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BIETIGHEIM/ Kelter: DER EINGEBILDETE KRANKE vomn Moliere/Theater Lindenhof Melchingen

03.07.2022 | Theater

Theater Lindenhof Melchingen zeigt Molieres Stück „Der eingebildete Kranke“ am 2. Juli in der Kelter/BIETIGHEIM-BISSINGEN

Fatales Vertrauen zu den Ärzten

mol
Copyright: Richard Becker

Die letzte Komödie von Moliere befasst sich höchst vergnüglich mit der fatalen Geschichte einer zwanghaften Einbildung. Der wohlhabende Argan (den Bernhard Hurm wandlungsfähig mimt) hat in übertriebener Weise Angst vor Ansteckung und Krankheit. Und in seiner krankhaften Hypochondrie vertraut er nur seinen Ärzten. Diese verdienen allerdings sehr gut an seinen Beschwerden.

In der turbulenten Regie von Christoph Biermeier werden die komödiantischen Verwicklungen auf die Spitze getrieben. Denn Argan will seine Tochter Angelique (Linda Schlepps in stets exaltierter Pose) mit dem Sohn eines Arztes verheiraten. Diese ist jedoch in den von Luca Zahn recht spitzbübisch gespielten Cleante verliebt. Sie will für ihre Liebe kämpfen.

In einer Bearbeitung von Martin Heckmanns und in der schwäbischen Fassung von Franz Xaver Ott kommen die Elemente der deutschen Wanderbühne und der Commedia dell’arte voll zur Geltung. Der als trottelhaftes Schaf dargestellte Sohn von Doktor Diarrhörius mit Namen Thomas (Berthold Biesinger in einer famosen Paraderolle zwischen Tier und Mensch) ist als Schwiegersohn auserkoren. Angelique mokiert sich jedoch über diesen Mann, der nur in seltsamen akademischen Redensarten sprechen kann. Argans zweite Frau Beline (ebenfalls sehr komödiantisch: Kathrin Kestler) entpuppt sich als ihre Feindin, denn sie tut durch raffinierte Schmeicheleien alles, um sich Argans Liebe zu erhalten. Als geschickteste Intrigantin erweist sich allerdings auch in dieser rasanten Inszenierung die Hausangestellte Toinette, die von Carola Schwelien mit schillernder Doppelzüngigkeit verkörpert wird. Sie treibt als Arzt verkleidet ihren Schabernack mit dem eingebildeten Kranken, wobei in der Inszenierung sogar die aktuelle Corona-Hysterie mit dem Maskenzwang unverblümt angesprochen wird. Das Bett des eingebildeten Kranken wird wie ein Karussell in wilder Weise hin- und herbewegt. Toinette ergreift auch offen Angeliques Partei. Sie entlarvt schließlich Beline, die sich bei Argans vermeintlichem Tod habgierig und brutal benimmt, während Angelique ehrlichen Kummer über den Verlust des Vaters zeigt. Argan ist nun bereit, der Ehe von Cleante und Angelique zuzustimmen – allerdings nur unter der Bedingung, dass dieser Medizin studiert. Zuvor hat er alle seine Ärzte hinausgeworfen und den „Klistierverkehr“ barsch aufgekündigt. Dabei hat auch der von Franz Xaver Ott mit satirischer Überspitzung verkörperte Doktor Diarrhörius keine Chance mehr. Hier erreicht die Inszenierung von Christoph Biermeier ihren dramaturgischen Höhepunkt, wobei die Musik von Thomas Unruh die höfischen Weisen eines Lully und Rameau aufs Korn nimmt. Das Schwäbische lässt dabei immer wieder auch an die witzige Version des „Geizigen“ als „Entaklemmer“ von Thaddäus Troll denken. Zuletzt ist der eingebildete Kranke plötzlich im Halbdunkel wieder ganz allein und stellt die bange Frage ans Publikum, ob denn kein Arzt im Raum sei. Die Stärke dieses Stücks als glänzende Charakterstudie kommt hier durchaus zum Vorschein. Und die scharfe Satire auf die Ärzteschaft könnte an manchen Stellen sogar noch bissiger sein. Toinette ist bei dieser Aufführung tatsächlich eine Schwester der verschlagenen Dorine in „Tartuffe“. Moliere selbst brach übrigens nach der vierten Vorstellung des Stückes im Palais Royal im Jahre 1673 in Paris tot zusammen. Er trug noch das Kostüm der Titelrolle.

lexander Walther

 

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