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Blu-ray/DVD: Konzert der WIENER PHILHARMONIKER Salzburger Festspiele 2018, ANDRIS NELSONS dirigiert Mahler und Zimmermann; major/UNITEL

Einer der besten Konzertfilme des Jahres

15.12.2019 | Allgemein, dvd

Blu-ray/DVD: Konzert der WIENER PHILHARMONIKER Salzburger Festspiele 2018, ANDRIS NELSONS dirigiert Mahler und Zimmermann; major/UNITEL

 

Einer der besten Konzertfilme des Jahres

 

„Du Narr, was du säest, wird nicht lebendig, es sterbe denn.“ Erster Korintherbrief

 

Der viel zu wenig aufgeführte Klassiker der Moderne, Bernd Alois Zimmermanns Trompetenkonzert „Nobody knows the trouble I see“ ist genau das Richtige für die Wiener Philharmoniker. Das 1954 entstandene Konzert mit einem Spiritual als Ausgangspunkt eines cantus firmus vereint Elemente des Jazz und einer Zwölftonreihe, die in der Nähe von cis-Moll angesiedelt ist. Die Verbindung dieser drei heterogenen Gestaltungsprinzipien sollte laut Zimmermann „einen Weg der brüderlichen Verbindung aufzeigen.“  Die zitternde, aus allen Poren emotionale Extreme dampfende Musik, die sich gegen Diskriminierung und die schmerzlichen Erfahrungen daraus wendet, stellt dem empfundenen Leid in großen versöhnenden Gesten die Freiheit und komplexe Seelenwelt des Jazz an die Seite. Jeder, der Vorbehalte gegen Zwölftonmusik hat, sollte sich dieses von den Wiener Philharmonikern in intensiven Klangclustern, satten Goldtönen und hoher rhythmischer Energie gespielte Werk anhören. Als Auftragskomposition des NDR entstanden, darf die Aufführung 2018 auch als Hommage zum 100. Geburtstag des Komponisten verstanden werden. Wenn es so etwas wie einen musikalischen Nobelpreis geben würde (den Polar Music Prize gibt es ja erst seit 1999), Bernd Alois Zimmermann hätte ihn verdient. 

 

Der schwedische Trompeter Håkan Hardenberger, der das Werk 2018 u.a. in Helsinki und Wien spielte, darf als idealer Interpret gelten. Wie er – mit Dämpfer oder ohne – in hohen und höchsten Lagen endlose Phrasen modelliert, trillert, eigentlich unspielbare Intervallsprünge in den Raum schleudert, und dabei noch eine dämonisch-düstre Geschichte mit hellem Ausgang erzählt, ist faszinierend. Andris Nelsons spürt jeder Gefühlsfaser in der Partitur nach, lässt die Philharmoniker in unzähligen instrumentalen Details fast so klingen, als wären sie aus New Orleans. Hier flossen Salzach, Elbe und Mississippi eine kurze Zeit zusammen. Idiomatischer und klangprächtiger kann diese Musik nicht erklingen. Eine Referenz.

 

Bei Mahlers Auferstehungssymphonie, seiner zweiten, 1890 bis 1894 entstanden, kostet Andris Nelsons alle Extreme in Dynamik, Tempo und motivischer Verschränkung voll aus. Wie vor ihm nur noch unter Leonard Bernstein zelebrieren die Wiener Philharmoniker unter seiner Leitung einen blühenden Lebenshymnus, geboren aus einer historischen Zeitenwende, im Wissen und Glauben um Vergänglichkeit, Tod und Auferstehung. „Was entstanden ist, das muss vergehen! Was vergangen, auferstehen!“ 

 

Andris Nelsons lässt die metaphysische Botschaft mit ihrem Programm in plastische Klanglandschaften und Gebirge aufreifen. Der Hörer hat den überwältigenden Eindruck einer Katharsis, vom finalen Entstehen und Werden auf dieser von Erinnerungsintermezzi und Jüngstem Gericht schaurig gedunkelten persönlichen Reise ins Licht. Für die kurze Zeit eines Konzerts darf allen, die dieses „unaufhörlich bewegte, nie ruhende, nie verständliche Getriebe des Lebens grauenhaft wird“ (Brief Mahlers an Marschalk 1896) die Utopie und Apotheose einer allumfassenden Versöhnung, einer Auflösung von Alltag und ihren Problemchen gelten. „Und siehe da: Es ist kein Gericht, es ist kein Sünder, kein Gerechter – kein Großer und kein Kleiner – es ist nicht Strafe und nicht Lohn! Ein allmächtiges Liebesgefühl durchdringt uns mit seligem Wissen und Sein.“

 

Andris Nelsons ist der ideale Dirigent, im Hier und Jetzt diese kosmische Botschaft mit dem hierfür wohl farbenreichsten Orchester der Welt zu überbringen. Im gewaltig auftrumpfenden Chor  des Bayerischen Rundfunks hat er stimmmächtige und kundige Mitstreiter. Die Solistinnen (Lucy Crowe Sopran und Ekaterina Gubanova Alt, ohne ausreichende Tiefe) geben, was sie halt können. 

 

Die Bildregie von Elisabeth Malzer hebt sich wohltuend von den Myriaden von Aufnahmen etwa eines Brian Large ab. Die Wahl der Perspektiven, der Schnitt, das Spiel aus Fern und Nah ist ja naturgemäß begrenzt, erhöhen jedoch die Botschaft der Musik, fügen ihr ein nicht nur ästhetisches, sondern expressives optisches Element in all ihren Facetten (auch die sichtliche Anstrengung von Hardenberger gehört dazu) hinzu, das insgesamt eine Videoproduktion als sinnvoll rechtfertigt. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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