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BIEL/SOLOTHURN Theater Orchester: LA FILLE DU RÉGIMENT. Premiere

14.09.2019 | Oper

Gaëtano Donizetti: La fille du régiment, Theater Orchester Biel Solothurn, Premiere: 13.09.2019

 

Die Schweiz im Kalten Krieg

Was wie der Titel einer Vorlesung klingt, ist der Ausgangspunkt für die höchst durchdachte, werkgerechte Inszenierung von Andrea Bernard für Theater Orchester Biel Solothurn. Während der inszenierten Ouvertüre essen der gealterten Tonio und Marie beim zu Abend. Während Marie bedächtig die Suppe zu löffeln beginnt, geht Tonio wieder ab und kommt kurze Zeit später mit seinem Teller zurück. Immer wieder kramt Tonio aus den Wandschränken der einfach eingerichteten Wohnung (Bühnenbild von Antonio Beltrame) Gegenstände hervor, so ein rotes Béret. Als sich Marie das Béret aufsetzt, sind an der Rückwand Aufnahmen von Kampfflugzeugen zu sehen (Video und Lichtgestaltung von Mario Bösemann). Dann schaut sich das Paar eine alte Photographie, ein Doppelportrait aus früheren Tagen, an. Marie holt das alte Transistorradio hervor. Dank der grandiosen Leistung der Statisterie Theater Orchester Biel Solothurn (Till Winter, Marion Noëlle, Michèle Péquegnat, Laurent Grosjean) erklärt sich der Regieansatz von selbst. Marie trägt an den Lasten des Alters, zu denen auch der Gedächtnisverlust gehört. Tonio versucht ihr mit einzelnen Erinnerungsstücken zu helfen. Mit dem Béret kommt die Erinnerung ans Militär zurück, visualisiert mit den Flugzeug-Aufnahmen, und so erlebt das Paar nochmals die wichtigen Stationen ihres Lebens in den Tagen der Schweiz im Kalten Krieg, in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Zum hervorragenden optischen Eindruck tragen neben dem liebevoll und kenntnisreich ausgestalteten Bühnenbild auch die farbenfrohen Kostüme von Elena Beccaro bei. Die Damen und Herren des Chors tragen, wenn nicht Uniform, zeitgenössische Kleider in rosa, orange und rot und erinnern so an die Sekten der Hippies aus den 7oern und Bollywood-Filme. Die Uniformen der Herren sind an Frankreich und Italien orientiert. Die Marquise de Berkenfield erinnert an die 30er-Jahre und ihr Haushofmeister Hortensius trägt die Chauffeursmütze. Seine Anzüge sind allerdings nicht, wie zu erwarten, dezent gehalten, sondern für die Zeit) topmodisch und von der Tapete des Palasts der Marquise inspiriert. Die Geschichte von Liebe, Krieg und dem Kampf um die Erfüllung der Liebe (hervorragend zusammengefasst im Poster von Stephan Bundi) kann beginnen.

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Die Ouvertüre wird von Sinfonie Orchester Biel Solothurn unter Leitung von Franco Trinca schlichtweg perfekt gespielt. Ein besonderes Lob geht an die traumhaft sicheren und wohlklingenden Hörner. Auch alle anderen Soli im Verlauf der Oper werden perfekt dargeboten und so setzt das Orchester zu einem neuen Höhenflug an und macht Freude auf ein Wiederhören, sei es mit dem konzertanten „Fidelio“ oder Verdis „Giovanna d’Arco als nächster szenischer Produktion.


