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„Bonbon“ aus Wien über die über die allererste Frau die es wagte mit einem Cello auf einem Konzertpodium zu erscheinen.

26.02.2022 | Feuilleton

Waldemar Kamer aus Paris schickt uns in Ermangelung von Opernkritiken aus Frankreich ein „Bonbon aus Wien“

Irgendwann wurden auch mir diese ganzen Corona Geschichten zu viel : findet die Vorstellung statt oder nicht ? Mit Orchester oder vielleicht mit Tonband (sic an der Pariser Oper) ? Wer wird dann wirklich heute Abend singen ? Und vor allem immer und überall diese Masken : Als ich im Palais Garnier sogar einen Solisten (sonst hat nur der Chor Masken), alleine auf der Bühne die Figaro-Arie mit Maske singen sah & hörte, wäre ich am liebsten aufgestanden und rausgegangen. Ich bat die Oper um eine Stellungnahme und bekam zu hören, dass er zwar Corona-negativ sei (sonst wäre er gar nicht ins Haus gekommen), aber am Vortag noch Corona-positiv gewesen sei – und dann muss man mit Maske singen. Was kann man fairerweise noch schreiben über einen Sänger der mit Maske singt ? 

Hier als « Ausgleich » ein kleines Bonbon, das Euch hoffentlich amüsieren wird.

Ich recherchiere & schreibe seit einem Jahr an der ersten Biographie über die allererste Frau die es wagte mit einem Cello auf einem Konzertpodium zu erscheinen.

Eine tolle Frau ! Es gibt zwar vier Wikipedia-Seiten zu ihr, doch jeder schreibt ihren Namen anders. Als verlässliche Information im Internet erscheint mir diese :  https://www.sophie-drinker-institut.de/cristiani-lise

Ihr erster Auftritt in Paris 1844 sorgte für Kommentar in ganz Europa, der ganz besonders in Wien sehr aufgebracht war:

6 IV 1844 [Paris Konzert bei Mme Boulanger-Kunzé am 17 III]

Berliner Musikalische Zeitung 1844, Nr 11, 6 IV 1844

[Nur ein Satz in „Allerlei“]

Paris vom 17. März:

Bei Mad. Boulanger-Kunze [sic] ließ sich eine Violoncellistin, Fr. Christiani-Barbier, hören. 

8 VI 1844 AWMZ

Allgemeine Wiener Musik-Zeitung [„Herausgegeben und redigiert von August Schmidt, die Zeitung erscheint Dienstag, Donnerstag und Samstag], N°69 vierter Jahrgang, Samstag den 8. Juni 1844. Seite 276 bei den Notizen:

(Franz Liszt) wird sich, so spricht man (sagt der „Telegraf“), mit der andalusischen Tänzerin Lola Montes verbinden (?!)

(Eine Violoncellistinn!!!) soll sich in einem Pariser Salon produciren mit Namen Christiani-Barbier und zwar mit großem Beifall. – Das sind die Früchte der Frauen-Emanzipation!

(Bei dem Männergesangsfeste in Meissen), (…) wird aufgeführt…

Als sie dann in Wien auftrat, schrieb man u.A. dies :

15 V 1845 AWMZ

Allgemeine Wiener Musikzeitung [Ignaz Lewinsky] 1845, S. 234

Konzert – Salon

Konzert der Dlle. Lise Cristiani, Violoncellistin aus Paris.

Lithographie von H. J. J., nach Thomas Couture, ca. 1860

Es mangelt uns nichts mehr als eine weibliche Bratschistin und das Streichquartett aus Damen besetzt wäre fertig. Die Milanollo’s als violino primo und secondo, Dlle. Cristiani als Cellistin und noch eine entsprechende vierte Virtuosin, welch’ ein Genuß ganz absonderlicher Art müßte es nicht sein, Beethoven auf diese Weise verherrlicht zu hören. Unsere Zeit, welche sich in Novitäten aller Art gefällt, hat weibliche Flöten-und Clarinettvirtuosinnen etc. hervorgebracht, und dennoch, so fremdartig uns eine Violoncelloncellsitin erscheinen mußte, dürfte der Gebrauch des Cello’s in Damenhänden gar nicht so neu sein, als man etwa zu glauben versucht wäre, da, wenn wir nicht irren, die heilige Philomena ein Cello spielend, abgebildet wird, und Engelsbilder (weibliche Figuren) mit derlei Instrumenten oft und genug zu sehen sind, was zu beweisen scheint, daß diese einmal von dem schönen Geschlecht gehandhabt wurden.

