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BIEL/ Stadttheater: ZAÏS von Jean Philippe Rameau. Derniere

16.06.2021 | Oper international

JEAN-PHILIPPE RAMEAU: ZAÏS – TOBS, Stadttheater Biel, Dernière: 15.06.2021

(12. Vorstellung • Premiere am 30.04.2021)

«Möge das Paar den Göttern als Vorbild dienen!»

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Foto: Suzanne Schwiertz

Mit der Hoffnung, Zaïs und Zélidie würden den Göttern als Vorbild dienen, stellen sich Jean-Philippe Rameau und sein Librettist Louis de Cahusac ganz in die Tradition der Tragédie lyrique Jean Baptiste Lullys, der die Gattung in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts geschaffen hatte. Die Tugenden der Helden der Tragédie lyrique stehen ganz im Interesse der absoluten Monarchie und sie demonstrieren der Königsfamilie und den Höflingen vorbildliche Verhaltensweisen.

Die am 29. Februar 1748 in der Académie royale de Musique uraufgeführte «Zaïs» ist bereits die dritte Zusammenarbeit von Rameau mit Cahusac. In seinem ersten Werk, das der Gattung «féerie» zuzuordnen ist, die verzauberte Welt der nahöstlichen Mythologie mit Genien, Sylphiden, Sylphen und anderen Luftgeistern thematisiert, erzählt Rameau die Geschichte, wie Amor, nachdem Oromazès aus dem Chaos die Welt geschaffen hat, auf die Erde herabgestiegen ist und den Menschen Glück geschenkt hat. Von Zaïs, dem König der Luftgeister, der sich, um die Liebe zur Schäferin Zélidie zu gewinnen, als Schäfer verkleidet hat, verlangt er aber seine Liebe einer Prüfung zu unterziehen. Zaïs treuer Gefährte Cindor soll Zélidies Standhaftigkeit prüfen. Aber weder mit dem Versprechen eines Königreichs noch grenzenloser Schönheit, Unsterblichkeit oder einem magischen Blumenstrauss kann er Zélidies Standhaftigkeit erschüttern. Den Blumenstrauss gibt Zélidie an Zaïs weiter: er soll ihn auf der Flucht vor dem machtvollen Konkurrenten schützen. Als Cindor Zaïs berichtet, Zélidie vermute, er werde den Blumenstrauss für weitere Liebschaften nutzen, beschliesst Zaïs seine Geliebte selbst zu testen. Er verkleidet sich als Cindor und versucht Zélidie dazu zu bringen, sich an Zaïs zu rächen. Als Zélidie sich zu diesem Cindor hingezogen fühlt, wird ihr klar, dass sie einem Zauber erlegen ist. Sie bricht auf, um Zaïs zu finden. Dieser, von ihrer Standhaftigkeit überzeugt, bittet Amor die Prüfung zu beenden. Zaïs legt seine Verkleidung ab, enthüllt seine wahre Identität und verzichtet, um ihr immer nahe zu sein, auf seine Unsterblichkeit. Nun steigt Oromazès vom Himmel herab und schenkt, beeindruckt von so viel Standhaftigkeit, beiden die Unsterblichkeit. Man feiert die Liebe und Standhaftigkeit: «Möge das Paar den Göttern als Vorbild dienen!»

Das Paradoxon, dass die Oper zwischen Monteverdi und Mozart von der italienischen Oper dominiert wird, besteht heute wie im 18. Jahrhundert. Während der Ruhm von Händels Opern schon fast wieder so ist wie zu seinen Lebzeiten, fristet die französische Oper in Form der Tragédie lyrique weiterhin ein Mauerblümchen-Dasein. Die Opern von Lully, Campra, Rameau und den Komponisten jener Zeit werden im nichtfranzösischen Sprachraum kaum je als Opern, also mit dem Hauptgewicht auf der Musik und nicht auf dem Tanz, szenisch auf die Bühne gebracht. Die Situation war im 18. Jahrhundert kaum anders: In einem Jahrhundert als ganz Europa im Zeichen der französischen Kultur stand, Friedrich II. mit Voltaire korrespondierte und bis an die Grenzen Russlands jeder noch so unbedeutende Fürst sein kleines Versailles haben musste, dominierte die italienische Oper. Der Grund, dass die Tragédie heute wie damals als Fremdsprache wirkt, mögen die Hörgewohnheiten sein. Der englische Musikhistoriker, Komponist und Organist Charles Burney berichtet die Anekdote, Fausta Bordoni, die mit ihrem Gatten Johann Adolph der Aufführung einer französischen Oper beiwohnte, habe diesen nach einer halben Stunde gefragt, wann man den nun endlich eine Arie höre. Bordoni hatte zu diesem Zeitpunkt schon mehrere Arien gehört, sie aber nicht als solche wahrgenommen.

Dabei gäbe es so viel «Unerhörtes» zu entdecken. Eine bunte Musik von grossem Abwechslungsreichtum, die den Komponisten auf vielfältige Art und Weise forderte, und eine manchmal sprunghafte szenische Vielfalt in der Oper und den Divertissements, die den Zuschauer fordern. Ohne Kastraten, ohne Belcanto, ohne willkürliche Verzierungen sind Gestus und Dramaturgie der Tragédie lyrique meilenweit von der Oper seria metastasianischen Typs entfernt.

Anna Dreschers so ausserordentliche gelungene Inszenierung stellt sich ganz in den Dienst des Werkes und zeigt geradezu ideal, wie aktuell Oper sein kann. Unter der musikalischen Leitung des zukünftigen Thomaskantors Andreas Reize laufen das Sinfonie Orchester Biel Solothurn und die Solisten zu Höchstform auf und setzen Rameaus Musik mit einer Perfektion um, die ihnen zu höchster Ehre gereicht und mit der sie den «Spezialisten» auf Augenhöhe gegenübertreten können.

Der Abend macht augen- und ohrenfällig welche Schätze noch zu entdecken und zu heben sind.

Keine weiteren Aufführungen.

17.06.2021, Jan Krobot/Zürich

 

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