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BIETIGHEIM/ Kronen-Zentrum: HEILIG ABEND von Daniel Kehlmann

12.12.2019 | Theater


Foto: Joachim Hiltmann

„Heilig Abend“ von Daniel Kehlmann mit dem Euro-Studio Landgraf am 11.12.2019 im Kronenzentrum/BIETIGHEIM

Zwei Menschen finden sich

 Nur kurz hat der polizeiliche Verhörspezialist Thomas (mit starkem Profil: Wanja Mues) Zeit, um von der Philosophie-Professorin Judith (facettenreich: Jacqueline Macaulay) zu erfahren, ob sie einen terroristischen Anschlag plant. Und im Nebenzimmer wird Judiths Ex-Mann und Mittäter verhört und befragt. Man befindet sich in den Fängen der Polizei. Das kahle Verhörzimmer flackert im Neonlicht, drei verschlossene Türen werden für die gestresste Professorin zum Problem. Sie kann nicht fliehen. Thomas versucht, beide zu überführen: „Kam es zum Geschlechtsverkehr?“ Die Professorin empört sich über die vermeintliche Schamlosigkeit des Polizisten, was Jacqueline Macaulay sehr gut darstellt. List und Täuschung bilden hier eine seltsame Einheit: „Woher wollen Sie das wissen?“ Die Professorin verbittet sich ungefragte Eingriffe in ihr Privatleben: „Ich will meinen Anwalt sprechen!“ Thomas verliert die Geduld: „Wo ist die Bombe?“ Und das Telefon klingelt unentwegt.

Der Regisseur Jakob Fedler arbeitet hier die Annäherung  zwischen den beiden so unterschiedlichen Personen recht überzeugend heraus. Dadurch entsteht ein elektrisierendes Spannungsfeld, das das Geschehen auf der Bühne ganz beherrscht. Er setzt alles daran, Judith endlich aus der Reserve zu locken: „Die Wahrheit ist, dass wir vollkommen machtlos sind gegen Menschen, die bereit sind zu sterben.“ Die Professorin wehrt sich nach wie vor gegen diese schwierige „Big Brother Is Watching You“-Situation. Sie versucht dem Raum zu entfliehen, doch die Türen sind weiterhin verschlossen. „Jetzt fragen Sie sich, ob das stimmt, was man behauptet. Wahrheitsdrogen, Elektroschocks, Waterboarding. Wenn Sie wissen wollen, ob wir das wirklich tun, dann machen Sie genau so weiter, Frau Professor“, gibt ihr Thomas zu verstehen. Die Zeiger der Uhr rücken hier unerbittlich auf Mitternacht zu, was man auch auf der Bühne sieht. Es entsteht so eine explosive Spnannung, die sich trotz einiger dramaturgischer Schwachstellen auf die Zuschauer überträgt. Mit den Erwartungen und Ängsten der Zuschauer spielt der versierte Autor Daniel Kehlmann hier durchaus geschickt. So kommt keine Langeweile auf. Und man kann trotzdem gut verfolgen, wie sich die beiden Personen allmählich annähern und sich sogar finden, obwohl Thomas für einen Polizisten eigentlich zu unbeherrscht ist. Man darf zwar weiterdenken, doch eine endgültige Lösung für all diese Probleme gibt es nicht.

Die Ausstattung von Dorien Thomsen unterstreicht diesen Aspekt passend. Daniel Kehlmann spielt als Schriftsteller hier auf den Film „High Noon“ mit Gary Cooper und Grace Kelly an, wo die Uhrzeit im Mittelpunkt steht – denn der Mörder soll um die Mittagszeit kommen. Der Autor schlägt sich dabei auf keine Seite, sondern stattet die potentielle Terroristin mit der gleichen rhetorischen Kraft aus wie ihr Gegenüber. Das Ende des Stückes ist dann völlig offen. Man weiß nicht mehr, was Lüge oder Wahrheit ist. Judith fragt schließlich: „Wie heißen Sie überhaupt? Sie müssen mir Ihre Dienstnummer geben.“ Und Thomas antwortet nur lakonisch: „Ehrenwort, ich würde sie Ihnen sagen, wenn ich eine hätte.“

Die Uraufführung dieses Stückes war übrigens 2017 im Theater in der Josefstadt in Wien. 

Alexander Walther

 

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