Theatervorplatz in Bologna bei Vollmond. Foto: Klaus Billand
Elisabet Strid (Salome). Foto: Andrea Ranzi/ Studio Casaluci
BOLOGNA: SALOME – 19. Februar 2019
Salome und Jochanaan von Weltklasse!
„Sie gleitet langsam dahin“, die (Voll-)Mondscheibe genau an diesem Abend über dem Teatro Communale di Bologna, „wie eine Frau, die aufsteigt aus dem Grab.“ Mit diesem veristischen Vorgeschmack auf dem Theatervorplatz konnte eigentlich nichts mehr schief gehen mit der aus den Jahre 2010 wiederaufgenommen Produktion von Gabriele Lavia, die von Gianni Marras wieder aus dem Depot geholt wurde. Aber es waren in allererster Linie die Sänger der beiden Hauptpartien, die diesen Abend zu einem wahrlich unvergesslichen Erlebnis machten und in der Tat – alles gebend – wie bei einer Premiere sangen und agierten.
Elisabet Strid sang und spielte eine Salome wie eine Mischung aus Enfent terrible und Femme fatale, mit einem klaren und überaus wortdeutlichen Sopran, der nicht nur ihre Wagner-Erfahrung offenbarte, sondern den sie auch mit großer Emphase sang, sich immer wieder stimmlich auf die jeweilige Herausforderung durch Jochanaan und später Herodes einstellend. Nach enormer stimmlicher Verausgabung und einem Tanz, der es an Figuren, Fantasie und Dynamik in sich hatte und offenbar mehr Jochanaan als Herodes galt, hatte sie auch noch im Finale die fordernden Spitzentöne. Es war faszinierend zu erleben, mit welchen Blicken sie Herodes bedachte, nachdem sie auf koketteste Art und Weise zuvor Jochanaan nahe zu kommen versucht hatte. Strids Mienenspiele sind eine ganz besondere Qualität dieser noch jungen Sängerin, die mit Sicherheit eien große Karriere vor sich hat.
Elisabet Strid (Salome), Sebastian Holecek (Jochanaan). Foto: Andrea Ranzi/ Studio Casaluci
Sebastian Holecek zeigte hingegen als leidender, dogmatischer, exzessiver, aber in der Galiläa-Erzählung auch wieder religiös versöhnlicher Prophet Jochanaan alle nur denkbaren Facetten der komplexen Rolle. Dass erreichte er nicht nur mimisch mit ungeheurer Ausdruckskraft und physischem Einsatz, sondern auch mit seinem herrlichen Bariton, der bei ebenfalls bester Diktion (sogar noch aus der Zisterne) sowohl eine sonore Tiefe mit bestechender Phrasierungskunst aufweist als auch blendende Höhen wie ein Telramund hervorbringt. Immer stimmt die gesangliche Aussage perfekt mit der gestalterischen überein und verleiht seiner Charakterdarstellung damit große Wahrheit und Direktheit. In solch einnehmender Differenziertheit und Aussagekraft habe ich den Jochanaan noch nicht erleben können. Dabei offenbarte sich auch ein hohes Maß an künstlerischer Intelligenz. Denn diese Darstellung konnte so kaum vom einem Regisseur, und dazu noch in einer Wiederaufnahme, vorgegeben werden. Das war weitestgehend eigenes Können, Erfahrung mit der Rolle und Trachten nach einem Höchstmaß an schauspielerischer Authentizität. Diese beiden Protagonisten hatten an diesem Abend zusammenkommen sollen – und sie hatten sich getroffen, und sie waren beide Weltklasse! Der Ausgang ist bekannt!
Den beiden Zentren des Geschehens stand aber ein nicht weniger beeindruckendes und offenbar am Ende ihrer Beziehung angekommenes Ehepaar aus Herodes und Herodias gegenüber. Ian Storey gab den Herodes – wieder mal (Kostüme: Andrea Viotti) – in blau-goldener Generalsuniform als gelangweilten, seiner Herrschaft wohl überdrüssigen Tetrarchen, den nicht einmal der Tanz der Salome wirklich noch aus dem grünen Sofa reißen konnte. Das war unterdessen herbeigeschafft worden. Storey verfügt über einen kräftigen Tenor mit stählerner Höhe, allerdings nicht mehr so ganz tragender Mittellage. Aber er spielte die Rolle und auch seine Interaktion mit Herodias sehr gekonnt und damit überzeugend. Seine „bessere Hälfte“ wurde von der bewährten Lioba Braun in einem eleganten tiefblauen Gewand gestaltet. Dabei legte Braun in erster Linie Wert auf gesangliche Linie, ohne dabei auf eine gewisse Larmoyanz und auch Erregtheit angesichts der Attacken des Jochanaan und des Gezänks der Juden zu verzichten – eine beeindruckende Rollenstudie.
