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BLINDENMARKT/ Herbsttage: DIE ROSE VON STAMBUL von Leo Fall. Premiere

Perfekte Sänger-Darsteller und neue Texte für Problem-Operette

06.10.2018 | Operette/Musical


Ensemble Copyright: Lukas Beck/ Herbsttage Blindenmarkt

Blindenmarkter Herbsttage mit stacheliger „Rose von Stambul“

Perfekte Sänger-Darsteller und neue Texte für Problem-Operette

Premiere 5. Oktober 2018

Bei den 29. Blindenmarkter Herbsttagen geschah bei der Freitag-Premiere in der Ybbsfeldhalle ein wahres Operetten-Wunder: Die problematische Stückwahl des Erfolgsintendanten Michael Garschall wurde von der cleveren Regisseurin Isabella Gregor dadurch gerettet, dass sie das Libretto der an sich professionellen Stückeschreiber Julius Brammer und Alfred Grünwald, eines der schwächsten des Genres, durch zeitgemäße Texte aus der Zeit vor 1914 in das Heute übertrug und vor allem derart flott inszenierte, dass einem trotz vieler Dialoge manchmal die Luft wegblieb. Dazu kam Kurt Dlouhy, der als musikalischer Leiter dieses Konzept voll mittrug und zu einem musikalischen Ereignis gestaltete, wobei die teilweise hierzulande noch nicht bekannten Sänger-Darsteller Höchstleistungen erbrachten. Ein Blick zurück: 1916 wurde Leo FallsRose von Stambul“ im Theater an der Wien mit den damaligen Stars Hubert Marischka als Achmed Bey und Betty Fischer als Kondja Gül inmitten der Kriegswirren und trotz der völlig unattraktiven Handlung zu einem Riesenerfolg.


Iurie Ciobanu, Andrea Zidaric. Copyright: Herbsttage Blindenmarkt/Lukas Beck

Die simple Handlung Brammers und Grünwalds, an deren Grundstruktur auch Isabella Gregor nichts ändern konnte: In Stambul wird Kondja Gül, Tochter von Kamek Pascha, mit dem Minister-Sohn Achmed Bey zwangsverheiratet. Sie liebt aber ihren Brieffreund, den Schweizer Schriftsteller André Lery. Dieser Name ist jedoch das Pseudonym Achmeds, um seine fortschrittlichen Gedanken in der Türkei publizieren zu können. Nach getaner Vermählung verweigert sich Kondja allen Liebeserklärungen Achmeds und reist in die Schweiz, um dort ihren wahren Geliebten kennen zu lernen. Dieser hat allerdings ein Doppelzimmer für sich und seine Frau bestellt. Bis sich herausstellt, dass Achmed Bey alias André Lery und Kondja Gül bereits verheiratet sind, muss das längst wissende Publikum lange warten. Immerhin: Das Ende, das kurioserweise mit Emmerich Kálmáns Shimmy aus der „Bajadere“ ausklingt, ist von ausgelassener Stimmung geprägt. Es hat sich demnach für das Publikum ausgezahlt, die alte Story und die vielen neuen Bonmots von Frau Gregor, vor allem jedoch die nie nach Orient oder gar der Schweiz tendierenden herrlichen Melodien Leo Falls miterlebt zu haben.

Gregor hat übrigens nicht nur die Zeit der Handlung ins Heute verlegt, was vor allem durch kritisch-politische und sexistische Anspielungen deutlich wird, sie hat auch mit den Sänger-Darstellern enorm am Text gefeilt und den Respekt vor dem Komponisten und sogar vor den Librettisten nicht vermissen lassen. Das Wichtigste ihrer Regie: Sie erfolgt mit Demut vor der Musik, die in jeder Szene im Mittelpunkt steht. Die Liedtexte bringen jedoch die Handlung nicht in Schwung, weshalb geänderte und neue Bonmots die Chose ebenso auffrischen wie als Gefühlsuntermalung ablaufende Video-Einspielungen.

Perfekt unterstützt werden die Ambitionen der Regisseurin vom Ausstatter Dietmar Solt. In Stambul spornt er durch zahlreiche Gags mit sich bewegenden Vorhängen die Fantasie an, noch besser gefiel das Bühnenbild des Schweizer Hotels. Am Rande befinden sich Ski und Rodel, am Horizont stilisierte Berge und neben der Rezeption eine Mischung aus Toblerone-Reklame und Flugzeug, dem die handelnden Personen der Reihe nach entsteigen. Die Kostüme sind bunt und schön, ob auch dem Stil des Landes entsprechend, sei dahingestellt.

Foto von Lukas Beck
Andrea Zidaric, Iurie Ciobanu.  Copyright: Herbsttage Blindenmarkt/Lukas Beck

Am Pult des Kammerorchesters Ybbsfeld ist Kurt Dlouhy Experte der Schlager Leo Falls und Freund der regieführenden Partnerin. Besser als Dlouhy kann man mit Musikern nicht arbeiten, die Sänger sind bei ihm in besten Händen. An der Spitze steht naturgemäß der Tenor des Abends, Iurie Ciobanu als Achmed Bey: ein starker, temperamentvoller, zwischendurch verzagender, immer wieder zur liebesbeteuernden Form aufblühender Mann. Natürlich hat er das Glück den mehrmals wiederholten Hauptschlager „O Rose von Stambul“ zu Gehör bringen zu dürfen, noch mehr imponiert sein „Liebes-Duell“ mit Kondja Gül, der die junge Andrea Zidaric, bildhübsch anzusehen, ihren aufblühenden Sopran verleiht, der in tieferen Lagen noch der Perfektion zugeführt wird. Ein Traumpaar der Operette wurde geboren!

Ein anderes Traumpaar, Buffo und Soubrette, sind freilich von Haus aus als Trumpf-As eingesetzt: Verena te Best als aufgeschlossene Türkin Midili Hanum und Roman Martin als Fridolin Müller, Wiener Internet-Spezialist mit deutschen Wurzeln. Tanz, Spiel und Pointenreichtum sind perfekt. Von den weiteren Komödianten des Abends ist vor allem Susanne Hirschler hervorzuheben: Als Desiré, Gesellschaftsdame Kondjas in Stambul, und als Schweizer Hoteldirektorin sitzen Pointen locker, die Wandlungsfähigkeit auch sprachlicher Nuancen begeistert.

Claus J. Frankl ist ein vergleichsweise milder Kamek Pascha, Lorenz Bodmer und Aramis Gehberger glänzen in kleinen Partien. Marcus Ganser ist als Dritter-Akt-Komiker unterfordert. Bleiben die „Jungen“ und die „Alten“: Mit den tatsächlich blutjungen Lena Stöckelle und Anna Mittermüller gibt es enorme Talente zu bewundern, mit Christiana Bruckner und Heinz Müller freut man sich über ihre jahrzehntelange persönlichkeitsstarke Mitwirkung an den Herbsttagen.

Nach dem ideenreichen von Monica Ivona Rusu-Radman fulminant choreographierten Shimmy-Finale dankte ein enthusiasmiertes Publikum allen Mitwirkenden, die nun bis 28. Oktober schon für 2019 Aufmerksamkeit erregen wollen, wenn das Jubiläum „30 Jahre Blindenmarkter Herbsttage“ mit Johann Strauss’ „Fledermaus“ würdig gefeiert wird.

Ingo Rickl

MERKEROnline

 

 

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