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BIETIGHEIM/ BISSINGEN/ Kronen-Zentrum: ANTIGONE von Sophokles in der Nachdichtung von Walter Jens

09.11.2022 | Theater

„Antigone“ von Sophokles in der Nachdichtung von Walter Jens mit der Württembergischen Landesbühne Esslingen am 9.11.2022 im Kronenzentrum/BIETIGHEIM-BISSINGEN

Streit um das Recht

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Foto: Patrick Pfeiffer

In der gelungenen Nachdichtung von Walter Jens entfaltet dieses besondere Werk eine ganz neue Wirkungskraft. Antigone und ihre Schwester Ismene treffen sich vor dem Palast in Theben. Sie sind die einzigen Überlebenden des Erbfluches. Antigone will sich als Tochter ihres Vaters erweisen und beschließt den Leichnam ihres Bruders Polyneikes mit Erde zu bedecken, obwohl darauf die Todesstrafe steht. Ismene weigert sich, trotz Antigones Aufforderung, es ihrer Schwester gleichzutun. Der Chor singt die „Ode an den Menschen„, was von starker Wirkung ist. Die Nachdichting von Walter Jens spricht das Publikum immer wieder sehr direkt an. Als Kreon von Antigones Tat erfährt, lässt er den Sand von der Leiche entfernen und Wachen aufstellen. Diese nehmen Antigone bei ihrem zweiten Beerdigungsversuch fest. Vor Kreon geführt, gesteht sie die Tat – im Bewusstsein, das Recht der Toten gegen das der Lebenden zu vertreten. Trotz des Protests seines Sohnes Haimon, Antigones Verlobtem, und der Unruhen des Volkes, das auf Antigones Seite steht, lässt Kreon sie zur Strafe lebendig einmauern. Teiresias appelliert an Kreon, die Härte der  Strafe zu überdenken und prophezeit ihm ein leidvolles Schicksal. In seinem letzten Auftritt wendet sich der Chor an Dionysos, Schutzgott von Theben. Da er auch Gott des Theaters ist, soll er rasch kommen und die Stadt reinigen.

Das magisch-kultische Ritual der Tragödie kommt in der Inszenierung von Alexander Müller-Elmau (Kostüme: Elisabeth Rauner) trotz der schlichten Ausstattung recht gut zur Geltung. Antigone wird von Kristin Göpfert ausdrucksvoll dargestellt. Sie verdeutlicht drastisch, wie sehr sie unter dem Joch Kreons (der von Martin Theuer mit großer emotionaler Kraft verkörpert wird) zu leiden hat. Zu Beginn sieht man die Protagonisten, wie sie Schreibmaschine schreiben. Der Chor hat dann einen starken  Auftritt, alle rufen durcheinander: „Das Geld macht die Menschen zu Verbrechern.“ Als Kreon reuig zurückkehrt, um seine Entscheidung rückgängig zu machen, ist es zu spät. Antigone ist tot – auch sein Sohn und Kreons Frau Eurydike haben sich umgebracht.  Nathalie Imboden spielt plastisch Antigones Schwester Ismene, die in ihren Gefühlen für die Schwester hin- und hergerissen ist. Kreon möchte nicht „der Sklave eines Weibes“ sein – scheitert aber völlig an der Realität. Antigone und Kreon werden in der schwungvollen Nachdichtung von Walter Jens als Rechtsverletzer dargestellt, die gegen das Recht des Staates und der Familie verstoßen. Der verinnerlichte Stil des Werkes kommt plastisch zum Ausdruck. Antigone wickelt sich selbst in ein weißes Tuch ein, um zuletzt tot herauszufallen. Weiße Tücher beherrschen auch das schlichte Bühnenbild. Kristin Göpfert macht  Antigones fromme Hingabe an das höhere göttliche Gebot überzeugend deutlich. Gleichzeitig spürt man sehr deutlich ihre Furcht vor dem drohenden Tode. Und Martin Theuer lässt als  Kreon deutlich werden, wie stark sein Starrsinn und seine Verblendung sind. Als warnender Seher Teiresias fesselt ferner Sabine Bräuning. In weiteren Rollen gefallen  Oliver Moumouris als Wächter, Felix Jeiter als Haimon, Florian Stamm als Bote.

Das Ensemble ist ein überaus brillant deklamierender Chor der thebanischen Alten. Neben dem berührenden Begrüßungsgesang an die Sonne  imponiert auch das berühmte Preislied auf den Menschen als den Herren der Natur mit leidenschaftlicher Emphase, die die besondere Syntax und den Sprachrhythmus hervorhebt. Ein weiterer Chor erinnert an das tragische Schicksal des Labdakidenhauses, dem Ödipus und seine Kinder als letzte Sprösslinge angehören. Aber auch die Allmacht des Eros und das Gebet des Bacchus geben der Nachdichtung von Walter Jens eine erfrischende Lebendigkeit, die das Ensemble sehr gut umsetzt. Die jambischen Trimeter der Dialoge zeigen hier sprachlichen Farbenreichtum. Im Augenblick, als Antigone hingerichtet wird, scheint sie verändert. Aber sie ist die gleiche Person wie vorher. Kreon überwindet seine bisherige Meinung und erkennt die Wahrheit. Der Krankheitszustand der Unwissenheit ist beendet, so Walter Jens. Hinsichtlich der Personenführung könnte die Inszenierung manchmal noch präziser sein, doch die packende Dramatik sticht immer wieder hervor.

Starker Schlussapplaus.

Alexander Walther

 

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