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BLINDENMARKT/ 32. Herbsttage: WIENER BLUT. Premiere

09.10.2021 | Operette/Musical

Blindenmarkt: Wiener Kongress tanzt auf Blindenmarkter Überraschungstorte.
Daniela Fally bringt das „Wiener Blut“ in Wallung. Premiere am 8.102021

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Sara Tuleweit, Ernst Dieter Suttheimer, Kerstin Grotrian, Clemens Kerschbaumer. Foto: Lukas Beck

Die 32. Blindenmarkter Herbsttage und der Leitung von Intendant Michael Garschall erlebten am Freitag in der Ybbsfeldhalle ihre umjubelte Premiere von Johann Strauss‘nachgelassenem Werk „Wiener Blut“, das am 26. Oktober 1899 im Wiener Carl-Theater knapp fünf Monate nach dem Tode des Komponisten seine Uraufführung erlebte. Victor
Leon und Leo Stein schufen das 1815 beim Wiener Kongress angesiedelte Libretto, Adolf Müller kümmerte sich um die musikalische Auswahl der Musiknummern. Seither ist das Werk dank des Themas, der köstlichen Musik und der dankbaren Rollen auf den Spielplänen.

Die Spannung auf die genannte Premiere war nicht nur wegen der glanzvollen Besetzung außerordentlich, sondern auch wegen des Regie-Debüts von Kammersängerin Daniela Fally, die seinerzeit in der Wiener Volksoper, dann mit ihrer Bronislawa in Millöckers „Bettelstudent“ in Bad Ischl ihre Liebe zur Operette dokumentierte. Dazu kam die
Darstellung der Fiakermilli in Richard Strauss‘ „Arabella“, die sie als Koloratursopran in die Wiener Gesellschaft anno 1860 entführte.

Foto von Lukas Beck
Andreas Sauerzapf, Kerstin Grotrian. Foto: Lukas Beck

Nun packte offensichtlich die Erwartungshaltung der Fally-Fans die Debütantin zu einer Art Übereifer, der jedoch von den Bühnenbildnern Marcus Ganser und Sam Madwar sowie denn schrillen Kostümen von Anna-Sophie Lienbacher vorgegeben war. Sobald der Vorhang aufgeht, sieht man eine angeschnittene Torte, auf dem das Salonorchester unter Kurt Dlouhy zunächst eine Uraufführung zum Besten gibt: Florian C. Reithners spritzig gestaltete, dem Orchester angepasste Ouvertüre. An den Bühnenrändern kann man in dramaturgisch völlig überflüssige Speisekarten schauen. Im Laufe des Abends entpuppt sich die Torte – es könnte auch ein Gugelhupf sein – als noch viel mehr: Auf ihr kann man an einem Tobogan herunterrutschen, im Innern befindet sich ein Karussell, beim Fest des Grafen Bitowski, wo sich auch Metternich ängstlich über eine rechtlich gesicherte Zukunft für das Volk äußern darf, führt eine repräsentative Stiege nach oben, um der vielfältigen Gesellschaft Raum zu schaffen. Viele Details lenken von der köstlichen Handlung ab, wobei die allzu schrillen Kostümfarben und -schnitte stären. Manche Entwürfe könnten aus der Karikatursammlung von Deix stammen, womit wir in einer Welt der Gesellschaftskritik angelangt sind, die so gar
nicht den Klängen von Johann Strauss entspricht.

Zudem gibt es schon im Hause des Grafen Zedlau ein Herr von Diener, die offensichtlich Staatsakte (Blümel?) herumschleppen und von der Köchin Anna (bravo Gabriele Schuchter!) geleitet werden. Erst im Schlussakt mit drei mächtigen Weinlauben lässt die Hektik nach.
Natürlich gibt es auch eher diskrete Anspielungen auf Mee Too und Chats , die gottlob in vertretbarer Dosis.

Foto von Lukas Beck
Willi Narowetz, Kerstin Grotrian. Foto: Lukas Beck

Nun kommen wir zur rundum stimmenden Besetzung, die Intendant Garschall seiner Regisseurin anbot. Clemens Kerschbaumer ist die Idealbesetzung für Graf Zedlau. Dank seiner Persönlichkeit und seines Prachttenors umgarnt er gleich drei Frauen: seine Geliebte Franziska Cagliari, die in seiner Villa wohnt, seine neue Flamme, die Probiermamsell Pepi, und seine Gattin Gabriele, die unvermittelt in ihre Villa zurückkehrt. Letztere hat in Person von Sarah Tuleweit die besten Karten, resolut und schlau macht sie Balduin erneut in sich verliebt. Kerstin Grotrian als Tänzerin Cagliari muss sich letztlich mit dem Fürsten Ypsheim-Gindelbach zufrieden geben, und Katrin Fuchs, als Pepi, widmet sich wieder ihrem Langzeit-Geliebten Josef, dem Kammerdiener des Grafen. Die drei Sopranistinnen lassen kaum
Fachgrenzen erkennen. Buffo-Szenen erlebt man mit dem Kammerdiener Josef alias Andreas Sauerzapf. Er repräsentiert am ehesten den Charakter der klassischen Operette, also alte Schule im neuen Gewand der Daniela Fally.

Bei allen anderen Figuren der Wiener-Kongress-Komödie dominiert meist skurrile Heiterkeit. Kammersänger Ernst-Dieter Suttheimer zeigt als Premierminister seinen Sinn für präzise Pointen und beweist, dass seine Stimme vom alten Tenor-Glanz nichts verloren hat.

Publikumsliebling Willi Narowetz ist ein Kagler von Blindenmarkter Komiker-Format, jede Pointe ein Lacherfolg bzw. ein Stück Besinnlichkeit, dies besonders in seinem Wienerlied-Duett mit Gabriele Schuchter. In seinem eigenen Bühnenbild spielt Marcus Ganser drei kraftvolle charakterisierte Chargen: als Fiakerkutscher ist er so ordinär, als Graf Bitwoski so verbindlich und als Wirt so geldgierig wie nur möglich. An der Spitze der Kleinrollen-Darsteller und Choristen steht Konstantin Palme als Zögling im Stimmbruch.

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Katrin Fuchs und Ensemble. Foto: Lukas Beck

Nun zum eigentlichen Höhepunkt des Abends! Hoch oben auf der Torte leitet Kurt Dlouhy das von Konzertmeister Martin Reining angeführte Salonensemble des Salonorchesters der Herbsttage Blindenmarkt und schafft es unter ungünstigen Bedingungen souverän, den Sängern und dem Publikum musikalische Leckerbissen von Johann Strauss zu servieren.
Der durch das Wiener Blut verursachte Schluss des dritten Aktes mit möglicherweise drei glücklich werdenden Paaren endete mit Standing ovations für alle Mitwirkenden. Der Applaus bestätigt die Tatsache, dass die in Blindenmarkt übliche Qualität der Operettenpflege auch dem Kartenverkauf dienlich ist. Zwei weitere Vorstellungen wurden
bereits angesetzt.

Ingo Rickl

 

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