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BIEL/ Stadttheater: ZAÏS von Jean Philippe Rameau

13.06.2021 | Oper international

JEAN-PHILIPPE RAMEAU: ZAÏS – TOBS, Stadttheater Biel, Vorstellung: 12.06.2021

(10. Vorstellung • Premiere am 30.04.2021)

«Spiele nie mit Menschen»

tophi
© Theater Orchester Biel Solothurn

Anna Dreschers Inszenierung von Rameaus «Zaïs» überzeugt auch beim dritten Besuch durch ihre grosse Handwerkskunst. Drescher hat für ihre Inszenierung keine der drei klassischen Zeitebenen, das vom Libretto angegebene Zeitalter, das Zeitalter der Entstehung der Oper oder die Gegenwart, gewählt, sondern mischt von der Frage ausgehend, was uns die Oper heute noch zu sagen hat, auf kluge Weise. Das Zeitalter der Götter taugt wenig als Ausgangspunkt, die Entstehungszeit der Oper liegt der Gegenwart ähnlich fern wie das Zeitalter der Götter und die Gegenwart würde die Wurzeln der Oper übergehen. Drescher beginnt mit Bildern, die durchaus aus der Entstehungszeit stammen könnten, und überführt diese sensibel und gekonnt in Bilder der Gegenwart. So schält sie die Botschaft des Stückes heraus («Spiele nie mit Menschen») und betont deren dauerhafte Gültigkeit, im Barock wie in der Gegenwart. Dem Einwand, die Oper einfach so zu inszenieren, wie es das Libretto vorgibt, ist zu entgegnen, dass dies genau so wenig wie eine vollständige Verlagerung in die Gegenwart funktionieren würde, denn das barocke Libretto arbeitet mit Bildern, die kaum ein Durchschnittszuschauer der Gegenwart versteht und die modernen Bilder allein laufen Gefahr ihre «Erdung» zu verlieren.

Nach der Ouvertüre, die hier wohltuenderweise noch Ouvertüre sein darf, stehen ein Amor, Oromazès und acht Figuren auf der Bühne. Alle sind barock kostümiert, geschminkt und die Figuren tragen der Antike nachempfundene, weisse Masken. Das Puppentheater verdoppelt nicht nur die Situation, sondern ermöglicht es, wenn nötig, dem Einzelnen auch, die Geschichte in seinem Sinn ablaufen zu lassen. Der erste Akt spielt auf einem Stück Wiese, immer noch bukolisch, aber sichtbar neuzeitlich. Der zweite Akt spielt dann am Bartresen. Das Bild ist keine Premiere, passt hier aber bestens. Der dritte Akt spielt in einem grossen, runden Bett mit feuerroter Decke. Im vierten und letzten Akt sind die Figuren auf der schwarzen Bühne ganz auf sich gestellt. Und hier zeigt sich in der Trennung des Geschehens nun das Resultat von Zaïs Misstrauen. Er muss das Happy End mit der Puppe aus dem vom Anfang an bekannten Puppentheater nachspielen. Zélidie ist, seitdem sie Zais Spiel mit ihr aufgedeckt hat, Beobachterin, sie hat das Spiel, die Drehbühne, als emanzipierte Frau verlassen, und ist nicht bereit Zaïs zu verzeihen. Die psychologisierende Komponente des Schlusses ist klarerweise nicht mehr barock, ein Bild, das der Mensch aus dem Barock nicht verstehen würde – genau so wenig, wie, wie schon erwähnt, Durchschnittszuschauer der Gegenwart die barocken Bilder versteht. Der springende Punkt ist aber, dass die Komponisten die ganze Geschichte der Oper hindurch bestrebt waren, mit Bildern zu arbeiten, die ihr Publikum, das Publikum der Uraufführung, versteht. Und dieses Arbeiten mit Bildern, die gleichzeitig dem Stück entsprechen und für das Publikum der Gegenwart verständlich sind, ist es, was Drescher meisterhaft gelingt.

Die Sensation des Abends bleibt das Sinfonie Orchester Biel Solothurn unter Leitung des neuen Thomaskantors Andreas Reize. Wohl kaum je dürfte Rameaus Instrumentierung so intensiv und sensibel umgesetzt, seine Sturmszenen so saftig‐kräftig erleben zu sein!

Marion Grange hat erneut einen ganz grossen Abend und steigert die Interpretation der Zélidie mit beklemmender Intensität von der «einfachen» Schäferin zur tief verletzten Frau. Ihr ebenbürtig sind Sebastian Monti als Zaïs und Wolfgang Resch als Cindor. Matteo Loi gibt einen stimmschönen Oromazès und Clara Meloni singt Une sylphide und La grande prêtresse de l’Amour. Natalia Pastranas Interpretation des Amor leidet an unsauberer Stimmführung und häufig gedrückter und greller Tongebung. Im von Valentin Vassilev bestens präparierten Chor singen Natalia Pastrana, Roxane Choux, Valentin Vassilev, Konstantin Nazlamov und Pierre Héritier.

Ganz grosses Theater: Ein Traum!

Aufführungsdaten Biel So, 13.06.21, 19:00; Di, 15.06.21, 19:30.

13.06.2021, Jan Krobot/Zürich

 

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