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BIEL/ SOLOTHURN/ Theater Orchester: IM WEISSEN RÖSSL – Neuinszenierung

12.12.2025 | Operette/Musical/Show

Ralph Benatzky: Im weissen Rössl • Theater Orchester Biel Solothurn im Stadttheater Solothurn • Premiere: 10.12.2025

(3. Vorstellung • Premiere in Biel am 05.12.2025)

«Das Label spielt keine Rolle; was zählt, ist die Liebe!»

Mit dieser Produktion von Benatzkys «Im weissen Rössl» in der Regie von Olivier Tambosi zeigt Theater Orchester Biel Solothurn (TOBS!) mustergültig, wie man Operette zeitgemäss und frisch auf die Bühne bringen kann. Einmal mehr wird TOBS! seinem Ruf gerecht, auf kleinen Brettern grosses Theater zu bieten.

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Foto © Joel Schweizer

Olivier Tambosi (Inszenierung und Bühne) zeigt mit seiner Arbeit eindrücklich, dass man eine grosse Revue-Operette ohne Verluste auch auf einer kleinen Bühne zeigen kann. Wurde bei der Uraufführung am 8. November 1930 ein ganzes Tiroler Dorf auf die Bühne des Grossen Berliner Schauspielhauses gestellt und 400 Komparsen eingesetzt, genügen Tambosi ein paar Gartenmöbel, zwei Styropor-Pferdchen und die Rückwand für Bildprojektionen. Anna-Sophie Lienbacher hat für den Chor farbenfrohe Kostüme entworfen, die virtuos Elemente der folkloristischen Mode aufnehmen. Die Kostüme der Solisten weisen dezent auf den Charakter der jeweiligen Figur hin, sei es Josepha als Wirtin, Leopold als Zahlkellner, Giesecke als Tourist oder Siedler als Anwalt. Die Lichtgestaltung von Samuele D’Amico trägt wesentlich zur gelungenen optischen Komponente bei.

Ein Wesensmerkmal der Gattung Operette ist es, dass diese Stücke, weil sie immer «modern, frech und unangepasst» waren und immer auf ihre Zeit und deren Befindlichkeit eingingen, nie ganz «fertig» waren. In diesem Sinne gehören Ergänzungen konstitutiv zur Gattung. In der Rezeptionsgeschichte von «Im weissen Rössl» sind diese Ergänzungen und Änderungen besonders deutlich auszumachen. So waren bereits bei der Urfassung, wie später vom Musical gewohnt, nach amerikanischem Vorbild mehrere Komponisten und Textdichter beteiligt. Initiant der Umarbeitung des Lustspiels «Im weissen Rössl» von Oscar Blumenthal und Ludwig Kadelburg zu einer Revue-Operette war der Schauspieler, Regisseur, Produzent und Künstlerische Leiter des Grossen Schauspielhauses Erik Charell, der, als ab Mitte der zwanziger Jahre die «Modernisierung» von Operetten-Klassikern erfolgreiche Mode geworden war, auf der Suche nach einem neuen Erfolgsstück war. Charell fungierte als Produzent: er wählte die Beteiligten aus und ihm oblag es, deren Arbeit zu einem Gesamtkunstwerk zusammenzuschweissen. Die «Auserwählten» hatten sich ihm strikt zu unterwerfen: entsprechend beanspruchte er die uneingeschränkte Verfügungsgewalt über das Werk und liess sich vertraglich zusichern, dass die Aufführungen als «Erik Charells Weisses Rössl» angekündigt wurden. Zum Kreis der «Auserwählten gehörten neben Benatzky die Komponisten Robert Gilbert, Robert Stolz, Bruno Granichstaedten und (nicht genannt) Eduard Künneke. Neben Hans Müller als «Buchautor» war Benatzky als «Komponist und Mitautor der Gesangstexte» sowie «stiller Mitautor am Buch» Vertragspartner Charells. Nach der überaus erfolgreichen Uraufführung in Berlin gab es ähnlich erfolgreich Aufführungsserien in London (ab 08.04.1931, Coliseum Theatre), Wien (ab 25.09.1931, Wiener Stadttheater) und Paris (ab 30.09.1932, Théâtre Mogador). Nach einem erfolglosen Versuch im Jahre 1932 kam in New York ab dem 1. Oktober 1936 eine Aufführungsserie von 226 Vorstellungen im Rockefeller Center zustande. Für diese Aufführungen veränderte Charell das Stück teilweise deutlich, um es dem Geschmack des Publikums vor Ort anzupassen. Benatzkys Absicht ein Volksstück zu schreiben, in dem die Musik von der Handlung begründet ist, spielte keine Rolle mehr. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahre 1933 hatte das Weisse Rössl in Deutschland keine Chancen mehr: Erik Charell, Hans Müller und Robert Gilbert waren Juden. Trotzdem gelang Benatzky 1935 eine erste Verfilmung der Operette: die Namen Erik Charell, Hans Müller und Robert Gilbert tauchten in diesem Zusammenhang nicht auf, die Verse gab Benatzky als seine eigenen aus und die Einlagen anderer Komponisten waren durch eigene Neukompositionen ersetzt. Danach hatte Benatzky die Filmrechte «für alle Zeiten» an Warner Brothers übertragen. Nach dem Krieg führte deren Weitergabe der Filmrechte an Charell zu zwei weiteren Verfilmung mit Charell als Produzent: 1952 als seichter Heimatfilm und 1960 als blosser Klamauk. Eine nach dem Krieg von Charell überarbeitete Fassung der Partitur wird seither seitens des Verlags als einzig verbindliche Fassung bezeichnet. «Inzwischen hat sich die Sicht auf das Work grundlegend geändert. Vor allen seit 2008 in Zagreb das originale Material der ursprünglichen Fassung entdeckt wurde, wissen wir, wie modern, frech und unangepasst das Stück ist: …» (Zitat aus dem Programmheft).

