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BONN: BENVENUTO CELLINI – Premiere

02.11.2015 | Oper

Oper Bonn – BENVENUTO CELLINI (1.November 2015, Premiere)

In der Mitte des Ponte Vecchio, auf der flussaufwärts gelegenen Seite und mit Blick auf die in Massen strömenden Touristen, steht die Büste eines der wichtigsten Vertreter der italienischen Renaissance – Benvenuto Cellini. Geboren 1500 in Florenz starb der Musiker und Schriftsteller, aber vor allem Medailleur, Goldschmied und Bildhauer nach einem turbulenten Leben 1571 in seiner Geburtsstadt. Das zum Teil auch familiäre Nahverhältnis zwischen den in Florenz herrschenden Medici und den Päpsten in Rom ermöglichten ihm ein Leben abwechselnd in beiden Städten und Aufträge der jeweiligen Machthaber. Das unstete Leben des begnadeten „uomo universale“ hatte allerdings auch dramatische unkünstlerische Seiten: der geachtete Künstler war gleichzeitig ein berüchtigter Gewalttäter und mehrfacher Mörder.

Dass Benvenuto Cellini mit dieser Lebensgeschichte nur wenige Schriftsteller oder Musiker inspirierte, verwundert. Alexandre Dumas schrieb sowohl ein Drama wie auch einen auf Cellinis Leben basierenden Roman; auf diesem Roman wiederum fußt ein Drama von Paul Meurice, das gemeinsam mit dem Roman von Dumas die Grundlage für ein Libretto einer Oper von Camille Saint-Saens ist. Auch eine Operette von Kurt Weill „The Firebird of Florence“ hat das Leben von Benvenuto Cellini zum Inhalt.

Den nachhaltigsten Erfolg, und alles ist relativ, kann Hector Berlioz mit seiner Oper „Benvenuto Cellini“ erzielen. Und auch dieses Werk wäre wohl gänzlich von den Spielplänen verschwunden, hätte nicht die legendäre und immer noch Maßstäbe setzende Einspielung unter Colin Davis für Philips aus dem Jahr 1972 die Oper vor dem Vergessen bewahrt. Berlioz hatte sich bereits 1830 in der Symphonie fantastique, seinem Opus 14, „Episoden aus dem Leben eines Künstlers“ zum Thema gemacht. Wenige Jahre später lernte er die Autobiographie Cellinis kennen, die ihm als ideales Opernsujet erschien. Mit den beiden Librettisten Léon de Wailly und Auguste Barbier, die die Handlung, den Guss der original von Cosimo I von Medici 1545 beauftragten Perseus-Statue (eine der Statuen der Loggia die Lanzi in Florenz) von Florenz nach Rom verlegten, schuf er ein Monsteropus, das den musikalischen Rahmen im Hinblick auf die Orchestrierung aber auch auf den Umfang des Werkes sprengte. Die Uraufführung am 10.September 1838 geriet daher zu einem veritablen Misserfolg und Berlioz zog das Werk wieder zurück. Franz Liszt realisierte 1852 eine Wiederaufführung in einer überarbeiteten, vor allem gestrafften Fassung (Weimarer Fassung), die auch der Komponist selbst ein Jahr später zur Aufführung brachte. Eine weitere Überarbeitung nahm Berlioz 1856 vor, in der er die musikalischen Rezitative zu gesprochenen Dialogen umarbeitete.

Die Oper Bonn spielt nun eine Fassung, die sich an der dreiaktigen Weimarer Fassung orientiert, aber vor allem im 2. Akt deutliche Striche beinhaltet. Die Premiere der bereits im Oktober 2008 (!) in Nürnberg gezeigten Produktion war gestern, 1.November 2015, und sie ist die letzte Premiere des scheidenden GMD Stefan Blunier. Blunier hatte sich dieses Werk, in dem Chor und Orchester ihre Qualitäten ausspielen können, zu seinem Abschied gewünscht; ob es eine weise Entscheidung war, diese Inszenierung, deren seinerzeitige Kritiken in Nürnberg bestenfalls als durchwachsen bezeichnet werden können, zu übernehmen, darf trotz des hörbaren Publikumserfolges bezweifelt werden. Die karnevalserprobte rheinische Mentalität unterscheidet sich von den Vorstellungen einer Inszenierung des in der wiener Opernwelt sozialisierten Chronisten doch deutlich. Laura Scozzi, in Mailand geboren und vom Ballett kommend, hat mit Benvenuto Cellini seinerzeit in Nürnberg ihr Debut als Opernregisseurin gegeben. Für Bonn, so ist zu hören, hat sie dieses Erstlingswerk überarbeitet. Dass sie eigentlich Choreographin ist, der Besetzungszettel führt sie auch unter Regie und Choreographie, merkt man vor allem vor der Pause deutlich. Immer wieder gibt es Tanzeinlagen; auch dort, wo die Musik von Berlioz kein Ballett verlangt. Was man aber auch überdeutlich sieht,  ist ihre Deutung von „comique“ im Zusammenhang mit der Bezeichnung „Opera comique“ für das Werk. Ja, Berlioz und seine Librettisten lassen ihren Benvenuto Cellini in den letzten Tagen des Karnevals in Rom spielen. Aber deshalb wird die Oper doch nicht zum schenkelklopfenden Schwank. Schon die erste Szene im Schlafzimmer Teresas, ausgestattet (Bühne: Barbara de Limburg) mit Fernsehapparat der 70er Jahre und einem Kühlschrank sowie je einem Modell des Petersdoms und des Kolosseums (merke – wir sind in Rom), gerät zur Slapstickkomödie. Cellini und Fieramosca steigen durch ein Fenster, durch das ein Blumenstrauß abwechselnd hinein und wieder hinaus geworfen wird, ein und wieder aus, man verfolgt einander rund um Kästen, Fieramosca wird in einen Kasten, in dem er zum Singen und Beobachten der Szene immer wieder ein Türchen öffnet, eingesperrt, und so geht es weiter. Anderen Regisseuren würden diese Späßchen für die Inszenierung von gut drei Opera buffas von Rossini reichen. Da fällt es dann schon nicht mehr ins Gewicht, dass Teresa als bockig pubertierender Teenager im 70er-Jahre Look (Kostüme: Jean Jacques Delmotte) gezeichnet wird; eine Deutung, für die jedenfalls der Rezensent im Libretto keinen entsprechenden Ansatz findet.