Daß das Instrument nicht so unweibisch ist, als es wohl den Anschein hat, beweist schon die äußere Erscheinung unserer Virtuosin, welche sich, ihr Instrument spielend, malerisch ausnimmt. Dasselbe lässt eine ruhige, sitzende Haltung zu, bei welcher das äußere Ansehen des Spielenden nur gewinnt, die Bogenführung zeigt uns die Wellenlinien, welche eine schöne Hand ganz graziös und elegant machen kann, und vollends der sanfte, elegisch klagende, weiche, zum Herzen sprechende Ton eines Cellos ist ganz geeignet, Empfindungen auszudrücken und wiederzugeben, welchen ihren Ursprung in einem weiblichen Busen haben, trotzdem die Klangstufe des Instrumentes, welche ungefähr auf der Höhe des Tenors steht, das Gegentheil von Allem diesen anzudeuten scheint.

Dlle. Cristiani hat demnach bei der Wahl desselben recht gehabt, und sie behandelt es auch in einer Weise, die es nicht zur Folie von Bravourläufen und sonstigen Passagen herabwürdigt, sondern die beweist, daß die Konzertgeberin wohl weiß, auf welche Art Herz und Gemüth des Zuhörers zu rühren sind. Ihr Ton ist daher namentlich im Adagio rund und weich, und dürfte nur an manchen Stellen kräftiger werden, dagegen wird er im piano etwas weinerlich und unsicher, daher es Dlle Cristiani mit Recht vermieden hat, viele Passagen in den kurzen Stricharten zu machen, auch ihre Bogenführung ist edel, und das linke weiße Händchen versteht mit Anstand, ohne unschön zu werden, die verwickeltsten Applicaturen auszuführen.

Die Konzertgeberin spielte die ersten beiden Sätze aus dem Mayserder‘schen As-Trio (Allegro moderato und Adagio), wobei sie von Hrn. Buttler am Piano und Hrn. Durst bei der Violine recht wirksam unterstützt wurde. Ferner hörten wir von ihr ein „Prière“ samt „Boléro“ von Offenbach, eine barocke, quodlibetartige Composition, welche ebenfalls nur durch den schönen Vortrag des darin enthaltenen Adagios zu wirken vermochte, und endlich zwei Melodien (nämlich dass „Una furtiva lagrima“, aus Donizetti’s „Elisir d’amore“ und das Schubertsche „Ständchen“, also wie man sieht, fast lauter Adagiosätze. Außerdem begleitete die Konzertgeberin noch ein Donizetti‘sches Lied…

Und jetzt das « Bonbon »  : der Entschuldigungsbrief eines Chefredakteurs für eine Rezension eines Rezensenten der offensichtlich nicht im Konzert gewesen war :

17 V 1845 [Rezensenten in Wien]

Der Humorist von M. G. Saphir, N° 118, Sonnabend den 17. Mai 1845, Neunter Jahrgang

Handbillet an Dlle. Cristiani

Mein Fräulein!

Sie werden sich vielleicht wundern, dass in der „Wiener Zeitschrift“ Nr. 96, in dem Referate über meine „Akademie im Kärntnerthortheater“, der ebenso umsichtsvolle und geistreiche, als exakte und aufmerksame Berichterstatter den Hrn ERNST, welcher nicht mitwirkte, unter denjenigen nennt, die, wie er sagt, „alle mit Beifall überschüttet wurden“. Sie aber, die Sie wirklich mitwirkten und ungemein ausgezeichnet wurden, nicht nennt!

Wundern Sie sich nicht darüber, das gehört so zu den „petites misères de la vie“ der Kunst! Es ist so leicht, einen Herrn mit einer Dame, eine Violine mit einem Violoncell, den Namen „Ernst“ mit dem Namen „Christiani“ [sic] zu verwechseln! Es ist so leicht, in einer Akademie gar nicht gewesen zu sein, und zu glauben, man war doch darin! Es ist so leicht, bloß das Programm zu beurteilen, und zwar ein früheres, anstatt ein späteres, abgeändertes!

Erlauben Sie mir also, meine Verehrteste, dass ich den „Druckfehler“ berichtige, und dem Leser anzeige, dass es in der „Wiener Zeitschrift“ Nr. 96 anstatt „Hrn. Ernst, der Ausgezeichnete“ heißen muss: „Dlle. Cristiani“, die Ausgezeichnete“ – keine Zauberei, bloß Geschicklichkeit! – Sind wir nicht einen recht honnetes Völklein, wir Rezensentlein?

Genehmigen Sie, Hr. Ernst – nein Fräul. Cristiani, den Ausdruck meiner vollen Hochachtung.

Ihr Ergebenster M. G. Saphir

***
Viel Spaß beim Lesen 🙂

Waldemar Kamer

 

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