Die zentralen Themen und Konflikte des Stücks stammen nicht aus einem eskapistischen Operettenhimmel, sondern aus unserem Alltag und sind heute noch genauso aktuell wie zur Zeit der Uraufführung: Mobilität und Tourismus, Folklore und ihre Vermarktung, «echte» oder «unechte» Volksmusik, das Aufeinanderprallen von urbaner Sprache und ländlicher Mundart, Grossstadtmenschen und ihre Sehnsucht nach dem «einfachen Landleben», Internationalität versus Heimat- und Naturverbundenheit, im Wandel begriffene moderne Gesellschaften im Gegensatz zu der nostalgischen Verklärung einer Vergangenheit, «in der alles besser war» (Zitat aus dem Programmheft). Das Hauptthema des Abends von Olivier Tambosi (Inszenierung und Bühne) ist aber die Liebe: «Das Label spielt keine Rolle; was zählt, ist die Liebe!» (Klärchen im Finale). Und diese Thema behandelt Tambosi auf überragende Art und Weise! Wer hätte angesichts zahlreicher regietheatraler Entgleisungen gedacht, dass sich dieses Thema so entspannt, harmonisch, unaufgeregt behandeln lässt??? Die Ausführungen über das Befinden transfluider Personen (Personen, deren Geschlechtsidentität sich von Zeit zu Zeit verändert) kommen so beiläufig und unaufdringlich, dass man sie gut und gern überhört und gar nicht als solche wahrnimmt. Ottilie wird von einem Mann gesungen, der seine ersten Auftritte in Frauenkleidern absolviert: mit dem Datum der Uraufführung im Kopf wirkt das Ganze wie eine «klassische» Travestie, wie der Gruss einer Zeit, in der Frauen begannen, «modische» Grenzen (Stichwort Bubikopf) zu verschieben. Die Überraschung, dass Professor Hinzelmann (Klärchen) ein junge Wanderin und nicht ein Greis ist, verstärkt diesen Eindruck.

