacons. Großen Erfolg in Italien hatte auch der bekannte Duft „Teatro alla Scala“ von Krizia aus dem Jahr 1985 mit dem der Form des gleichnamigen Opernhauses nachempfundenen Flacon. Das Parfum hat Kopfnoten aus Koriander und Bergamotte, Herznoten aus Nelke, Rose, Jasmin, Iris und Geranie, und Basisnoten aus Weihrauch, Vetiver und Patchouli. Vielleicht könnte man als Tüpfelchen auf dem i die Firma dazu bringen, die Ausstellung zumindest am Eingang mit dem stimmungsvollen Parfum zu bestäuben, sodass auch noch der letzte, bisher in der Ausstellung noch nicht angesprochene, olfaktorische Sinn des Besuchers angeregt wird und ihn im Gleichklang zu der harmonischen Ausstellung und zusätzlich betörend verzaubert?
Tito Gobbi als Scarpia. Foto: Andrea Matzker
Der weltberühmte Cocktail „Bellini“ aus Harry’s Bar in Venedig ist ebenso ausgestellt. 1948 von Giuseppe Cipriani erfunden, wäre der Ausschank des nach weißen Weinbergpfirsichen duftenden, köstlichen Getränks neben dem Aspekt der farblichen Augenweide eine weitere Bereicherung in der Bar des Museums. So wäre auch noch in passender Weise der Geschmackssinn involviert. Arrigo Cipriani, der Sohn des Erfinders und Herr der berühmtesten Bar der Welt, würde sich sicherlich darüber freuen und auch noch, neben dem Getränk selbst, ein eigenes Buch zur Ausstellung beisteuern. Dies nur als kleine, weitere Anregung der begeisterten Autoren dieser Besprechung.
Sehr sehenswert ist auch der Film über die deutsche Opernlandschaft mit dem Titel „Un viaggio in Germania“, der exemplarisch für die über 80 Opernhäuser in Deutschland fünf davon untersucht und aus verschiedenen Perspektiven darüber berichtet. Er ist begleitend zur Ausstellung entstanden, ebenso wie die umfangreiche Publikation mit dem Titel der Ausstellung „Die Oper ist tot – Es lebe die Oper!“ Das prunkvolle Hardcover-Buch mit Goldprägung ist äußerst lesenswert und ein ideales Geschenk für jeden. Einfach nur als sensationell kann man das umfassende Begleitprogramm bezeichnen mit verschiedensten Vorträgen, einer Akademietagung, einer Kinoreihe im Forum und diversen Workshops.
Ausstellungsvitrinen. Foto: Andrea Matzker
Zuallerletzt sei noch darauf hingewiesen, dass es in dem wunderbaren Museumsshop bis zum Ende der Ausstellung entzückende Accessoires zum Thema derselben zu erstehen gibt. Das ganze Paket ist einfach nur ein einziger Knaller und sollte unzweifelhaft wahrgenommen werden!
Andrea Matzker und Dr. Egon Schlesinger