Stream: Gustav Mahlers zweite Sinfonie in der Jahrhunderthalle am 27.6.2021/BOCHUM
In lichten Sphären
Gustav Mahlers 1894 entstandene zweite Sinfonie in c-Moll, die so genannte „Auferstehungs-Sinfonie“, fand beim Publikum sogleich Zustimmung. Gewisse Ähnlichkeiten zur noch monumentaleren achten Sinfonie sind nicht zu überhören. Der langjährige Generalmusikdirektor der Bochumer Symphoniker, der amerikanische Dirigent Steven Sloane, feierte nach 27 Jahren nun mit diesem Werk seinen Abschied in der mit Publikum besetzten Jahrhunderthalle. Zusammen mit den Bochumer Symphonikern musizierte das Jerusalem Symphony Orchestra und es sang der fabelhafte Rundfunkchor Berlin. Die erregten Figuren aus den Bässen erreichten gleich zu Beginn im ersten Satz eine ungewöhnliche Intensität – und auch die klaren Themen und zarten Kantilenen erfuhren eine gebührende Würdigung. Steven Sloane gelang es als Dirigent, den Zauber der lichten Sphären in dieser Komposition mit Magie einzufangen. Mancher Wackler in den Bläsern fiel so gar nicht ins Gewicht. Vor allem die Kraft und Gewalt des Hauptgedankens überwältigte die Zuhörer – ebenso erreichten die hämmernden Rhythmen und choralartigen Themen eine ungewöhnliche dynamische Spannungskraft und Steigerung. Im zweiten Satz herrschte eine eher idyllische Atmosphäre, obwohl Gemütlichkeit nicht aufkommen wollte. Das dahinhuschende Triolenmotiv wirkte durchaus reizvoll. Auch die kontrapunktischen Cello-Bewegungen waren von facettenreicher Wirkungskraft. Die Gesangsmelodie setzte sich schließlich auch in den Bläsern durch. Spannend war, wie die ungeheuren Energien hier langsam nachließen. Robuste Themen wechselten sich dann im Scherzo reizvoll mit skurrilen Themen ab. Die Motive schienen sich immer wieder zu verändern, leuchteten teilweise in den glühendsten Farben. Beim vierten „Urlicht“-Satz überzeugte vor allem Elisabeth Kulman (Mezzosopran), die die Worte aus „Des Knaben Wunderhorn“ mit nie nachlassender Leuchtkraft interpretierte: „O Röslein rot! der Mensch liegt in größter Not!“ Die leidenschaftlichen gesanglichen Steigerungen wirkten hier sehr intensiv. Und die elektrisierende Spannungskraft des gewaltigen Finales ging bei dieser interessanten Interpretation ebenfalls nicht unter. Vor allem der in den weiten Räumen der Jahrhunderthalle machtvoll ertönende „Rufer in der Wüste“ meldete sich mahnend. Der Zauber der Choralmelodie wurde von Steven Sloane und dem Orchester voll erfasst. Schauerlich erklang das Marschthema des „Dies irae“, wirkte aber nirgends übertrieben oder aufgesetzt. Die Klänge des Fernorchesters waren geheimnisvoll, aber durchaus transparent. Mit feinen klanglichen Abstufungen agierte der Rundfunkchor Berlin beim Choral „Auferstehn, ja auferstehn“ – und mit lyrischer Zartheit sang Hila Baggio (Sopran) das Solo „Hast nicht umsonst gelebt, gelitten!“, während sich Elisabeth Kulmans Altsolo „O Glaube“ mit großem Einfühlungsvermögen anpasste. Ausgezeichnet war dann die Wiedergabe des „Verklärungsthemas“, das in nebelhaftem Erinnern plötzlich erschien und einem fast überirdischen Orgel- und Glockenton Platz machte. Die Melodie schwankte in bewegender Weise zwischen Choral und Volkslied. Und auch die Appellrufe der Trompeten schienen voll heiliger Geheimnisse zu sein. Die Verklärungsklänge erfüllten sphärenhaft den riesigen Raum.
Alexander Walther