Das Götterehepaar, schick gestylt: Frank DolphinWong, Sarah Kuffner: Copyright: Bettina Stöss
THEATER BIELEFELD: „DAS RHEINGOLD“ mit österreichischer Beteiligung (mit der Metapher für „Welt am Abgrund“)
Premiere am 3.3. 2018 – Karl Masek
Irritierendes vor der 136-taktigen Es-Dur-Klangfläche des Vorspiels: Der Dirigent steht schon am Pult, während der “Eiserne“ hochfährt. Begleitet von enervierenden Pfeiftönen und orangem Sicherheitsblinken. Man denkt unwillkürlich, aha, das gehört zur Inszenierung …
Doch es ist weder ein Regiegag, noch eine technische Panne. Derlei gehört zum gültigen Sicherheitsbeiwerk, ist nur normalerweise sonst nicht fürs Publikum sicht- und hörbar. Es beeinträchtigt allerdings die Konzentration, das menschliche Ohr blendet Piepstöne nicht sofort aus, die setzen sich – ziemlich lästig – im „inneren Ohr“ als Ohrwurm fest, was für so manchen eine unerwünschte akustische Collage ergibt …
Das Vorspiel setzt zwar partiturgerecht im Piano (und nicht pianissimo) ein, ist aber für mein Gefühl viel zu früh bei einem satten Mezzoforte angelangt. Der Klang wächst also nicht „aus dem Nichts heraus“, ist zudem bläserlastig, und man hört die hinzutretenden Streicher kaum. Dies der Grund, warum es an diesem Abend bis zum ersten Einsatz der Rheintöchter braucht, bis er musikalisch in die Gänge kommt.
Doch wenden wir uns zuerst dem Inszenierungskonzept der Regisseurin Mizgin Bilmen zu. Das ist geprägt durch die in den letzten Jahren pessimistischer gewordene Weltsicht der Deutschen mit kurdischen Wurzeln. Die Welt ist in „Schräglage“, bewegt sich auf einen Abgrund zu. „Die allererste Schräglage ist eine ökonomisch-soziale, nämlich dass zwei Prozent der Bevölkerung dieser Erde einen Reichtum haben … so viel Geld haben, wie sie, ihre Kinder und Kindeskinder, gar nicht ausgeben können,…, das dies nur möglich ist, weil es anderswo fehlt.“ Im Vorabend der Tetralogie verschanzen sich die Götter in ihrem repräsentativen Göttersitz, umgeben von schrägen (!) Streben (Bühne: Cleo Niemeyer). In den Tiefen des Rheins lockt die Sonne den Glanz des Goldes hervor. Symbolisiert durch die „Erdlinge“, dargestellt von der Statisterie des Theaters Bielefeld. Sie haben die Goldflitter in ihren Kostümen eingenäht. Was tollen Effekt macht, wenn die beiden Riesen in ihrer Gier nach Gold und dem Ring deren Kostüme aufreißen …
„Dir, Wotan, rät ich, meide den Ring Katja Starke, Frank Dolphin Wong. Copyright: Bettina Stöss
Die Variable Bühne „bebildert“ stilisiert die Tiefen des Rheins, die Götterburg, Alberichs Nibelungenwelt mit minimalen Veränderungen, hervorgerufen durch eine suggestive Lichtregie (Johann Kaiser) und die Videozuspielungen von sputnic (Malte Jehmlich), welche die Verwandlungsmusiken bildmächtig mit Katastrophenszenarien heutiger Kriegsschauplätze anreichern, die Sinne auf den Weltenbrand der Götterdämmerung lenken. Plakativ, auch mit viel konventionellem Bühnennebel, dennoch eindrucksstark. Mit Bilmens Metaphern für die Welt am Abgrund wird dem Publikum Raum für eigene Assoziationen gelassen.
Einwände gegen die Kostüme Loges und Alberichs. Der Feuer(halb)Gott Loge ist unerfindlicher Weise schwarz gewandet, der Schwarzalbe irritiert mit Glitzerweiß und unterscheidet sich damit optisch nicht von der Götterwelt – hier wird man an die spezielle Ästhetik Achim Freyers erinnert (Alexander Djurkov Hotter).
Die drei Rheintöchter (Nienke Otten, Hasti Molavian, Nohad Becker) leiteten mit ebenmäßigen, klangsinnlichen Stimmen, homogen im Ensemble, eine musikalisch bemerkenswerte, gelungene Premiere ein.
Die satte Mehrheit der Sänger/innen wartete mit urgesund klingenden Stimmen auf und bestach überdies durch Wortdeutlichkeit:
Prachtvoll der Wotan von Frank Dolphin Wong. Er beglaubigte den herrischen Gott mit aller arroganten Selbstherrlichkeit des Auftretens, der situationsbezogenen darstellerischen und sprachlichen Aktion. Schon lange habe ich keinen stimmlich so ebenmäßigen, elegant geführten, noblen, in den Steigerungen markanten und zugleich mühelos gestaltenden Bassbariton als Jung-Wotan gehört. Bielefeld macht‘s möglich!
