„Am zwölften Tag“ von Wolfgang Schorlau am 20.10.2021 mit dem Theater Lindenhof im Kronenzentrum/BIETIGHEIM-BISSINGEN
Problematische Zustände
Kathrin Kestler. Copyright; Richard Becker
Wolfgang Schorlaus Kriminalroman aus dem Jahre 2013 schildert die verbrecherischen Machenschaften eines Großindustriellen in der Fleischerzeugung, denen eine Gruppe von Umweltaktivisten auf den Grund zu gehen versucht. So kommen katastrophale Zustände für Tiere und Arbeiter ans Licht. Im Mittelpunkt steht der Stuttgarter Privatermittler Dengler, dessen Sohn Teil des Ermittlerteams einer Tierschutzorganisation ist. Der Roman erzählt drastisch die Aufklärung dieses spektakulären Falles: Der Großnindustrielle wird schließlich wegen Mordes verhaftet – und einige dieser tragischen Figuren bleiben ganz einfach auf der Strecke.
Drei Personen bilden hier drei Handlungsstränge, was in der Regie von Carola Schwelien konzentriert erzählt wird. Im Bühenbild und den Kostümen von Ilona Lenk kommt die Handlung des Romans in intensiven Bildern auf die Bühne, wenngleich manches Detail auch noch deutlicher herausgearbeitet werden könnte. Die rumänische Fleischarbeiterin Cami, die Tierschützerin Laura und der Bauer Zemke sind dabei allesamt Betroffene. Sie fallen den Interessen des Großindustriellen Carsten Osterhannes zum Opfer, der in grotesken Videoeinspielungen in Erscheinung tritt. Der Werbeclip und das Enthüllungsvideo seiner Firma sprechen Bände. Gerd Plankenhorn als Fleischindustrieller Osterhannes, Kathrin Kestler als rumänische Arbeiterin Cami, Franz Xaver Ott als schwäbischer Bauer Christian Zemke und Linda Schlepps als junge Tierschützerin Laura lassen das Geschen mit plastischer Ausdruckskraft und schauspielerischer Wandlungsfähigkeit Revue passieren. Man begreift, dass dieser Skandal letztendlich alle betrifft. Aus der Perspektive der Betroffenen wird hier das ganze Ausmaß der problematischen Zustände deutlich. Nach Ansicht von Wolfgang Schorlau fördert die Fleischindustrie mafiöse Strukturen und organisierte Kriminalität. Zunächst wird der Kapitalismus als gut dargestellt. Er zeigt jedoch sein hässliches Gesicht, als die Rumänin ihr Geld einfordert. Und der Bauer jammert, dass er wegen Überschuldung immer neue Kredite aufnehmen muss: „Ich hab’s vermasselt!“ Cami konstatiert: „Ich hab‘ Angst, ich will nach Rumänien Ich brauche mein Geld und meinen Pass“. Rumänische Mafiosi werden plötzlich durch Berliner Rocker ersetzt. Schließlich wird das Bauernhaus angezündet und der schwäbische Bauer kommt ums Leben. Aber auch die Rumänin und die junge Tierschützerin entkommen dieser Hölle nur um Haaresbreite: „Rumänien hat überlebt.“
Deutlich wird vor allem eines: Die Fleischindustrie kennt keinen Respekt vor den Tieren und den Beschäftigten. Es kommt zu einem systematischen Missbrauch von Werkverträgen und einem undurchschaubaren System von Sub-Unternehmen. Es gibt keinen Respekt vor den Verbrauchern – es existiert nur die Billiglohn-Sklaverei für Migranten aus Rumänien und Bulgarien. Und als die Frauen aufbegehren, werden sie übel verprügelt. So ist in der subtilen Bearbeitung von Georg Kistner ein packendes Stück entstanden, das den Zuschauer betroffen macht.
Alexander Walther