Werkgetreuer wird es nach der Pause und in Cellinis Werkstadt. Diese ist überfrachtet mit Figuren, die an unterschiedliche Künstler erinnern. Da werden Niki de Saint Phalle, Cesar Baldaccini oder Alberto Giacometti ebenso zitiert wie antike Darstellungen. Gelegentlich tut sie aber auch hier etwas zu viel des Guten; zum Beispiel dann, wenn sie eine Madonna auf einen Kaffeeautomaten stellt. Die Kunstwerke und auch alle anderen Einrichtungsgegenstände werden zuletzt in den (auf der Seitenbühne nicht sichtbaren) Schmelzofen geworfen, um den Guss der Perseus-Statue beenden zu können.

Es ist in der Tat schwierig, einen historischen Stoff auf die Bühne zu bringen, ohne in Ausstattungskitsch zu verfallen. Und so versucht auch Laura Scozzi das Werk in die 70er Jahre zu transferieren. Darauf deuten jedenfalls die Kostüme. Cellini trägt ein T-Shirt mit dem aufgedruckten Motto der Post-Hippie-Ära „Live fast and die young“, Balducci im dunklen Anzung ist die Karikatur eines Beamten, Ascanio trägt seine Baseballkappe seitlich schräg, der Papst (muss er wirklich als homosexuell persifliert werden?) kommt ganz in weiß.

So unbefriedigend die Inszenierung ausfällt, so musikalisch erfreulich verlief die gestrige Premiere. Und da muss an erster Stelle, das ist durchaus wertend gemeint, der Chor genannt werden. Berlioz verlangt den Sängern (sehr) viel ab und dazu kommt, dass die regieführende Choreografin auch die Chormitglieder wie Tänzer behandelt. Dafür, dass das ohne wirkliche Pannen gelingt, gebührt den Damen und Herren und ihrem Chorleiter Marco Medved höchstes Lob. In der überaus schwierigen Titelpartie kann Mirko Roschkowski tenoralen Glanz verströmen. Höhensicher und stilgewandt schafft er gekonnt den vokalen Spagat zwischen französischem Schmelz und stimmlicher Dramatik. Als Ascanio ihm zur Seite stand die mir bisher unbekannte Marta Wryk, die für mich die eigentliche Überraschung des Abends war. Problemlos meistert sie die heikle Partie und ist gesangstechnisch sicher nicht der Lehrling, den sie in der Rolle verkörpert. Ein Name, den sich der Opernfreund merken sollte. Mit erstaunlichen Kadenzen aber für meine Begriffe etwas höhenscharf singt Anna Princeva, demnächst in Bonn in Verdis Gerusalemme zu hören, eine dem Regiekonzept entsprechende Teresa. Martin Tzonev kann sich als Giacomo Balducci anfänglich nur schwer gegen die Klangmassen aus dem Orchestergraben durchsetzen, gewinnt aber im Laufe des Abends an stimmlichem Profil; Csaba Szeged
i gibt einen etwas grobschlächtigen aber stimmgewandten Fieramosca; Rolf Broman ist ein jugendlicher Papst, der als Bass noch Zukunft hat. Zumeist mehr als hörenswert auch die kleineren Rollen – Johannes Mertes als Pompeo, Daniel Pannermayr als Bernardino und Jonghoon You als Francesco.

Berechtigten Jubel gab es nach der Premiere auch für das Beethoven Orchester Bonn und seinen scheidenden GMD Stefan Blunier.

Michael Koling

Nachsatz:

Von Bonn nach Köln sind es rund 30 Straßenkilometer, mit der Bahn benötigt man zugabhängig zwischen 20 und 30 Minuten. In beiden Opernhäusern hat Benvenuto Cellini im Abstand von zwei (!) Wochen in unterschiedlichen Inszenierungen Premiere. Hier mangelt es entweder an Kommunikation oder die Intendanten leben einen kulturpolitisch gefährlichen mir-san-mir Standpunkt. Denn was für den Opernfreund ein spannender Dialog sein kann, ist Wasser auf die Mühlräder jener, die schon immer gesagt haben, dass für die Oper zu viel Geld ausgegeben wird.

 

 

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