„Helfen will ich dir, Mime!“ Statisterie, Lorin Wey, Alexander Kaimbacher. Copyright: Bettina Stöss
Charismatisches Zentrum, mit Ovationen gefeierter Loge war der Österreicher Alexander Kaimbacher. Von allbeherrschender Bühnenpräsenz, bewegte er sich leichtfüßig, geradezu tänzerisch, hatte all die Götter, Nibelungen, Riesen, am Gängelband. Verschlagen, zynisch, exzentrisch, scheinbar opportunistisch und empathisch tritt der „elende Schwätzer“ auf, weidet sich aber daran, wie sie alle ins Unglück rennen („Ihrem Ende eilen sie zu…“). Er war allgegenwärtiger Spielleiter, viele meinten sogar der „heimliche Regisseur“. In der Körpersprache momentweise sogar an den legendären österreichisch- israelischen Pantomimen Sami Molcho erinnernd. Fabelhaft die dynamische Bandbreite und die schillernde Farbigkeit seines Charaktertenors. Mit Lust und bewusst überdeutlich skandierte, ja zelebrierte er seine Stabreime. Und wenn man anmerkt, da gestaltete einer den Halbgott als kongenialer Nachfolger des legendären Gerhard Stolze, so ist das kein ewiger Vergleich mit glorifizierender Vergangenheit, sondern einfach ein verdientes Extralob …
Eine sozusagen todschicke Fricka war -solange die Äpfelchen wirken – Sarah Kuffner. Sexy in Erscheinung und Stimme, war sie ohne die sonst häufig keifend daherkommenden Töne auf Augenhöhe zum Göttergatten. Die Äpfelchen-Geberin Freia war bei Melanie Kreuter mit attraktivem, jugendlichem Äußeren und weicher Stimme bestens aufgehoben. Der Freia-Schützer und Brückenbesinger Froh war mit dem höhensicheren Lianghua Gong klangvoll besetzt. Nur der schwächlich geschwungene Hammer des Olaf Haye (Donner) fiel deutlich ab.
Der noch ziemlich junge Yoshiaki Kimura war dem Vernehmen nach in der letzten Probenwoche gesundheitlich etwas angeschlagen, zumal er auch noch Vorstellungen der laufenden Reznicek-Produktion zu singen hatte, sang dennoch die Premiere über weite Strecken durchaus eindrucksvoll, bis ihn dann bei seinen Schlüsselstellen (dem folgenschweren Fluch) die stimmlichen Kräfte im Stich ließen. Respekt für seinen Einsatz! Den geknechteten Bruder Mime (in einer Art Schmiedearbeiterkluft in zerrissener Nibelungenjeans) sang der Wahlwiener Lorin Wey mit bemerkenswert schönem, biegsamem Tenor, ohne allzu grell zu greinen. Bei Wotan und Loge weinerlich Mitleid heischend, spielt er sich sehr wohl als Herrscher über die Arbeitskollegen auf, solange Alberich außer Reichweite ist …
Stimmmächtig die beiden Riesen. Moon Soo Park als Fasolt mit stimmverliebten Samttönen, wenn er Freia anhimmelt, der auch körperlich imposante Sebastian Pilgram mit der ungeschlachten Bassvariante als erster Mörder in der Tetralogie, Fafner. Beide auf ihre Art perfekt!
Mit pastosen Alttönen mahnte Urmutter Erda, Katja Starke, Wotan letztlich erfolglos, den Ring zu meiden.
Der Dirigent Alexander Kalajdzic, seit 2010/11 Generalmusikdirektor des Hauses, erwies sich als äußerst kompetenter Wagnerinterpret. Mit Klangregisseur-Qualitäten lenkte er das verkleinerte Orchester souverän, hielt nach dem Vorspiel bestens Balance, die Steigerungen kamen präzise und nicht übersteuert. Die Bielefelder Philharmoniker hielten sich hervorragend, spielten absolut unfallfrei nahezu perfekt und kompakt (souverän z.B. die Hörner, da hat man auch in großen Häusern schon anderes gehört!). Nur ein Einwand noch (zugegebenermaßen auf hohem Niveau): Die futuristisch anmutende Maschinenmusik der 16 Ambosse der Nibelungen darf nicht so harmlos verspielt klingen. Das muss schon anders dröhnen!
Alles in allem: Eine gelungene Premiere, stark akklamiert, auch mit Jubel angereichert, in den auch das Leading-Team einbezogen wurde. Die Reise nach Bielefeld hat sich gelohnt. Fast schade, dass es beim „Vorabend“ bleibt und der Ring keine Fortsetzung findet …
Karl Masek