Tosca in neuem Gewand – Massimo Popolizios Inszenierung aus Florenz auf Blu-Ray
Die Oper „Tosca“ von Giacomo Puccini zählt zu den meistgespielten Werken des Repertoires. Ihre Mischung aus politischem Thriller, emotionalem Drama und packender Musik fesselt seit über einem Jahrhundert das Publikum. Die jüngste Blu-ray-Veröffentlichung aus dem Teatro del Maggio Fiorentino unter der musikalischen Leitung von Daniele Gatti und in der Regie des italienischen Schauspielers Massimo Popolizio verspricht neue Perspektiven auf dieses Meisterwerk. Doch erfüllt die Produktion diese Erwartung? Eine differenzierte Betrachtung ist angebracht.
Daniele Gatti führt das Orchester des Maggio Fiorentino mit großer Sorgfalt, vermeidet jedoch jegliche Schärfen oder Härten, was der dramatischen Zuspitzung in manchen Momenten etwas die Kraft nimmt. Oft sind seine Tempi allzu gemächlich, wodurch die Spannung nicht immer aufrechterhalten wird. Dennoch überzeugt das Orchester mit einem warmen, detailreichen Klang, und der Chor des Maggio Musicale Fiorentino besticht durch einen kraftvollen Vortrag.
Vanessa Goikoetxea als Tosca gibt eine vielschichtige Interpretation dieser Traumrolle für jede Sopranistin. Sie zeichnet die Figur als kokette, impulsive Frau mit starker Bühnenpräsenz. In den hohen Passagen singt sie zuweilen arg aufgerissen, auf der anderen Seite überzeugt sie mit feinen Zwischentönen, insbesondere in lyrischen Passagen. Dennoch glänzt sie in ihrer großen Arie „Vissi d’arte“ mit intensivem Ausdruck und überzeugt im dritten Akt, als sie nach Scarpias Ermordung wie gelähmt vor innerem Zwiespalt scheint. Insgesamt gelingt es ihr überzeugend, in ihrer Partie aufzugehen und darin eigene Akzente zu setzen.
Piero Pretti als Cavaradossi gestaltet seine Partie stimmlich souverän und mit emotionaler Intensität. Besonders sein „E lucevan le stelle“ berührt mit schlichter Eleganz und feiner Phrasierung. Pretti zeigt hier ein ganz natürlich wirkendes Porträt des Künstlers, der sehr klar erkennt, welch tödliches Spiel Scarpia mit ihm spielt. Auffällig ist das subtile Spiel im dritten Akt: Während Tosca ihn mit der Nachricht seiner wundersamen Rettung trösten will, glaubt er ihr keine Sekunde – ein feiner dramaturgischer Akzent, der die Charakterunterschiede zwischen der lebensklugen Skepsis Cavaradossis und Toscas naiver Emotionalität unterstreicht. Ein wissender Mario, der längst durchschaut hat, dass auf ihn der Tod wartet.
Alexey Markov gibt einen markanten, schmierigen Scarpia, dessen Sadismus stets durch kultivierte Baritonfarben kontrastiert wird. Er dominiert jede Szene mit raffinierter Grausamkeit und stimmlicher Exzellenz. Mit feinem Legato und sicheren Höhren gelingt diesem interessanten Sänger eine packende Interpretation. Die Nebenrollen sind solide besetzt: Gabriele Sagona als gehetzter Angelotti, Matteo Torcaso als hintersinniger Mesner und Oronzo D’Urso als schleimiger Spoletta.
Massimo Popolizio verlegt die Handlung von der napoleonischen Epoche in die Ära Mussolinis und siedelt sie im Rom der 1930er Jahre an. Er hat mit den Sängern erkennbar intensiv gearbeitet. Die Personenführung wirkt spannend und jederzeit natürlich, stets aus dem Impuls der Musik abgeleitet. Margherita Pallis Bühnenbild vermittelt diese düstere, rationalistische Architektur mit erdrückender Wucht. Dadurch gelingt es, die politische Unterdrückung der Handlung dem zeitgenössischen italienischen Publikum näherzubringen – ein interessanter, aber auch ambivalenter Regieansatz.
Während traditionelle Inszenierungen oft die barocke Pracht der Kirche Sant’Andrea della Valle mit Scarpias lasterhafter Präsenz kontrastieren, nimmt Popolizios moderne Umgebung dieser Spannung etwas von ihrer sakralen Wirkung. Besonders Scarpias Arbeitszimmer mit bemalten Kulissen wirkt weniger authentisch. Markovs Scarpia erhält zudem eine makabre Note durch eine verstörende Sammlung von Trophäen, darunter Föten in Formaldehyd. Doch im Gegenzug gelingt eine beklemmende Steigerung der Brutalität: Anstelle eines offiziellen Erschießungskommandos wird Cavaradossi schließlich von einem in schwarzes Leder gekleideten Schläger kurzerhand exekutiert – eine drastische, aber wirkungsvolle Entscheidung.
Die Blu-Ray überzeugt mit einer klaren, stimmungsvollen Kameraarbeit, die die szenischen Feinheiten detailliert einfängt. Die Tonqualität ist ebenfalls hervorragend, auch wenn die Balance zwischen Orchester und Sängern gelegentlich etwas diffuser wirkt. Insgesamt bietet die technische Umsetzung jedoch eine eindrucksvolle Wiedergabe der Aufführung.
Diese Tosca-Produktion ist eine spannende Gratwanderung zwischen innovativer Interpretation und bewährten Traditionen. Vanessa Goikoetxeas stimmlich nicht makellose, aber darstellerisch fesselnde Tosca, Piero Prettis klangschöne, durchdachte Interpretation des Cavaradossi und vor allem Alexey Markovs herausragender Scarpia prägen die Aufführung nachhaltig. Die Inszenierung polarisiert: Während die Verlagerung in die Mussolini-Ära interessante neue Perspektiven eröffnet, geht ein Teil der sakralen, klaustrophobischen Atmosphäre verloren. Daniele Gattis Dirigat bleibt in den ruhigeren Passagen allzu behäbig, doch das Orchester des Maggio Fiorentino überzeugt mit reicher Farbpalette. Eine Blu-Ray, die Tosca-Freunden viel Stoff zum Nachdenken bietet – und einige herausragende Momente beschert.
Dirk Schauß, im Februar 2025
Giacomo Puccini
Tosca
Aufführung beim Maggio Fiorentino 2024
Dynamic, Blu-Ray-Disc 58057