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BLINDENMARKT/ Herbsttage: DIE FLEDERMAUS. Premiere

Turbulente “Fledermaus” beim Jubiläum des Wunders Blindenmarkt

05.10.2019 | Operette/Musical

Bildergebnis für blindenmarkt die fledermaus
Foto: Mark Glassner/ Herbsttage Blindenmarkt

Turbulente “Fledermaus” beim Jubiläum des Wunders Blindenmarkt
Sensationelle Sänger-Debüts auch dank Kurt Dlouhys Dirigat

Länger als dreieinhalb Stunden weilte man am Freitag anlässlich der Jubiläumsvorstellung “30 Jahre Blindenmarkter Herbsttage” im Festspielhaus Ybbsfeldhalle. Es begann mit einer freudvollen Begrüßung durch den Gründer-Intendanten Michael Garschall, auch erfolgreicher Chef der Operklosterneuburg und der Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, die die Kulturarbeit des Landes Niederösterreich diesmal durch das Lob an Blindenmarkt krönte, wobei KR Hilde Umdasch als Präsidentin des Vereines der Freunde der Herbsttage nicht vergessen wurde. Seit 1990 besteht also nun jenes Unternehmen, das bereits vor vielen Jahren von Rezensenten als wahres Theaterwunder eingestuft wurde. Nun zeigte Johann Strauss´ “Fledermaus” aus dem Jahre 1874, die in Blindenmarkt zuletzt 1994 zu erleben war, dass sie in neuem Kleide einer keineswegs traditionellen, sondern mutig turbulenten Inszenierung dank der Stärke der Musik und des humorvollen Librettos von Karl Haffner und Richard Genée den Publikumsgeschmack voll erfüllt. Folgendes ist Besuchern der Inszenierung anzuraten: Vergessen sie die in Wien auf den Spielplänen der Staatsoper bzw. Volksoper erfolgreichen Traditionsaufführungen von Otto Schenk, Robert Herzl und Heinz Zednik. In Blindenmarkt befinden sie sich in einer anderen Welt, in einer mehr oder weniger zeitlosen Epoche des Musiktheaters.

Der in der Volksoper stark unterbelichtete Musical- und Operettenstar Gernot Kranner hat das Libretto von Haffner und Genée im Einvernehmen mit dem in eigenen Bühnenbildern inszenierenden Marcus Ganser für ein Art “Gesamtkunstwerk” bearbeitet, das in keiner bestimmten Zeit spielt. Ganz sicher nicht in jener der Urfassung. Das große Verdienst Kranners: er beließ die Traditionskalauer, vor allem jene des unverwüstlichen Froschs; die zusätzlichen Pointen nützen den Zeitgeist so, dass er weder die Musik, noch den Handlungsablauf stört. Optisch sieht das Ergebnis so aus: Gansers Bühnenbild hat im Einvernehmen mit Kostümbildnerin Andrea Hölzl alle Ingredienzien der Abwechslung. In die Villa Eisenstein, die zu Beginn von Ballett-Fledermäusen gestürmt wird, muss der liebestrunkene Alfred per Seil zu Rosalinde gelangen. Die Villa von Orlofsky ist gleichsam als Hort des Reichtums eine einzige Spielhölle, und schließlich überwiegt im Gefängnis die Mentalität österreichischer Bürokratie. Alle Sänger-Darsteller müssen Kunststücke vollbringen, um auf überwiegend schiefen Ebenen von oben nach unten und umgekehrt zu gelangen, wobei sie mit Utensilien verschiedenster Arten versorgt sind. Zum Schauen gibt es als (fast zu) viel.

Wir befinden uns demnach in einer Epoche, wo Tempo und Rasanz anstatt intellektueller Probleme vorherrschen. Für die Heutigkeit der Produktion spricht nur ein kleines Indiz: Adele wird von Falke per SMS zum Fest Orlofskys geladen. Alles andere ist wie Johann Strauss´herrlichen Musik tatsächlich zeitlos.

Das Wichtige ist freilich der musikalische Teil der Jubiläums-Produktion. Hier gilt es vor allem, vier sensationelle Blindenmarkt-Debütanten zu loben. Zunächst imponiert die aus Kopenhagen an die Ybbs engagierte Sopranistin Signe Heiberg als persönlichkeitsstarke Rosalinde. Ihre Stimme ist gleichsam ohne Grenzen einsetzbar, man ist, sobald man sie in ihren verschiedenen Lagen hört, versucht, sofort an Oper zu denken. Wie nahe ist eigentlich Johann Strauss etwa Wagner oder Puccini? Bei dieser Stimme sehr, sehr nahe. Der “Csárdás” etwa ist stark genug, ebenso die finale Auseinandersetzung mit Eisenstein in der Verkleidung als Dr. Blind.

