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BIETIGHEIM/ BISSINGEN/ Kronen-Zentrum: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER einmal anders, nämlich von Marber/ Wagner

30.10.2015 | Operette/Musical

Der Fliegende Holländer“ von Marber/Wagner im Kronenzentrum Bietigheim-Bissingen

DAS UNHEIMLICHE GESPENSTERSCHIFF

Der fliegende Holländer“ mit der Württembergischen Landesbühne Esslingen am 29. Oktober 2015 im Kronenzentrum/BIETIGHEIM-BISSINGEN

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Copyright: Patrick Pfeifer

Eine ganz und gar ungewöhnliche Inszenierung von Marcel Keller präsentierte die Württembergische Landesbühne Esslingen mit der Aufführung von Andreas Marbers „Der fliegende Holländer“ nach Wilhelm Hauff und Richard Wagner für drei Schauspieler, zwei Schauspielerinnen, eine Sängerin und ein fulminantes Akkordeonorchester in Bietigheim. Auch hier irrt der fliegende Holländer in der eindringlichen Darstellung von Ralph Hönicke auf den Weltmeeren herum und darf nur alle sieben Jahre an Land gehen, um dort nach Erlösung von seinem Fluch zu suchen. Denn zur Strafe für seine Kühnheit wurde er vom Teufel verdammt, auf den Meeren herumzuirren. Allein die Liebe einer Frau kann ihn auch hier befreien. Senta wird facettenreich verkörpert von der versierten Sopranistin Kathryn Magestro, die ihrer Stimme viel Klangfarbenreichtum abzuringen vermag. Und das unheimliche Akkordeonorchester wird hier von Martin Frolowitz als Teufel dirigiert. Hoffnung schöpft der Holländer erst, als er während eines Sturms die Bekanntschaft des Seefahrers Daland (nuancenreich: Reinhard Froboess) macht, der sich für die Reichtümer des Holländers interessiert. Daland verspricht ihm seine Tochter Senta, die sich schon lange nach dem Fremden verzehrt, dessen Bild sie immer bei sich trägt. Das Bühnenbild zeigt immer wieder ein sturmgepeitschtes Meer, die Oberfläche eines riesigen Schiffes und die Kammer mit den Mädchen am Spinnrad. Sentas Verlobter Erik wird hier von Florian Stamm mit großer Wandlungsfähigkeit verkörpert, er möchte Senta nicht aufgeben und gerät wegen dem Holländer in eine schreckliche Eifersuchtstragödie, in deren Verlauf er ins Meer stürzt. Senta aber rettet den fliegenden Holländer schließlich mit ihrer reinen Liebe. Sie küssen sich an der Reling, als der Vorhang fällt. Dazwischen erscheint immer wieder Martin Frolowitz als raffinierter Teufel, der nicht nur virtuos das Akkordeonorchester dirigiert, sondern vor allem auch die handelnden Personen wie Marionetten an der Nase herumführt.

Ulrich Schlumberger leitet das gesamte Ensemble musikalisch mit viel Energie und zündendem Temperament. Dadurch wird eine große Klarheit im Aufbau der Gedanken erreicht – und die Geschlossenheit der Durchführung kommt auch nicht zu kurz. Die Hauptmotive Fluch und Erlösung bestimmen den Fortgang der Handlung in ganz entscheidender Weise und fesseln auch das Publikum. In wilder Chromatik stürzen die Akkordeon-Figurationen dank des vorzüglichen Musizierens von Anne-Maria Hölscher und Ulrich Schlumberger mit Fortissimo-Akzenten hinab. Das Erlösungsmotiv versucht seine Stimme zu erheben, wird aber wiederholt vom gewaltigen Heulen des Sturmes erstickt. Die besten Szenen gelingen Marcel Keller in seiner Inszenierung, wenn die Protagonisten sich auf dem „Gespensterschiff“ (nach Wilhelm Hauffs orientalischem Märchen) befinden, wo die toten Matrosen plötzlich wieder in einer Geisterstunde zum Leben erwachen. Da gewinnt die Inszenierung eine grausige Präsenz, die das Publikum nicht mehr zur Ruhe kommen lässt. Und im Hintergrund skandiert der Geisterchor: „Wir müssen nicht alle sterben!“ Da bekommt man richtige Gänsehaut. Zwischendurch ist auch immer wieder der Chor der untoten Holländer zu hören, während das Gespensterschiff hin und her schaukelt: „Sause, Sturmwind, heule zu! Unsern Segeln lässt du Ruh!“ Marcel Keller arbeitet hier Richard Wagners Sehnsucht nach dem „Weib der Zukunft“ wiederholt sehr deutlich heraus. Auch die Anklänge an Weber und Marschner akzentuiert Ulrich Schlumberger überzeugend. Das Holländermotiv mit dem unheimlichen Klang der leeren Quinten prägt sich tief ein – das gleiche gilt für das von g-Moll zu B-Dur tröstlich gelichtete Erlösungsmotiv. Auch die reizvolle motivische Verwandtschaft von Matrosenchor und dem Spinnlied der Mädchen kommt bei dieser Interpretation dank Kathryn Magestros strahlkräftigem Einsatz plastisch zur Geltung. Die berühmte Ballade der Senta gewinnt eine große voluminöse Fülle, die Sopranistin Kathryn Magestro kommt dabei ohne jede gesangliche Schärfe aus. Florian Stamm, der auch als Steuermann sehr präsent ist, kann Eriks Traumbericht auch ein weiches und ebenmäßiges Timbre geben. Er steigert sich als Verlobter dann gekonnt in eine Psychose hinein, an deren Ende er als „Braut“ vom Teufel heftig verspottet wird. In weiteren Rollen gefallen bei dieser Produktion Stephanie Biesolt als Mary/Schiffbrüchiger sowie Marie Mayer als Kirsen/Schiffbrüchiger. Spannend ist auch die fieberhafte Suche des Teufels nach Gold, nachdem er zu Beginn mühsam einem Brettergerüst entstiegen ist, das wohl den Schiffsrumpf darstellt. Katrin Buschings Kostüme gefallen mit passendem Outfit.
Alles in allem eröffnet Marcel Kellers Inszenierung einen ungewöhnlichen Blick auf Richard Wagners Oper „Der fliegende Holländer“. Gefühle, Geschehnisse und Gedanken blitzen hier wie funkelnde Sterne hervor. 

Alexander Walther         

 

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