Fulminantes Klassik-Konzert für Alle in Blindenmarkt am 26.10.2021
Lokaler „Spirit for Europe“ mit Stargast Unterreiner
Clemens Unterreiner. Foto: mostropolis
32 Jahre Herbsttage Blindenmarkt unter der Leitung von Michael Garschall, ausverkaufte Vorstellungen der eigenwilligen Inszenierung von Johann Strauss‘ „Wiener Blut“ durch Kammersängerin Daniela Fally und nun zum Abschluss zum zweiten Mal das „Konzert für Alle“. Die Ybbsfeldhalle bot demnach heuer auf dem Sektor der österreichischen Operette sowie auf dem Boden internationaler Klassik-Komponisten ein Maximum an erstklassigem
musikalischem Angebot.
Dazu kommt eine typische Blindenmarkter Spezialität: Seit 32 Jahren steht tatsächlich die gesamte Marktgemeinde, demnach also jeder/jede einzelne BürgerIn, hinter der Idee dieses Operetten-Festes mit dem Resultat eines künstlerisch und organisatorisch bewältigten Gesamtkunstwerkes. Dieser Eindruck verschärfte sich am späten Vormittag des
Nationalfeiertages, als ebenso fröhliche wie erwartungsvolle MusikliebhaberInnen aller Jahrgänge die Ybbsfeldhalle bis zum letzten Platz füllten, wozu natürlich auch der freie Eintritt beitrug. Dieses „Operetten-Festspielhaus“ ist übrigens, was Sicht und Akustik betrifft, ein besonderer Schatz für den Musikgenuss.
Überraschenderweise verzichtete Langzeit-Intendant Michael Garschall auf Begrüßungsworte, hatte er doch mit Teresa Vogl eine ideale Moderatorin engagiert. Bei sechs kurzen Auftritten hatte die charmant kulturbeflissene Musikexpertin die angenehme Eigenschaft, mit nur wenigen Worten in Kürze prägnant den Inhalt der Werke zu skizzieren und die SängerInnen vorzustellen.
Die Eckpfeiler des zügig abgelaufenen 15-Melodien-Programmes waren zwei geniale Märsche: zu Beginn Edward Elgars beliebter Dauerhit „Pomp and Circumstance“ und zum Finale, wie könnte es anders sein, der Radetzky-Marsch von Johann Strauss Vater.
Dazwischen gab es ausschließlich instrumentale und vokale Gustostückerl. Johann Strauss Sohn war mit der Bauern-Polka, dem Frühlingsstimmen-Walzer und der zweimal erklingenden Schnell-Polka „Unter Donner und Blitz“ zu hören, Jacques Offenbach mit dem rasanten Cancan aus „Orpheus in der Unterwelt“ und Franz von Suppé mit dem zur rechten
Stunde erklingenden Marsch „O du mein Österreich“. All diese von musikalischer Vielfalt und Raffinesse geprägten Werke wurden von den überwiegend jungen Mitgliedern des Orchesters ebenso heiter wie dem streng animierenden Dirigenten Gerhard Lessky in enormer Vielfalt präsentiert. Der Klangkörper trägt den Namen Kammerphilharmonie Spirit of Europe. Wie schön ist allein die Tatsache, diesem vielseitigen Orchester am Nationalfeiertag Österreichs als Mitglied der Europäischen Union hören zu dürfen …
Die beiden extrem unterschiedlichen VokalsolistInnen des Konzertes für Alle wurden vom genannten Orchester symbolisch auf Händen getragen. Dem zu Recht als Stargast eingeladenen Staatsopern-Bariton mit unendlicher Erfahrung, Clemens Unterreiner, gelang jede Arie und jedes Duett. Natürlich helfen dabei seine Routine und seine intensive optische Beziehung zum Publikum. „Scintille Diamant“, Dapertuttos Prachtarie aus dem Giulietta-Akt
aus „Hoffmanns Erzählungen“, wurde ebenso begeistert aufgenommen wie Escamillos noch populärere Ankündigung „Votre toast“ aus Georges Bizets „Carmen“. Schöner und glaubhafter geht’s nicht. Als Solistin trat auch die erst 18-jährige, ein wenig schüchtern wirkende Anja Mittermüller angenehm in Erscheinung. Die Stimmlage hat sich noch nicht eingependelt. Ist sie Sopran oder Mezzo? Noch kann man es nicht verifizieren. Immerhin konnte sie im Sopranfach an der Seite von Unterreiner im Duett „La ci darem la mano“ als Zerlina besser überzeugen als mit der „Habanera“ aus „Carmen“. Es ist anzunehmen, dass dieser Auftritt ein guter und wichtiger Schritt für die Zukunft war, zumal das Publikum die junge Dame sichtlich in sein Herz schloss. Das Debüt von Anja Mittermüller entspricht
übrigens dem jahrzehntelangen Bemühen von Michael Garschall, neben renommierten Stars jungen Talenten eine reelle Chance zu geben.
Schlussapplaus. Foto: mostropolis
Inmitten der Musiknummern gab es zwischen Offenbach und Bizet eine besondere musikalische Delikatesse. Auf den Stufen der „Wiener Blut“-Torte nahmen die vom Blindenmarkter Chefdirigenten Kurt Dlouhy vorbereiteten Mitglieder des von ihm gegründeten Männergesangsvereines Ybbs Aufstellung, um Verdis berühmten Gefangenenchor aus „Nabucco“ klangschön konzentriert darzubieten. Ein Nationalheiligtum des italienischen Patriotismus trat plötzlich in Konkurrenz zu unserem Nationalfeiertag: ein besonderes Zeichen idealer vokaler Völkerverständigung! In Anbetracht dieser spontanen Gedanken genoss man die von Gerhard Lessky und Kurt Dlouhy mit Orchester und Chor erzielte Klangbalance umso intensiver.
Ein exquisiter Einfall zum Programm sei noch erwähnt: Zwischen Bizets „Carmen“-Arie für Unterreiner und Mozarts „Don Giovanni“-Duett mit dem Star-Bariton und Mittermüller als Zerlina genoss man Johann Sebastian Bachs „Air“ aus der Orchestersuite Nr. 3, D-Dur, ein Werk, dass gleichsam zu den Klängen aller kommenden Epochen passt.
Anlässlich des Nationalfeiertages durften die BesucherInnen rot-weiß-rote Fähnchen schwingen, worauf sich vor allem Suppés Marsch „O du mein Österreich“ ideal eignete. Nach dem finalen Schlussapplaus gab es in und vor der Ybbsfeldhalle eine Verabschiedungszeremonie der einander bekannten BesucherInnen mit dem Inhalt: Spätestens am 7. Oktober 2022 sehen wir uns bei Lehárs „Graf von Luxemburg“ wieder.
Ingo Rickl