BOHUSLAV MARTINU: MADRIGALE – Supraphon CD: Die Polyphonie der englischen Renaissance faszinierend neu gedeutet
Die sechs auf dieser überaus spannenden Martinů-CD zu Gehör kommenden Chorwerke entstanden in einem breiten Zeitraum von 1934 bis 1959: Die Vier Marienlieder, die Tschechischen Madrigale, die Fünf Tschechischen Madrigale, die Drei Sakralen Lieder, Himmelschlüssel und die Madrigale wurden an verschiedenen Orten in Europa und den USA geschrieben. Sie sind für gemischten Chor a cappella, Frauenchor mit Violin- und Klavierbegleitung komponiert. Sie spiegeln des Komponisten Leidenschaft für die Volksmusik seiner Heimat, für englische Madrigale und die Klangwelten Debussys wider. Besonders haben Martinů die Vokalwerke von William Byrd, Orlando Gibbons und Thomas Morley mit einer an mährische und slowakische Ruflieder ähnelnden Polyphonie in ihren Bann gezogen.
Martinůs originäre Umdeutung und Anwandlung all dieser Elemente mündet in einen unverbraucht und durch eine „unerschrockene“ Kreativität gekennzeichneten Vokalstil. Obwohl ihm das Schreiben für Chor Probleme bereitete und er sich nicht als Chorkomponist sah, vermag Martinů alle Tugenden der von ihm geschätzten Engländer auch für sich in Anspruch nehmen: Leichtigkeit und Verständlichkeit der musikalischen Sprache, lautmalerischer Wortwitz, eine Geradlinigkeit frei von „Metaphysik, Kompliziertheit und Pathos“ und volkstümliche Texte mit einem guten Schuss Humor, bisweilen gar Verspieltheit („Hei, hier gibt‘s was zu kaufen“, „Mein Kopf tut mir weh“).
Martinů hatte kaum die Hälfte der Stücke selbst aufgeführt erlebt. Außerdem überließ er den Dirigenten und Chören selbst die Ausführung von Dynamik, Phrasierung und Tempi. Also ist der Dirigent der CD von den Autographen Martinůs ausgegangen und verglich diese mit den Noteneditionen. Wo nötig, wurden Retuschen und Ergänzungen in Dynamik, Artikulation und Tempoveränderungen vorgenommen.
Die Martinů Voices unter der Leitung von Lukáš Vasilek singen eindringlich, mit mitreißendem musikalischen Instinkt und artikulatorisch einwandfrei. Allerdings tendieren die Soprane dieses an sich ausgezeichneten Kammerchors in den hohen Registern zu Härten und geraden, steifen Tonansätzen. Ansonsten sind die Stimmgruppen ausgewogen, die Aufnahme klingt natürlich und direkt. Jakub Fišer auf der Violine und Karel Košárek am Klavier sorgen für eine stimmungsvolle Begleitung. Nicht nur für Begeisterte von Chormusik eine reizvolle und unerwartet erfreuliche Begegnung.
Dr. Ingobert Waltenberger