Michele Govi, Aoife Gibney; Foto: Konstantin Nazlamov

Die Inszenierung folgt eng dem Libretto und überzeugt mit ihrer klaren Personenführung (wie das Bühnenbild) mit zahlreichen, durchdachten Details. Warten ganz am Anfang des Stückes die Herren des Chores auf den sich nähernden Feind, so ist der auch durch das Transistorradio zu hören. Zum Gebet der Damen holt der alte Tonio dann einen Rosenkranz hervor. Die Erinnerung läuft also ganz organisch und nicht losgelöst von den Alten ab. Erzählt Marie Sulpice die Geschichte von Tonio, so fährt ein ferngesteuerter Jeep beladen mit einer Rakete, quer über die Bühne. Der „Spion“ Tonio ist Raketentechniker beim Militär. Nach der Pause, wenn die Oper im Palast der Marquise spielt, wird die die damalige Zeit prägende Angst der Schweiz vor dem Kalten Krieg mit Händen greifbar. Das Schloss der Marquise ist ein veritabler Zivilschutzbunker mit entsprechend strahlensicher Tür, Notluftversorgung, Leitstand und allem was dazugehört. Zur prägenden Angst der Schweiz vor dem Kalten Krieg schreibt das Historische Lexikon der Schweiz: „Angesichts der atomaren Bedrohung verschob sich das Schwergewicht des Schweizer Zivilschutzes mit der Konzeption von 1971 vom Retten aufs Vorsorgen und Vorbeugen. Unter der Maxime „Jedem Einwohner ein Schutzplatz“ erlebte die Schutzraumbautätigkeit einen Boom. Die öffentliche Hand und Private investierten bis 2009 rund 7,6 Mrd. Fr. in den Bau von 270’000 Schutzräumen. Von den 7,6 Mio. Einwohnern verfügten 2009 nur rund 500’000 über keinen Schutzraum.“ (https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008694/2015-02-03/). Findet Tonio dann im zweiten Akt zu Marie, so springt er mit dem Fallschirm ab.


Manuel Nuñez Camelino, Michele Govi, Aoife Gibney; Foto: Konstantin Nazlamov

Die irische Koloratursopranistin Aoife Gibney als Marie überzeugt auf ganzer Linie und vermag vor allem mit ihrer stupenden Technik zu beeindrucken. Die Höhen werden problemlos erreicht, die Koloraturen perlen wie Champagner. Die Stimme, die phasenweise in Richtung Koloratursoubrette geht, passt hervorragend zur Rolle des jungen, bei den Soldaten aufgewachsenen Mädchens. Der Argentinier Manuel Nuñez Camelino, der im ersten Akt seine grosse Arie im Raumanzug singt, bleibt trotz Höhensicherheit in seiner Rollengestaltung etwas blass. Der Italiener Michele Govi überzeugt als Sulpice voll und ganz und scheint sich in seiner Uniform sichtbar wohl zu fühlen. Judith Lüpold gibt die perfekte Marquise de Berkenfield und verleiht der Aufführung Lokalkolorit, wenn sie mit Hortensius Berndeutsch spricht. Paweł Ślusarz (Studierender der Hochschule der Künste Bern, Schweizer Opernstudio) als Hortensius, Isabelle Freymond als Duchesse de Crakentorp und Marek Pavlíček (Studierender der Hochschule der Künste Bern, Schweizer Opernstudio) als Un caporal / Un paysan ergänzen das Ensemble aufs Beste.

So muss Oper sein! Vive „La fille du régiment“!

Weitere Aufführungen:

Biel, Stadttheater:

Di 17.09.19 19:30, So 22.09.19 19:00, Mi 02.10.19 19:30, Fr 04.10.19 19:30, Fr 01.11.19 19:30, Di 05.11.19 19:30, Do 07.11.19 19:30, So 24.11.19 17:00, Di 31.12.19 19:30, So 19.01.20 17:00.

Solothurn, Stadttheater:

Mi 25.09.19 19:30, Fr 27.09.19 19:30, Do 17.10.19 19:30, Sa 09.11.19 19:00, Mi 20.11.19 19:30, So 29.12.19 17:00.

Auswärtige Vorstellungen:

Do 19.09.19 19:30 Casino Theater Burgdorf
Fr 22.11.19 19:30 Kultur im Podium Düdingen
Sa 07.12.19 19:30 Stadttheater Langenthal
Mi 18.03.20 19:30 Theater Winterthur
Fr 20.03.20 19:30 Theater Winterthur
Sa 21.03.20 19:30 Theater Winterthur
Sa 25.04.20 19:30 Theater La Poste Visp
Mi 29.04.20 19:30 Stadttheater Olten

14.09.2019, Jan Krobot/Zürich

 

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