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BIETIGHEIM/ BISSINGER/ Kronen Zentrum: DER ZERBROCHNE KRUG von Heinrich von Kleist

27.10.2022 | Theater

„Der zerbrochne Krug“ von Heinrich von Kleist mit der Theaterkompagnie Stuttgart am 26.10.2002 im Kronenzentrum/BIETIGHEIM-BISSINGEN

Ein Verwirrspiel mit Folgen

krug
Foto: Lion Jerger

Ein Krug ist zerbrochen in der Kammer der Jungfer Eve. Vor Gericht erscheint deren Mutter Frau Marthe Rull, um mit Hilfe des Gerichtes den Schuldigen zu überführen. Dagmar Claus spielt Marthe Rull sehr burschikos und beherrschend. Sie nimmt die ganze Bühne ein und hat die einzelnen Szenen voll im Griff. Der von Semjon E. Dolmetsch sehr facettenreich gespielte  Dorfrichter Adam hat schnell verschiedene Verdächtige gefunden. Aber was hat er neben der Gerichtsverhandlung mit der Jungfer Eve im Geheimen abzuhandeln?

In der Inszenierung von Christian Schlösser wird der Gerichtssaal von Grund auf renoviert. Das Bühnenbild von Paul Schlösser wird zur Baustelle. Und die Kostüme von Katrin Döringer unterstreichen dieses Ambiente. Alles hat den seltsamen Charakter des Provisorischen. Dem Gerichtstag wohnt überraschend der von der Schauspielerin Lorena Juric-Blazevic virtuos gemimte Gerichtsrat Walter bei. Er findet so manche Ungereimtheiten. Allmählich kommt aber ein böser Verdacht auf. Doch die Suche nach  dem Täter ist nicht einfach. Im Nachbardorf ist bereits ein Richter suspendiert worden und hat einen Selbstmordversuch begangen. Die vibrierende Spannung dieses vergnüglichen Einakters vermag Christian Schlösser in seiner Inszenierung mächtig anzuheizen. Da kommt vor allem Eves Verehrer Ruprecht (emotional: Manuel Nero) in Rage, der einen anderen Mann in Eves Zimmer entdeckt hat und diesen in die Flucht schlug. Er war mit Eve verlobt und beschimpft sie nun als „Metze“. Die von Sophie von Grudzinski wandlungsfähig gemimte Eve lüftet schließlich das Geheimnis, nachdem der Dorfrichter Ruprecht zu einer Gefängnisstrafe verurteilt hat: „Der Richter Adam hat den Krug zerbrochen.“ Jetzt eskaliert auch in dieser turbulenten Inszenierung die Situation – und der Dorfrichter erinnert plötzlich ganz fatal an Shakespeares Falstaff. Er ergreift die Flucht. Eve aber wirft sich dem Gerichtsrat Walter zu Füßen und bittet diesen, Ruprecht zu retten. Adam hat Eve mit einem gefälschten Papier gedroht, Ruprecht würde zum Militär eingezogen und müsse nach Ostindien. Dies könne er verhindern. Und die wütende Eve  setzt noch eins drauf: „Um es mir auszufertigen, schlich er in mein Zimmer, so Schändliches, ihr Herren, von mir fordernd, dass es kein Mädchenmund wagt auszusprechen.“ Damit ist das Ende von Adams Richterlaufbahn besiegelt. Der Gerichtsrat setzt den Schreiber Licht als dessen Nachfolger ein. Im Hintergrund sieht man in dieser Inszenierung einen baumelnden Körper – und man hat plötzlich den Verdacht, dass Adam womöglich Selbstmord verübt hat. Ein raffinierter Regieeinfall ergibt sich auch hinsichtlich des abgedunkelten Lichts, wenn die einzelnen Personen hinter der Bühne miteinander streiten oder verhandeln. Der Gerichtsrat will die Bestrafung Adams verhindern, wenn er die Kassen in Ordnung findet. Eve und Ruprecht versöhnen sich. Nur Frau Marthe Rull will bei der Regierung in Utrecht wegen des zerbrochenen Kruges klagen. Übrigens spielt der Name Adam auf den alttestamentlichen Sündenfall an, was Heinrich von Kleist  auch gar nicht leugnet. Der Dorfrichter ist ein unverheirateter Mann und nicht sehr attraktiv. Semjon E. Dolmetsch vermag auch eine gewisse Unbeholfenheit dieses seltsamen Richters eindringlich herauszustellen. Seine zwischenmenschlichen Beziehungen beruhen auf dem Prinzip des Gebens und Nehmens, was Christian Schlössers Inszenierung ebenfalls drastisch herausarbeitet. Adam verfügt allerdings nicht über intensive zwischenmenschliche Kontakte, denn er schaut der Frau Marthe „alle Sonntag in die Fenster“.  Er ist sozial wenig integriert, was ihm wahrscheinlich zum Verhängnis wird. Es ist die Stärke dieser Inszenierung, diesen Sachverhalt zu verdeutlichen. Manche Passagen gelingen dagegen schwächer. Dies betrifft vor allem die Personenführung. Eine starke Szene ergibt sich angesichts der  Fabulier- und Verstellungskunst beim Verwirrspiel um die verlorene Perücke. Die von Lena Blauth sehr komödiantisch gespielte Muhme Brigitte hat die Perücke gefunden, die Adam auf seiner Flucht verloren hat. Der Klumpfuß des Dorfrichters hat sich hier als verräterisch erwiesen. Katholische Riten werden dabei in grotesker Weise ad absurdum geführt. Überhaupt ist es ein Merkmal dieser Inszenierung, dass sie satirische Zuspitzungen in den Vordergrund stellt.

In weiteren Rollen überzeugen David Kiefer als Schreiber Licht, Peter Löwy als Bauer Veit Tümpel, Annamae Endtinger als Magd Liese, Kira Wladarz als Magd Margarethe sowie Bastian Simon als Bauarbeiter. Während der Dorfrichter Adam hier die alte korrupte und Formalitäten missachtende Justiz verkörpert, repräsentiert der von einer Frau gespielte Gerichtsrat Walter den modernen, unpersönlichen und sich nur auf Formalitäten berufenden Staat. Daraus  ergeben sich bei dieser rasanten Aufführung wahrhaft komische Situationen. Walters Sorge um das Ansehen der Justiz wird immer wichtiger und deutlicher. Daraus entwickelt sich dann auch ein heftiger Disput zwischen Gerichtsrat und Dorfrichter. Doch auch der als Nachfolger ausgerufene Licht ist eine zwielichtige Figur. Er hat bei Gericht hinterlegte Geldsummen missbraucht, angelegt und die Zinsen dafür in die eigene Tasche fließen lassen. Er nutzt jedoch die günstige Gelegenheit und wird zu Adams Verräter. Die Vertreter des Staates und der Dorfgemeinschaft stehen sich ziemlich unversöhnlich gegenüber. Eves Rehabilitierung erfolgt schließlich auf Adams Kosten. Auch das unterstreicht die hintersinnige Inszenierung von Christian Schlösser. 

Alexander Walther

 

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