Tambosis Umsetzung überzeugt in ihrer spielerischen Leichtigkeit und unaufdringlichen Behandlung einer heftig umstrittenen Ideologie.

Das Sinfonieorchester Biel Solothurn TOBS! unter musikalischer Leitung Iwan Wassilevski überzeugt mit herrlich leichtem Klang. Der Mix von volkstümlichen Klängen, Wiener Walzer und jazzigen Elementen gelingt hervorragend. Besonders überzeugen an diesem Abend die Holzbläser. Der Akkordeonist Dimitrije Simić und die Einspielungen zeitgenössischer Rössl-Aufnahmen (Lied und Marsch aus Charell’s [sic!]«Im weissen Rössl» «Im weissen Rössl am Wolfgangsee»; Fred Lustig, Dajos Bela und das Odeon Tanzorchester, 24.01.1931; «Es muss was wunderbares sein», Tango aus Charell’s [sic!]«Im weissen Rössl», Leo Moll, Marek Weber und sein Tanzorchester, 16.11.1930; beide Aufnahmen einfach im Netz zu finden) runden den Eindruck perfekt ab. Nicht minder überzeugend bewältigt der Chor TOBS! (Chorleitung: Valentin Vassilev) seine Aufgaben.

Die Stimmen der Solisten werden verstärkt: entsprechend ist die gesangliche Leistung nur eingeschränkt zu beurteilen. In den ersten Minuten ist leichter Hall festzustellen. Christiane Boesiger gibt eine anfänglich resolute Josepha Vogelhuber, die sich dann überzeugend entwickelt und am Schluss doch zu ihrer Liebe stehen kann. Christian Manuel Oliveira überzeugt als Leopold Brandmeyer mit guter Bühnenpräsenz. Adrian Burri gelingt als Ottilie der Wechsel zwischen den Geschlechtern einfühlsam und mit guter Bühnenpräsenz. Atemberaubend gelingt die Tanzeinlage mit Klärchen, der früheren Schweizermeisterin im Eistanzen Nora von Bergen. Christoph Wettstein als Wilhelm Giesecke überzeugt als Berliner und Tourist, der überall «sein» Ahlbeck (Lieblingsbadeort der Berliner an der Ostsee) oder den Müggelsee (grösster Berliner See) und «seinen» «Grüner Aal» (traditionelle Spezialität der Berliner Küche) vermisst. Alexander Kaimbacher glänzt in der Rolle von Gieseckes «Gegner» Dr. Siedler und Konstantin Nazlamov gibt den Gustl und einen würdevollen Kaiser.

So geht Operette!

Weitere Aufführungen im Stadttheater Biel:

Do. 18.12.2025 19:30 – 22:15; Fr. 19.12. 2025 19:30 – 22:15; Di. 30.12.2025 19:30 – 22:15;

Mi. 31.12.2025 19:30 – 22:15; Fr. 23.01. 2026 19:30 – 22:15; Di. 27.01. 2026 19:30 – 22:15.

 

Weitere Aufführungen im Stadttheater Solothurn:

Mi. 04.02.2026, 19:30 – 22:15; Do. 05.02.2026, 19:30 – 22:15; Sa. 07.02.2026, 19:00 – 21:45.

Auswärtige Vorstellungen:

Sa. 10.01.2026, 17:30 – 20:15, Stadttheater Schaffhausen;

So. 11.01.2026, 17:30 – 20:15, Stadttheater Schaffhausen;

Sa. 17.01.2026, 19:30 – 22:15, Stadttheater Langenthal;

Do. 29.01.2026, 19:00 – 21:45, Theater Winterthur;

Sa. 31.01.2026, 19:00 – 21:45, Theater Winterthur;

So. 01.02.2026, 14:30 – 17:15, Theater Winterthur;

Do. 26.02.2026, 19:30 – 22:15, Casino Theater Burgdorf;

So. 01.03.2026, 17:00 – 19:45, Théâtre du Jura, Delémont

16.12.2025, Jan Krobot/Zürich

 

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