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BIEL/ SOLOTHURN/ Theater: GIOVANNA D’ARCO. Vom Vater gesegnet, von den Leiden befreit

09.01.2020 | Oper

Giuseppe Verdi: Giovanna d’Arco, Theater Orchester Biel Solothurn, Stadttheater Solothurn, Vorstellung: 08.01.2020

(12. Vorstellung seit der Premiere am 25.10.2019)

Vom Vater gesegnet, von den Leiden befreit

Vom Vater gesegnet und von den Leiden befreit zieht Giovanna etwa in der Mitte des dritten Aktes in die Schlacht um König Karl und Frankreich zu retten. Ob sie von den Leiden wirklich befreit ist, stellt die Inszenierung von Yves Lenoir gerade damit in Frage, wie Giovannas Vater Giacomo in der inszenierten Ouvertüre gezeigt wird: er will mehr als, wie es sein Nachfahre Rigoletto formulieren wird, «culto, famiglia, patria». Wie er seinen Kopf auf den Schoss seiner Tochter, die sich für ihn auf dem Bett in ihrem klaustrophobisch engen, verliesartigen Zimmer (Bühne: Bruno de Lavenère) drapiert hat, legt, lässt tief blicken.

Da die Heiligsprechung Jeanne d’Arc’s (1920; Seligsprechung 1909) und auch die politische Vereinnahmung (zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts) erst nach der Uraufführung von Verdis Oper erfolgte, sieht sich Lenoir vom Ballast der Mythen und Legenden befreit. Er erzählt die Geschichte von Jeanne d’Arc in der Fassung von Verdi und Solera (deren Zusammenarbeit bekanntermassen alles andere als einfach war, was sie vielleicht auch in der Qualität des Librettos niederschlägt), als die Geschichte eines starken, jungen Mädchens, dass sich gegen die politischen wie gesellschaftlichen Auffassungen (von Rigoletto eben so treffend auf den Punkt gebracht) wehrt und revoltiert. Ist man nun bereit, Verdis immer wieder geäussertes Interesse an Schlaglichtern auf eine Geschichte und nicht unbedingt stringent erzählten Geschichten selbst, anzunehmen und zu akzeptieren, funktioniert Lenoirs Ansatz bestens. Lenoir zeigt Giovanna als starken Charakter, die immer wieder gegen ihren Helikopter-Vater revoltiert und dabei durchaus auch mal Benzin und Streichholz verwendet. Gerade diese übermässige Fürsorge, wie sie bei Rigoletto wieder auftreten wird (vieles aus den frühen Verdi-Opern wird in späteren Werken in perfektionierter Form wieder auftauchen), führt zur falschen Verurteilung Giovannas. Giacomo kriegt die Kurve grade noch und kann seine Tochter um Verzeihung bitten, bevor sie mit seinem Schwert, hier ein Sprengstoffgürtel, in die Schlacht zieht um Frankreich zu retten.

Bildergebnis für theater biel solothurn giovanna d'arco
Foto: Joel Schweizer

Unter Leitung Vito Lattarulos spielt das Sinfonie Orchester Biel Solothurn einen knackig-frischen jungen Verdi, dessen saftigen Melodien sich der Zuhörer kaum entziehen kann. Die Tempi sind absolut sängerfreundlich, die Interpretation läuft nie Gefahr grobschlächtig zu wirken.

Der von Valentin Vassilev vorbereitete Chor Theater Orchester Biel Solothurn wirkt an diesem Abend nicht so kompakt und klangstark wie gewohnt.

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Foto: Joel Schweizer

Mit ungeheurer Bühnenpräsenz gibt Astrik Khanamiryan eine hervorragende Giovanna d’Arco. Mit schier unglaublichen Kraftreserven, nie enden wollendem Atem und enormer stimmlicher Wandlungsfähigkeit gelingt ihr eine mitreissende Interpretation. Auf hohem Niveau agiert auch Irakli Murjikneli. Er dürfte sich bei Gelegenheit eine grössere Vielfalt an Stimmfarben und Lautstärken aneignen. Erneut in Höchstform präsentierte sich Michele Govi als Giacomo. Gerade seine Bitte um Verzeihung zu Beginn des dritten Aktes war Verdi-Gesang allererster Güte. Konstantin Nazlamov und Pawel Šlusarz ergänzen das Ensemble als Delil und Talbot.

Eine lohnenswerte Begegnung mit einer hochstehenden Regie-Arbeit. Und junger Verdi geht immer!

Weitere Aufführungen: 10.01.2020 im Stadttheater Olten, 12.01.2020 im Stadttheater Solothurn.

08.01.2020, Jan Krobot/Zürich

 

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