Die Ungarin Brigitte Simon ist wesentlich auffälliger kostümiert als ihre Chefin, die nie und nimmer am Ball in jenem Kostüm auftreten würde, das sich Stubenmädchen Adele von ihr “geliehen” hat. Auch hier gilt: ein Idealdebüt, das sich bei voller Beherrschung der sprachlichen Nuancen noch um einige Prozent verbessern wird. Als dritte Dame gefiel trotz einer kaum merklichen Indisposition die blutjunge Niederösterreicherin Patricia Nolz als Prinz Orlofsky. Darstellerisch perfekt zwischen Dominanz und Jovialität pendelnd, erklang ein sehr weicher Mezzo, der offensichtlich noch im Wachsen begriffen ist. Wie Frau Nolz imponierte auch der männliche Debütant Stefan Zenkl mit weichem Timbre: Naturgemäß verlieh er als Bariton dem Intriganten Dr. Falke alle Facetten dieser Drahtzieher-Figur.
Zwei Tenöre der Extraklasse wetteifern nicht nur Rosalinde, sondern auch um stimmliche Bravour und Komödiantik vom Feinsten. Alexander Kaimbacher ist der mehrfach hineingelegte Eisenstein, er mimt Naivität ebenso glaubhaft wie Verliebtheit und Ärger. Dies alles mit einer Stimmfarbe, die jener von Clemens Kerschbaumer als Alfred ähnlich ist. Man könnte sich durchaus vorstellen, dass die beiden Sing-Schauspieler die Rollen wechseln. Horst Lamnek ist als Gefängnisdirektor Frank traditionell eine Art Gegenpol zum turbulenten Gehabe.

Die kleineren Partien sind ebenso gut besetzt. Da ist vor allem Gabriele Schuchter zu nennen. Als Ida ist sie eigentlich zu alt für diese Partie, ist sie doch im Leben bereits zweifache Großmutter. Aber was sagt das schon? Kranner und Ganser besorgten ihr ein wenig Auffrischung. Und nimmt man dann noch blondes (oder ist es gar weißes?) Haar, dann ist Publikumsliebling Gabi auch dank ihrer mühelos aufs Parkett gewirbelten legendären Radschläge so jung wie nie. Bravo, Gernot Kranner ist der optimale Blind, eine undankbare, jedoch kompakte Rolle. Robert Kolar hat als Iwan kaum Möglichkeiten, sich zu profilieren. Christiana Bruckner und Heinz Müller gehören in Blindenmarkt zum lebendigen, persönlichkeitsstarken künstlerischen Grundstock. Aus einem Nichts an Rolle gestalten sie profilierte Typen.

Bleibt der dritte heimische Publikumsliebling zu erwähnen: Willi Narowetz ist von einer ihn jahrelang hemmenden Erkrankung genesen und schleudert, auf schiefen Flächen hinauf- und hinunterturnend seine Pointen wie aus der Pistole geschossen effektvoll ab. Komödiantik in Reinkultur!

Erwähnen wollen wir noch das von Monica Ivona Rusu-Radmann choreographisch betreute Ballett der Herbsttage, wobei man die zusätzlichen akrobatischen Einlagen bewundern darf.

Nun sind wir beim Dirigenten des Abends: Kurt Dlouhy ist wie Michael Garschall seit Anbeginn dabei. Das Kammerorchester Ybbsfeld mit Konzertmeister Martin Reining an der Spitze vereint junge Musiker der Region mit Spitzen-Instrumentalisten von renommierte Linzer und Wiener Orchestern. Was Dlouhy nebst der Orchesterführung und der Chorleitung auszeichnet: Er vermag es, auch Debütanten und (oder) Operetten-Neulingen auf der Bühne den musikalischen Rückhalt durch die Art der Aufbereitung der Melodien, diesmal von Johann Strauss, zu vermitteln, die ihnen für jetzt und die Zukunft die Operetten-Karriere erleichtern. Für Dlouhy wird am 13. Oktober um elf Uhr eine Festmatinee anlässlich seines 70. Geburtstages stattfinden.

Die Ovationen für alle Mitwirkenden, auch jene, die ansonsten hinter den Kulissen zum Erfolg beitragen, waren hymnisch und andauernd. So muss man sich auch aufgrund des sensationellen Kartenverkaufes um die nächsten drei Jahrzehnte der “Blindenmarkter Herbsttage” keine Sorgen machen, zumal zu der Regel 2500 Einwohner der Marktgemeinde Blindenmarkt alljährlich rund 15.000 Operettenfreunde in die Ybbsfeldhalle locken.

Ingo Rickl.

 

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