Enrico Casari war ein streng nach militärischem Kommiss agierender Narraboth in hellbrauner Hauptmanns-Uniform mit roter Schiebermütze. Irgendwie passte sein klangschöner Tenor gar nicht zu diesem Outfit. Als es so weit war, schnitt er sich mit dem Dolch die Kehle durch – jedenfalls sah es so aus… Der Page als junger Soldat war Silvia Regazzo mit gutem, tief timbrierten Mezzo. Die fünf Juden kamen schon mit dem ausdrucksvoller als sonst singenden Kappadozier von Francesco Leone auf die Bühne. Gregory Bonfatti, Pietro Picone, Antonio Feltracco, Paolo Antognetti und Abraham García González kamen mit dem komplexen Quintett gut zurecht und konnten ihren jeweiligen religiösen Standpunkt dabei klar artikulieren. Das war bei den beiden Nazarenern Riccardo Fioratti und Stefano Consolini nicht ganz so, ihnen fehlte es für ihre statements doch an stimmlichem Material. Gabriele Ribis und Luca Gallo, noch mehr, überzeugten hingegen als die beiden Soldaten in ebensolcher Uniform, wie gesagt. Wagners Siegfried würde sagen: „Mich dünkt, des gedachtest du schon…“. Der Slave war Francisco Javier Ariza García.
Die Inszenierung, eine Koproduktion mit dem Teatro Giuseppe Verdi di Trieste, zeigt auch nach neun Jahren eine gewisse Frische, lebte aber an diesem Abend insbesondere von den starken Sängerdarstellern. Man sieht vor einem nachtschwarzen Hintergrund mit dem Mond in der Mitte einen rötlichen Bühnenboden (Bühnenbild: Alessandro Camera), mehrfach im Niveau gebrochen, und muss sich später wundern, wie behänd Elisabet Strid tanzend über diesen hinweg zu fliegen scheint. Interessant und effektvoll ist die Choreografie der mit langen, im Schein des Lichts glänzenden Lanzen bewaffneten Wachen. Sie bewegten sich immer automatisch dorthin, wo Jochanan war oder zu erwarten war. So deuteten sie die Angst des Hofes vor dem doch eh angeketteten Propheten an, der zunächst sogar noch in einem Gitterkäfig erschien, in zerfetzten Klamotten und mit langer grauer Perücke. Diese gute Choreografie, die auch die Bewegung der Juden einschloss, war Daniele Palumbo zu verdanken. Das Lichtdesign von Daniele Naldi war eher statisch. Es schlug eigentlich nur dreimal von einem tiefschwarzen beim Tanz Salomes in einen türkisen und beim Erscheinen des toten Jochanaan schließlich tiefroten Hintergrund um.
Bei Lavia gibt es keinen Henker: Vom Schnürboden kam stattdessen die offenbar messerscharfe Klinge einer kreisrunden antiken Streitaxt herunter, um die Enthauptung Jochanaans anzudeuten. Das war eindrucksvoll, gerade wegen der großen Ruhe, die dieses Bild ausstrahlte. Weniger überzeugend war dann das Hochziehen der Leiche Jochanaans als einer kopflosen Puppe aus der Zisterne bei gleichzeitigem Aufbrechen des Bühnenbodens. Zur Überraschung aller gab er das riesige weiße Haupt des Propheten frei, was so gar nicht zu der Puppe passte und wohl auch nicht passen sollte. Wollte man hier die stets polarisierende Kussszene Salomes wie bei Romeo Castellucci in Salzburg umschiffen?! Jedenfalls erlaubte das Salome eine relativ aseptisch von statten gehende finale Begegnung mit ihrem Heroen, wobei die gerade Nase und ihre Stellung zur auf seinem Kopf sitzenden Prinzessin (ungewollt?!) wie ein Phallussymbol wirkte…
Der Mittelpunkt einer jedoch starken Personenregie bildete die Dramaturgie der Beziehung Salomes zu Jochanaan, die hier mit einer beeindruckenden Linearität gezeigt wurde. So warf sie beispielsweise zwar die Schleier bis auf den letzten ab, auch zu Herodes hin, sammelte sie im wilden Finale des Tanzes aber alle wieder ein und warf sie fast wütend in die Zisterne – Herodes schien schon zu ahnen, was nun kommen würde. Als dieser ihre scheinbar entblößten Brüste zu den letzten Takten streicheln durfte, erzitterte Salome so heftig, dass unklar blieb, ob es vor Ekel war oder ein Orgasmus angesichts ihrer nahenden Verwirklichung… Je nach Geschmack.
Der Slowake Juraj Valcuha, seit 2016 auch Musikdirektor des legendären Teatro di San Carlo di Napoli, stand am Pult des Orchestra del Teatro Communale di Bologna und musizierte mit dem hervorragenden Klangkörper eine sehr schön differenzierte, ja bisweilen kammermusikalisch klingende „Salome“. Damit kam er auch den Sängern bestens entgegen, die somit ihr ganzes Potenzial zum Ausdruck bringen konnten. Gleichwohl erklangen auch die dramatischen Momente angemessen, wenngleich es niemals zu laut wurde. Hier passte alles zusammen, Musik, Sänger und Bilder. Ein großer Strauss-Abend im wunderschönen Bologna!
Klaus Billand aus Bologna